Machtpoker in Österreich: Wie FPÖ-Chef Herbert Kickl die Demokratie bedroht
Österreichs nächster Bundeskanzler heißt aller Voraussicht nach Herbert Kickl. Die politischen Ziele des FPÖ-Vorsitzenden bieten Anlass zu großer Sorge, sagt Filip Milačić von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Im Interview erklärt er, wie demokratische Parteien Rechtspopulist*innen ausbremsen können.
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Die Koalitionsgespräche laufen: Der ÖVP-Vorsitzende Christian Stocker und FPÖ-Chef Herbert Kickl (von links) bei einer gemeinsamen Pressekonferenz.
In Österreich wurde der Parteichef der rechten FPÖ, Herbert Kickl, mit der Regierungsbildung beauftragt. Wie konnte es dazu kommen?
Demokratie folgt klaren Prinzipien, die auch dann respektiert werden müssen, wenn die Ergebnisse nicht den eigenen Erwartungen entsprechen. Bundespräsident Alexander Van der Bellen hat in diesem Sinne gehandelt. Die entscheidendere Frage ist jedoch, wie es überhaupt dazu kam, dass er keine andere Wahl hatte, als Herbert Kickl mit der Regierungsbildung zu beauftragen.
Klientelpolitik und das Festhalten an Maximalpositionen haben die Verhandlungen zwischen ÖVP, SPÖ und den liberalen Neos erheblich erschwert. Darüber hinaus scheint ein Teil der ÖVP die Verhandlungen absichtlich torpediert zu haben, da einige Akteur*innen der FPÖ ideologisch näherstehen – sowohl in wirtschaftlichen als auch in kulturellen Fragen.
Viele Beobachter sehen in Kickl bereits den nächsten Viktor Orbán. Ein zutreffender Vergleich?
Der Vergleich ist aus mehreren Gründen nachvollziehbar. Früher waren Feind*innen der Demokratie klar erkennbar, da sie ihre Absichten offen zur Schau stellten. Heute hingegen bezeichnen sich diese nahezu alle als Demokrat*innen, während sie die Demokratie im Namen einer angeblich „besseren“ Demokratie unterminieren. Das erschwert es, undemokratische Akteur*innen rechtzeitig zu erkennen.
„Herbert Kickl sieht Viktor Orbán als Vorbild“
Doch wir kennen inzwischen einige Frühwarnzeichen. Wenn sich Herbert Kickl als „Volkskanzler“ inszeniert, der das Land retten wolle, wenn er gegen die Justiz und kritische Medien wettert und Gegner*innen als „Volksverräter“ diffamiert, sollte das alarmieren. Kickl hat mehrfach betont, dass er Ungarn unter Viktor Orbán als Vorbild sieht und Österreich in eine ähnliche „Festung“ umwandeln möchte. Dabei zeigt er sich weniger erratisch als etwa Donald Trump, sondern vielmehr als kaltblütiger Stratege. Das hilft, die Demokratie gezielt zu untergraben.
Allerdings braucht er dafür die Mehrheit im Parlament, über die seine FPÖ allein nicht verfügt. Die entscheidende Frage ist daher, ob die ÖVP bei seinen Plänen mitziehen würde. Diese Frage ist offen. Die Geschichte westlicher Demokratien zeigt, dass die radikale Rechte ihre antidemokratischen Programme nur dann umsetzen konnte, wenn sie von konservativen Parteien unterstützt wurde. Ob Kickl tatsächlich ein österreichischer Orbán werden kann, wird letztlich von der Haltung der ÖVP abhängen.
In Deutschland befürchten einige vor der Bundestagswahl bereits „österreichische Verhältnisse“. Was kann die Bundesrepublik von den politischen Entwicklungen beim südlichen Nachbarn lernen?
Lernbereitschaft ist ein gutes Stichwort. Hier haben die Rechtspopulist*innen einen deutlichen Vorsprung. Sie lernen voneinander, kooperieren grenzüberschreitend und agieren ohne die Arroganz, die viele etablierte Parteien in westlichen Ländern – auch in Deutschland – zeigen. Viele neigen dazu, zu glauben, ihre Länder seien einzigartig, und dass sie daher wenig von anderen lernen könnten, insbesondere von Ländern ohne lange demokratische Tradition.
Kickl ist da viel pragmatischer. Er ist überzeugt davon, viel von Orbán lernen zu können, und glaubt, dass sich ähnliche Methoden in Österreich umsetzen ließen. Orbáns Narrativ von der äußeren Bedrohung, welcher nur er als „Retter der Nation“ begegnen könne, hat Kickl bereits übernommen.
Diese strategische Lernbereitschaft macht ihn besonders gefährlich – und er ist bei Weitem nicht der Einzige. Der künftige US-Vizepräsident J.D. Vance hat Ungarn oft als Vorbild genannt, während Benjamin Netanjahus Regierung sich von der polnischen PiS-Parteiberaten ließ, wie man die Justiz „reformiert“, sprich: unter Kontrolle bringt.
