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Polen: „Es gibt einen heftigen Machtkampf um die Rechtsstaatlichkeit.“

In Polen tobt ein Machtkampf zwischen der neuen Regierung und der abgewählten PiS-Partei. Worum es dabei geht und welche Rolle Präsident Andrzej Duda spielt, sagt Max Brändle von der Friedrich-Ebert-Stiftung.

von Kai Doering · 16. Januar 2024
Finden Sie einen Ausweg aus der verfahrenen Situation in Polen? Präsident Andrzej Duda (l.) und Ministerpräsident Donald Tusk

Finden Sie einen Ausweg aus der verfahrenen Situation in Polen? Präsident Andrzej Duda (l.) und Ministerpräsident Donald Tusk

In Polen spitzt sich der Konflikt zwischen der neuen Regierung unter Donald Tusk und Staatspräsident Andrzej Duda zu, nachdem zwei rechtskräftige verurteilte Politiker der PiS-Partei im Präsidentenpalast Zuflucht gesucht hatten, aber später von der Polizei verhaftet wurden. Worum geht es dabei?

Die Geschichte reicht einige Jahre zurück. Bereits im Jahr 2007 regierte die PiS das erste Mal unter Ministerpräsident Jaroslaw Kaczynski. In heftige Querelen verstrickt versuchte die PiS ihren kleineren Koalitionspartner, die populistische Bauernpartei „Samoobrona“ (polnisch für: Selbstverteidigung, Anm.d.Red.) von Andrzej Lepper, abzuschütteln. Zu diesem Zweck fingierten Mariusz Kaminski und Maciej Wasik, die beiden Politiker, um die es jetzt geht, schließlich einen Schmiergeldskandal um Bauland, der Lepper persönlich und politisch diskreditierte und seine Partei marginalisierte. Lepper beging 2011 Selbstmord. Kaminski und Wasik hatten als Leiter und Stellvertreter der Antikorruptionsbehörde damals zwar offenbar die Mittel zur Hand, um den Skandal zu inszenieren; doch die Sache flog auf, und beide wurden wegen Amtsmissbrauchs angeklagt und verurteilt.

Noch bevor ein Berufungsverfahren abgeschlossen werden konnte, ließ Präsident Duda – kaum im Amt angekommen – jedoch Milde walten und begnadigte die beiden, so dass Kaminski 2015 Innenminister der damals frisch gewählten PiS-Regierung werden konnte. Dass die Begnadigung bereits erfolgte, noch bevor das juristische Verfahren vollständig abgeschlossen war, ist kein bloßer Schönheitsfehler, wie sich nun zeigt. Ende 2023 – die PiS war gerade abgewählt – wurde die Verurteilung vom Gericht bekräftigt. Mittlerweile waren sowohl Mariusz Kaminski als auch Maciej Wasik für die PiS als Abgeordnete ins Parlament eingezogen. Parlamentspräsident Szymon Holownia hob die Mandate der beiden nach ihrer Verurteilung auf. Auf Anordnung des Gerichts verhaftete die Polizei Kaminski und Wasik schließlich, nachdem sie an einer Zeremonie im Präsidentenpalast teilgenommen hatten am 10. Januar 2024 ebendort.

Warum sorgt der Vorgang für so viel Aufsehen, wenn juristisch eigentlich alles klar ist?

Die Rechtskräftigkeit des Urteils steht nicht zur Debatte. Doch steht in Frage, ob die beiden nicht als begnadigt zu gelten haben, nachdem der Präsident dies bereits 2015 entschieden hatte. Schließlich gibt es unterschiedliche Beurteilungen zur Aufhebung der Mandate. Die von der PiS eingesetzte Kontrollkommission des Obersten Gerichts kommt zu dem Schluss, die Mandate seien weiter gültig, während die Arbeitskammer des Obersten Gerichts gegenteiliger Auffassung ist. Die Auseinandersetzung läuft noch und bietet beiden Seiten Zündstoff. Bis zu 100.000 Demonstranten solidarisierten sich am 11. Januar 2024 mit Kaminski und Wasik, die sie als „politische Gefangene“ einer neuen Diktatur in Polen ansehen. Der alternde Parteivorsitzende der PiS Jaroslaw Kaczynski rief der Menge zu, es ginge um nichts weniger als die Verteidigung Polens: Die EU wolle Polen zerstören und – kurios! – deutsche Imperialisten wollten Polen seine Souveränität rauben.

