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EU-Lieferkettengesetz: Wie sehr die FDP Deutschlands Ruf in der EU schadet

Der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken bezweifelt eine Einigung beim EU-Lieferkettengesetz vor der Europawahl. Die Schuld dafür sieht er bei der FDP, der es bei ihrer Kritik – anders als behauptet – gar nicht um zu viel Bürokratie gehe.

von Jonas Jordan · 26. Februar 2024
Tiemo Wölken ist SPD-Europaabgeordneter.

Der SPD-Abgeordnete Tiemo Wölken bezweifelt eine Einigung beim EU-Lieferkettengesetz vor der Europawahl.

In Deutschland gibt es bereits seit einigen Jahren ein Lieferkettengesetz, in Frankreich und einigen anderen Ländern auch. Durch das neue EU-Lieferkettengesetz sollte der Flickenteppich aus unterschiedlichen nationalen Regelungen durch eine EU-weit einheitliche Richtlinie ein Ende finden. Große Unternehmen sollten damit zur Rechenschaft gezogen werden, wenn sie etwa von Kinder- oder Zwangsarbeit außerhalb der EU profitieren. Sie sollten zudem stärker auf die Einhaltung der Pariser Klimaziele zur Begrenzung der Erderwärmung verpflichtet werden.

Keine Mehrheit ohne Deutschland

Doch daraus wird, wie berichtet, erst einmal nichts. Weil die FDP in letzter Minute blockierte, gab es keine einheitliche Meinung innerhalb der Bundesregierung. Deutschland hätte sich deswegen bei der entscheidenden Abstimmung im Europäischen Rat, der Vertretung der 27 EU-Mitgliedsstaaten, enthalten müssen. Notwendig für einen Beschluss ist dort ein Ja von mindestens 15 Staaten, die wiederum 65 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentieren müssen. Weil ein Beschluss ohne Deutschlands Ja wenig wahrscheinlich schien, wurde die Abstimmung kurzerhand verschoben.

Nun drängt die Zeit. Bis spätestens Mitte März müsste die Abstimmung über die Bühne gehen, um das ausgehandelte Vertragswerk bis zur Europawahl Anfang Juni noch zum Abschluss zu bringen. Auch wenn die EU-Kommission aktuell mit verschiedenen Vorschlägen versuche, eine Zustimmung zu organisieren, bezweifelt der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken, dass der Gesetzestext so wie verhandelt vor der Europawahl abgestimmt wird. „Für den derzeitigen Text des Lieferkettengesetzes ist die von der FDP erzwungene Enthaltung der Sargnagel“, sagt er im Gespräch mit dem „vorwärts“.

Wölken: „Die Enthaltung ist der Sargnagel“

Das Lieferkettengesetz ist in jüngster Zeit nicht das einzige Vorhaben auf europäischer Ebene, gegen das sich die FDP nach Verhandlungsabschluss positionierte. Ähnlich verliefen die Diskussionen beim Verbrenner-Aus und einer geplanten Richtlinie zur Plattformarbeit. In allen Fällen konnte die Bundesregierung nicht zustimmen, wodurch eine Mehrheit zunächst nicht zustande kam. 

Tiemo Wölken

Wenn das wegfällt, kannst du dich auf nichts mehr verlassen.

Bislang galt auf EU-Ebene das Ergebnis des Trilogs, also der Verhandlungen zwischen Kommission, Parlament und Rat, zwar nicht als rechtlich, aber doch als informell bindend. Das diszipliniere in den Verhandlungen, meint Wölken. „Wenn das wegfällt, kannst du dich auf nichts mehr verlassen“, glaubt er. Die FDP gewinne durch ihre ablehnende Haltung nichts, füge aber dem deutschen Ansehen innerhalb der EU einen riesigen Schaden zu. 

Argumente der FDP vorgeschoben

Dies werde bereits aktuell deutlich. Deutschland verliere an Gewicht. Die Diskussionen würden immer häufiger ohne Deutschland geführt, berichtet Wölken. Um die notwendige Mehrheit für Abstimmungen im Rat auch ohne die Zustimmung Deutschlands zu erhalten, bekämen Frankreich und Italien deutlich mehr Gewicht. „Das ist das, was so gefährlich an den Manövern der FDP ist“, argumentiert Wölken.

