Steinmeier-Rede: Deutsche brauchen in der Krise neue Widerstandskraft
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier appelliert an die Deutschen, sich angesichts von Ukraine-Krieg, Inflation und Energiekrise auf ihre Stärken zu besinnen. „Wir brauchen den Willen zur Selbstbehauptung und wir brauchen auch die Kraft zur Selbstbeschränkung“, sagt er am Freitag in einer Rede im Schloss Bellevue. „Wir müssen konfliktfähig werden, nach innen wie nach außen“, mahnt Steinmeier. „Wir brauchen keine Kriegsmentalität – aber wir brauchen Widerstandsgeist und Widerstandskraft.“
In Zeiten von Krieg und Krise würde nicht nur die so genannte kritische Infrastruktur angegriffen. „Auch unsere Demokratie gehört zur kritischen Infrastruktur. Und sie steht unter Druck“, warnt Steinmeier. „Sie schützen können nur wir selbst. Das verlangt von uns Demokraten mehr als Bekenntnisse. Es verlangt Engagement und Widerstandsgeist und Widerstandskraft.“
Steinmeier hofft auf widerstandskräftige Bürger*innen
Für den Präsidenten unterscheiden widerstandskräftige Bürger*innen „zwischen der notwendigen Kritik an politischen Entscheidungen – und dem Generalangriff auf unser politisches System“. Widerstandskräftige Bürger*innen hielten Unsicherheit aus und ließen sich nicht verführen von denen, die einfache Lösungen versprechen.
Steinmeier appelliert an Politiker*innen und Bürger*innen: „Anstatt uns weiter auseinandertreiben zu lassen, müssen wir alles stärken, was uns verbindet.“ Es gelte dem Gift des Populismus und der Gefahr des Auseinanderdriftens etwas entgegenzusetzen. So dürften weder die Generationen gegeneinander ausgespielt werden noch Reich und Arm, Stadt und Land oder Ost und West. Die gegenwärtige Krise, treffe etwa den Osten „erneut härter, weil auch 32 Jahre nach der Wiedervereinigung die Energieversorgung schwieriger, die Einkommen niedriger und die Ersparnisse geringer sind“. Deshalb sei es wichtig, dafür zu sorgen, dass der Osten nicht nach hinten falle.
Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten
So notwendig und unvermeidlich Einschränkungen seien, am Beginn jeder Debatte darüber müsse die Zusage stehen: „Unser Staat lässt Sie auch in dieser Zeit nicht allein!“ Als Beispiele dafür lobt er die Maßnahmen der Bundesregierung wie Entlastungspakete, Abwehrschirm, Gaspreisbremse, Wohngeld und Unterstützungsleistungen für Unternehmen. „Menschen, die viel haben und mehr tragen können“, müssten jetzt helfen, um die immensen Kosten der notwendigen Entlastungen stemmen zu können. „Sie müssen jetzt beitragen, um neue Ungerechtigkeiten zu vermeiden“, so der Präsident. Beeindruckende Entlastungspakete seien wichtig. „Aber nicht weniger wichtig ist Gerechtigkeit bei der Verteilung der Lasten, davon wird viel abhängen.“
Steinmeier wendet sich in seiner Rede direkt an die Deutschen: „Liebe Landsleute, mir ist völlig klar: Niemand schränkt sich gerne ein. Aber ich wünsche mir, dass wir unsere Perspektive verändern.“ Die Bürger*innen sollten nicht als erstes fragen: „Wer kann mir die Last abnehmen?“ Sie sollten eher fragen: „Hilft das, um gemeinsam durch die Krise zu kommen?“. Das sei die richtige Haltung, um jetzt gemeinsam durch den Winter zu kommen.
Putin gegen alle Werte der Deutschen
Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine habe Gorbatschows Traum vom gemeinsamen Haus Europa zertrümmert. Dieser Krieg „ist ein Angriff auf das Recht, auf die Prinzipien von Gewaltverzicht und unverletzlicher Grenzen. Er ist im Grunde ein Angriff auf alles, wofür auch wir Deutsche stehen.“ Wer angesichts dieser Sachlage nun schulterzuckend frage, „was geht denn dieser Krieg uns hier in Deutschland an?“, der rede „unverantwortlich und vor allem geschichtsvergessen“. Steinmeier lässt keinen Zweifel: „Mit dieser Haltung können wir als Deutsche in Europa nicht bestehen. Sie ist falsch.“
Der Bundespräsident räumt ein, dass die Sanktionen gegen Russland auch für Deutschland und seine Bürger*innen Kosten hätten. „Aber was wäre denn die Alternative? Tatenlos diesem verbrecherischen Angriff zuschauen? Einfach weitermachen, als wäre nichts geschehen?“ Es sei im deutschen Interesse, sich gemeinsam mit den Verbündeten dem Rechtsbruch Russlands entgegenzustemmen. Es sei im deutschen Interesse, sich aus Abhängigkeiten von einem Regime zu lösen, das Panzer gegen ein Nachbarland rollen lasse und Energie als Waffe benutze. Steinmeier bringt es auf den Punkt mit einem Zitat der estnischen Ministerpräsidentin: „Energie mag teurer werden, aber die Freiheit ist unbezahlbar.“
Bundespräsident macht auch Mut
Er stimmt die Deutschen auf schlechtere Zeiten ein. „Es kommen härtere Jahre, raue Jahre auf uns zu.“ Die Friedensdividende sei aufgezehrt. „Es beginnt für Deutschland eine Epoche im Gegenwind.“ Um in dieser Zeit zu bestehen, könne das Land auf die Kraft und Stärke bauen, die es sich in den vergangenen Jahren erarbeitet habe. Und helfen würden hier sicher auch die Erfahrungen, die Deutschland bei der Überwindung anderer schwerer Krisen bereits gemacht habe.
Steinmeier macht den Menschen Mut: „Vergessen wir – bei allen Sorgen – gerade jetzt nicht: Wir sind wirtschaftlich stark, stärker als viele andere. Wir haben gute Forschung, starke Unternehmen und einen leistungsfähigen Staat. Wir haben eine große und starke Mitte in unserer Gesellschaft.“ Aus der gegenwärtigen Herausforderung könne auch neue Stärke und neue Einheit wachsen.
Zusammenhalt statt Gegeneinander
„Es wird nicht einfach sein, und es wird anstrengend sein“, macht der Präsident klar. „Wir werden eine Zeit der Belastungen und der Unsicherheiten durchlaufen, bevor wir neue Sicherheit und wieder ganz festen Grund unter den Füßen haben.“ Jetzt komme es darauf an, die Kraft nicht im täglichen Gegeneinander zu vergeuden. „Wenn wir zusammenhalten, wenn wir Mut und Ehrgeiz beweisen, dann bin ich mir sicher: Wir werden unserer Aufgabe gewachsen sein.“