Donald Tusk wirft Präsident Duda nun versuchte Strafvereitelung vor. Letzter hat angekündigt, den ehemaligen Innenminister und seinen Staatssekretär erneut zu begnadigen. Droht Polen eine Staatskrise?

Es gibt einen heftigen Machtkampf um die Rechtsstaatlichkeit, der mit harten Bandagen ausgetragen wird. Acht Jahre PiS-Regierung – von 2015 bis 2023 – haben einen verschlungenen Knoten rechtsstaatlicher Probleme hinterlassen. Die Besetzung von mehreren Richterposten und die Einrichtung neuer Gremien und Institutionen in Polen entsprechen nicht den Maßstäben von Rechtsstaatlichkeit, die in der Europäischen Union gelten. Das haben der Europäische Gerichtshof und die Venedig-Kommission des Europarates immer wieder festgestellt. Anstatt diesen Knoten von komplexen juristischen Fallstricken nun mühsam aufzudröseln, hat sich die neue polnische Regierung offenbar entschieden, ihn mit großer Entschlossenheit zu zerschlagen. Notwendigerweise können dabei nicht alle richterlichen Entscheidungen und Befugnisse von der Vorgängerregierung geschaffener Institutionen geachtet werden; denn diese seien ja auf unrechtmäßige Weise zustande gekommen, befindet die neue Regierung Polens.

Das ist Anlass genug für die neue Opposition der PiS nun ihrerseits lautstark die Gefahr eines Abbaus des Rechtsstaats und der Einführung einer Diktatur heraufzubeschwören. Das ist jedoch zynisch und völlig falsch. Die neue Regierung muss diese Aufgabe tatkräftig angehen und darf den Konflikt mit der überkommenen Ordnung nicht scheuen. Es ist unausweichlich, dass es dabei zu Konflikten und harten Auseinandersetzungen, insbesondere mit dem PiS-nahen Präsidenten Andrzej Duda kommt. Gerade dafür – zur Wiederherstellung der Unabhängigkeit der Medien, zur Reparatur der Rechtsstaatlichkeit und Demokratie – wurde die neue Regierung in Polen gewählt. 

Duda hatte schon die Bildung der neuen Regierung verzögert, weil er nach der Wahl im Oktober zunächst dem bisherigen Ministerpräsidenten Mateusz Morawiecki den Auftrag zur Regierungsbildung gegeben hatte, obwohl klar war, dass er keine Mehrheit hinter sich versammeln kann. Was treibt den Präsidenten an?

Während sich die PiS-Führung mit Blick auf die im April anstehenden Kommunalwahlen in Polen und die Europawahlen im Juni Geländegewinne von einer weiteren Eskalation verspricht; agiert Präsident Duda versöhnlicher. Mit einer erneuten Begnadigung der beiden Straftäter gibt es sich zwar die Blöße, dass seine Begnadigung von 2015 unwirksam war, findet jedoch möglicherweise einen Ausweg aus der verfahrenen Situation. Andrzej Duda wird nach zwei Amtszeiten im kommenden Jahr 2025 nicht erneut für das Präsidentenamt kandidieren können. Möglicherweise sieht er seine Zukunft an der Spitze der PiS. 

Bestimmt Duda überhaupt den Kurs oder ist es PiS-Chef Jarosław Kaczyński?

Jarosław Kaczyński gibt den Kurs in der PiS, trotz des Verlusts der Regierung und des schwächeren Wahlergebnisses vom Oktober 2023 steht Kaczyński unangefochten an der Spitze der Partei. Die PiS Partei für „Recht und Gerechtigkeit“ bleibt – auch in neuesten Umfragen – die stärkste politische Kraft in Polen. Eine politische Mehrheit kann sie aber nur im Bündnis mit den konservativen Kräften der Mitte bilden. Die polternde Krachmacher-Rhetorik von Jaroslaw Kaczynski steht jedoch eher für den Weg der Radikalisierung und führt ins Abseits. Nicht zuletzt deshalb ist Präsident Duda darum bemüht, nicht als Marionette von Kaczyński wahrgenommen zu werden, eine eigene Linie zu vertreten und dabei seinen Spielraum zur Auseinandersetzung mit der Regierung zu nutzen. Wir werden also sicher noch einige schrille Töne aus Polen zu hören bekommen in den nächsten Wochen und Monaten.

Das Interview wurde schriftlich geführt.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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