Mit Blick auf das Verhandlungsergebnis zur europäischen Lieferkettenrichtlinie sei das Verhalten der FDP auch inhaltlich nicht nachzuvollziehen. Das Bundesarbeitsministerium, das für die Bundesregierung federführend verhandelte, habe alle inhaltlichen Punkte berücksichtigt. Der FDP gehe es daher gar nicht – wie behauptet – um zu viel bürokratische Belastung für den deutschen Mittelstand, glaubt Wölken. Vielmehr wollten die Liberalen die vorgesehene Haftung für Unternehmen verhindern und die Pflichten nur auf die erste Stufe der Lieferkette begrenzen.

Klare Position der SPD

Die Position der SPD sei dagegen klar, wie der Parteivorstandsbeschluss in der vergangenen Woche gezeigt habe. „Wir sehen die Vorteile für deutsche Unternehmen. Denn in Deutschland gibt es ja bereits ein Lieferkettengesetz. Zudem darf unser Konsum nicht zu Menschenrechtsverletzungen und Umweltzerstörung führen“, macht Wölken deutlich. Die SPD habe sich für verschiedene Maßnahmen eingesetzt, die das Gesetz praktikabel machten. So seien Kleine und Mittlere Unternehmen ausgenommen. Erfasst sind nur Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeiter*innen und einem Jahresumsatz von mehr als 150 Millionen Euro. Nur in begrenzten Risikobereichen gilt schon eine Schwelle ab 250 Mitarbeiter*innen und einem Jahresumsatz von 40 Millionen Euro. Auch dürfen Sorgfaltspflichten nicht auf Kleine und Mittlere Unternehmen als Zulieferer übertragen werden. „Das haben wir explizit festgelegt“, sagt Wölken.

Sollte sich die FDP dennoch weiterhin quer stellen und eine erfolgreiche Abstimmung vor der Europawahl verhindern, so müsste in der neuen Konstellation nach der Wahl zwar nicht komplett neu verhandelt werden. Einfacher wird es jedoch voraussichtlich nicht. Denn das Problem bleibt gleich: „Der Rat müsste schauen, wie er eine neue Mehrheit findet.“ Ohne die Zustimmung Deutschlands dürfte das schwierig werden.

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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4 Kommentare

Gespeichert von Helmut Gelhardt (nicht überprüft) am Mo., 26.02.2024 - 15:56

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Dem Statement von Tiemo Wölken kann tendenziell zugestimmt werden.
Der inhaltlich entscheidende Passus ist: "Vielmehr wollen die Liberalen die vorgesehene Haftung für Unternehmen verhindern und die Pflichten nur auf die erste Stufe der Lieferkette begrenzen."
Wer es immer noch nicht kapiert hat: Die Lindner-FDP ist eine durch und durch neoliberale (marktextremistischer Kapitalismus) Partei. Sie wird erst dann dem jetzigen Entwurf des EU-Lieferkettengesetzes zustimmen, wenn dieser nach ihren neoliberalen Vorstellungen total verwässert ist. Die Lindner-FDP hat kein Interesse am Schutz der Menschenrechte und am Schutz der Umwelt im Globalen Süden.
Das Interesse der Lindner-FDP gilt dem Schutz der "Marktkonformen Demokratie" / der "Unsichtbaren Hand des Marktes." Das ist das Credo der Lindner-FDP !

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Di., 27.02.2024 - 06:34

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gänzlich ungeniert. Ich denke, diese Weisheit bringt die schändliche Politik der FDP auf den Punkt. Wir sollten die Koalition mit dieser Partei endlich aufkündigen und uns den Linken zuwenden

Es wäre zu schön, um es realisieren zu können, aber es würde nicht für eine Mehrheit im Bundestag reichen.

Auch würde ich bezweifeln, ob Scholz die Linken mit ins Boot nehmen würde.
Andererseits sollte die Rest-Linke sich überlegen, ob sie zur SPD zurückkehrt.

Gespeichert von Peter Boettel (nicht überprüft) am Mi., 28.02.2024 - 17:56

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Selbst alle Bemühungen von Hubertus Heil, durch Zugeständnisse, die FDP von ihrer Dauerblockade abzubringen, sind inzwischen gescheitert.
Wie wird Olaf Scholz diese destruktive Politik weiter dulden?