Ratschläge zur Verteidigung der Demokratie im Ausland einholen
Demgegenüber ist es schwer vorstellbar, dass deutsche Politiker gezielt nach Rumänien oder Bulgarien reisen würden, um sich dort Ratschläge zur Verteidigung der Demokratie einzuholen. Dabei gibt es durchaus erfolgreiche Beispiele: Die polnische Opposition konnte 2023 die PiS-Regierung besiegen, und in Israel haben massenhafte Proteste der Zivilgesellschaft zumindest vorläufig eine Justizreform gestoppt, welche die Demokratie bedrohte. Doch nur wenige in Deutschland schauen genauer hin.
Ähnlich wie in Österreich liegt der Fokus prodemokratischer Akteur*innen in Deutschland fast ausschließlich auf dem eigenen Land. Es fehlt an Bereitschaft, aus den Erfahrungen anderer zu lernen – besonders wenn diese Länder wie Polen aus dem ehemaligen Ostblock stammen oder wie Israel in politisch instabilen Regionen liegen. Diese „Wir sind anders“-Mentalität birgt die Gefahr, dass prodemokratische Kräfte wichtige Chancen verpassen könnten. Demokratische Akteur*innen müssen lernen, ihre Perspektive zu weiten und von Erfolgen in anderen Ländern zu profitieren.
Die FPÖ steht in Umfragen bei über 35 Prozent, die AfD immerhin bei 20 Prozent. In den USA hat Donald Trump die Wahl haushoch gewonnen. Was machen die etablierten Parteien falsch und wie ist dem Populismus beizukommen?
Wir kapieren immer noch nicht, dass Leute wie Trump oder Kickl mit Emotionen spielen und somit Wahlen gewinnen. Politik ist eine „battle of narratives“ – eine Schlacht um die überzeugendere Erzählung. Genau hier punkten Populist*innen, während viele andere Parteien diesen zentralen Aspekt vernachlässigen.
Trump, Kickl und andere nutzen Erkenntnisse der Sozialpsychologie geschickt für ihre Rhetorik. Menschen sind Herdentiere, sie sehnen sich nach Zugehörigkeit. Aus diesem Grund wirken „Wir gegen die anderen“-Erzählungen so stark – besonders wenn sie auf die Zugehörigkeit zur Nation abzielen.
Die Bedeutung der nationalen Identität wird häufig unterschätzt, obwohl Umfragen immer wieder zeigen, wie zentral sie für viele Menschen ist. Fühlen sich Menschen bedroht, neigen sie zu irrationalem Verhalten. Kritische Aspekte wie die undemokratische Haltung populistischer Politiker*innen werden entweder ignoriert oder damit gerechtfertigt, dass sie angeblich notwendig seien, um die Bedrohung zu bekämpfen. Das gilt insbesondere dann, wenn die Menschen ihre Nation oder Identität als bedroht empfinden.
„Es braucht ein überzeugendes Gegennarrativ“
Die Antwort auf diese Erzählung kann nicht darin bestehen, diese Ängste zu ignorieren oder herabzuspielen. Stattdessen braucht es ein überzeugendes Gegennarrativ, das die emotionalen Bedürfnisse und Sorgen der Menschen aufgreift, ohne dabei in populistische Muster zu verfallen. Die Pol*innen und Israel*innen haben das verstanden. In beiden Ländern haben prodemokratische Kräfte auf emotionale, klare Gegenerzählungen gesetzt, welche die Menschen mobilisiert haben. Das war eine strategische Entscheidung, die entscheidend zum Erfolg beigetragen hat.
Filip
Milačić
Die Lösungen und Aussagen etablierter Parteien müssen konkreter und entschlossener werden
Können Sie konkrete Beispiele nennen?
In Polen stand vor der letzten Wahl die EU-Mitgliedschaft im Zentrum der Erzählung der Opposition. Die regierende PiS-Partei wurde als Bedrohung für das Land dargestellt, da ihre autoritäre Politik langfristig zu einem Austritt aus der EU und zu einer Abkehr von der westlichen Gemeinschaft führen werde. Dieses Narrativ war sehr wirkungsvoll, weil für viele Polen die Zugehörigkeit zum Westen ein zentraler Bestandteil ihrer nationalen Identität ist.
In Israel stand wiederum die eigene Demokratie im Mittelpunkt. Die Anführer der Protestbewegung präsentierten sich als die wahren Wächter des Landes, als die Verteidiger eines demokratischen und jüdischen Staates, wie er in der Unabhängigkeitserklärung definiert ist. Die Regierung hingegen wurde als Gefahr für diese Identität dargestellt, da sie mit ihrer Politik versuche, Israel in Richtung eines autoritären Systems zu bewegen, welches der historischen und kulturellen Identität des Landes fremd sei.
Beide Beispiele zeigen: Sachpolitik allein reicht nicht aus. Sie muss eingebettet werden in ein emotionales Narrativ, das an die kollektive Identität und die grundlegenden Werte der Gesellschaft appelliert. Nur so können pro-demokratischeKräfte erfolgreich mobilisieren und den Populismus wirksam bekämpfen.
Wie sollten diese Narrative kommuniziert werden?
Neben der Entwicklung überzeugender Gegennarrative ist es entscheidend, die konkreten Konsequenzen bestimmter Politiken klar und greifbar zu machen. Aussagen wie „Die AfD bedroht die Demokratie“ sind für viele Wähler zu abstrakt. Auch bei der US-Wahl sind die Demokraten über zu abstrakte Botschaften gestolpert.
Wir wissen aus Umfragen, dass zahlreiche Menschen Demokratie mit Wahlen gleichsetzen. Solange sie wählen können, glauben viele, dass ihre Demokratie nicht in Gefahr sei. Deshalb ist es notwendig, ihnen anhand konkreter Beispiele zu erklären, wie zum Beispiel eine AfD-Politik ihre Rechte einschränken würde. Genau dies hat die polnische Opposition 2023 erfolgreich vorgemacht.
Warum Ungarn ein abschreckendes Beispiel ist
In Österreich hingegen haben es die etablierten Parteien versäumt, den Menschen klarzumachen, was es für sie konkret bedeuten würde, wenn Kickl Ungarns Premierminister Orbán nachahmt. Es würde ja nicht nur weniger Immigration bedeuten, sondern es hätte weitere weitreichende Konsequenzen. Zum Beispiel eine grassierende Korruption.
Laut Transparency International ist Ungarn das korrupteste Land der EU. Hinzu kommen ein kaputtes Gesundheitssystem – für einen Termin in einer orthopädischen Fachambulanz muss man sieben bis acht Monate warten – und die bevorzugte Behandlung von Parteianhängern bei der Jobsuche oder vor Gericht.
Solche Beispiele zeigen auf, wie tiefgreifend sich das Leben der Bürger verschlechtern würde. Ich glaube nicht, dass die Mehrheit der Deutschen in einem solchen System leben möchte. Da auch die AfD offen mit einem „Orbán-System“ liebäugelt, sollten die deutschen Parteien die Wählerinnen und Wähler genau mit diesen Auswirkungen konfrontieren.
Mehr Alltagsnähe und größere Emotionen sind also der Schlüssel zum Erfolg?
Ja, genau. Dieselbe, auf Emotionen basierende Strategie sollte auch im Umgang mit dem Thema Immigration angewendet werden. Parolen wie „Immigration ist gut für unsere Wirtschaft“ sind zu abstrakt und sprechen die Menschen emotional nicht an. Die Rechtspopulist*innen hingegen präsentieren vermeintliche Lösungen, die zwar nicht funktionieren, aber einfach, entschlossen und verständlich wirken. Das macht sie für viele Wähler attraktiv, besonders in Krisenzeiten.
Die Lösungen und Aussagen etablierter Parteien müssen daher konkreter und auch ein Stück weit entschlossener werden. Sie brauchen zudem eine Verbindung zum Alltag der Wähler und es bedarf positiver Beispiele: Erinnern sich die Menschen in Deutschland noch daran, wer den Biontech-Impfstoff entwickelt hat, der während der Corona-Pandemie Millionen Menschenleben gerettet hat? Wissen genug Menschen, dass ihre Kinder zur Schule fahren können, weil ein Zuwanderer den Schulbus steuert, oder dass ihre Eltern gut versorgt werden, weil eine Migrantin als Altenpflegerin arbeitet?
Solche Geschichten können emotional verfangen. Progressive Politiker*innen sollten daher die Erfolge ihrer eigenen Politik selbstbewusst und gleichzeitig lebensnah erklären. Nur so können sie in der politischen Auseinandersetzung punkten und den Populist*innen etwas entgegensetzen.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf ipg-journal.de
leitet die Redaktion des IPG-Journals. Zuvor war er Leiter des Regionalbüros „Dialog Osteuropa“ der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kiew. Er hat in Mainz und Kalifornien Politikwissenschaft, Jura und Amerikanistik studiert.
Machtpoker in Oestereich
Die Ausführungen von Herrn Milacic sind sehr zutreffend. Aber leider auch viel zu intelektuell.Das Problem, dass so viele Menschen den Mist von rechten Parteien glauben liegt doch einfach darann, dass unser Leben so kompliziert geworden ist, dass viele Menschen einfach überfordert sind. Einfach, aber verständliche Erklärungen würden mM nach helfen. Nicht, das ist falsch, sondern erklären, warum das falsch ist. Und bitte, auf wenige Punkte konzentrieren, sonst können die schlichten Gemüter nicht folgen.