Wie das Verfassungsgericht vor seinen Feinden geschützt werden soll
Unter anderem mit einem Ersatzwahlmechanismus soll das Bundesverfassungsgericht vor einer Übernahme durch die AfD, aber auch vor einer Verschleppung der Richterwahl geschützt werden. Die Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU wollen dafür noch in diesem Jahr das Grundgesetz ändern.
IMAGO / Political-Moments
Sie sollen keiner politischen Willkür unterworfen sein: Die Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU wollen die Stellung der Richter*innen am Bundesverfassungsgericht stärken.
Es ist eine gemeinsame Initiative. Das Bundesverfassungsgericht soll besser vor der Einflussnahme von Verfassungsfeinden geschützt werden. Darauf haben sich die Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU geeinigt. Bis Ende des Jahres soll das Grundgesetz entsprechend geändert werden.
AfD und BSW könnten eine Sperrminorität erhalten
Die Ausgangslage: Das Bundesverfassungsgericht besteht aus zwei Senaten mit je acht Richter*innen. Diese haben eine zwölfjährige Amtszeit und sind nicht wiederwählbar. Die Hälfte der Richter*innen wird im Bundestag gewählt, die andere Hälfte im Bundesrat. Für die Wahl ist jeweils eine Zwei-Drittel-Mehrheit erforderlich, so dass sich Regierung und Teile der Opposition über die Kandidat*innen einigen müssen. Derzeit sind die Vorschlagsrechte für die 16 Richter*innenposten auf CDU/CSU (6), SPD (6), Grüne (2) und FDP (2) aufgeteilt.
Probleme könnte es geben, wenn die AfD allein oder gemeinsam mit dem BSW von Sarah Wagenknecht nach der nächsten Bundestagswahl mehr als 33 Prozent der Sitze im Bundestag erringt. Die AfD hätte dann eine Sperrminorität und könnte verlangen, auch an der Verfassungsrichterwahl beteiligt zu werden. Und wenn die anderen Fraktionen darauf nicht eingehen, könnte sie als Druckmittel deren Vorschläge nicht wählen. Damit wäre die Richter*innenwahl blockiert. Zwar würde so das Bundesverfassungsgericht nicht sofort lahmgelegt, weil ausscheidende Richter*innen dann eben weiterarbeiten müssen, bis ein*e Nachfolger*in gewählt ist. Auf Dauer geht das aber nicht gut.
So soll der Ersatzwahl-Modus funktionieren
Deshalb haben sich die vier Fraktionen von SPD, Grünen, FDP und CDU/CSU nun auf einen Ersatzwahl-Modus geeinigt: Wenn die Wahl eines Verfassungsrichters im Bundestag sechs Monate lang nicht gelingt, ist stattdessen die Wahl im Bundesrat möglich. Die Gefahr, dass die AfD dort auch eine Sperrminorität von einem Drittel erreicht, ist deutlich geringer (es würde nicht einmal genügen, dass die AfD in allen ostdeutschen Bundesländern inklusive Berlin an der Regierung beteiligt ist).
Derselbe Ersatzwahlmechanismus soll umgekehrt auch gelten, wenn die Verfassungsrichter*innen-Wahl im Bundesrat blockiert ist und im Bundestag nicht. Das ist allerdings recht unwahrscheinlich.
Daneben sieht die Einigung der vier Fraktionen vor, wesentliche Strukturmerkmale des Bundesverfassungsgerichts im Grundgesetz festzuschreiben, etwa dass es zwei Senate mit je acht Richter*innen gibt. So soll verhindert werden, dass die AfD – sollte sie sogar die absolute Mehrheit im Bundestag erringen – einfach neue Senate einrichtet oder bisherige Senate aufstockt und die neuen Richter*innen dann mit einfacher Mehrheit wählen lässt. So könnte sie binnen weniger Jahre das Bundesverfassungsgericht mit genehmen Richter*innen besetzen, die einer AfD-Regierung dann möglicherweise nicht wehtun werden.
CDU und CSU halten sich ein Hintertürchen offen
Erstaunlicherweise ist bei der Grundgesetzänderung aber gerade nicht vorgesehen, auch die Zwei-Drittel-Mehrheit für die Richter*innenwahl in der Verfassung festzuschreiben. Die AfD könnte mit einer Mehrheit im Bundestag dann zwar keinen dritten Senat für das Bundesverfassungsgericht einführen, aber sie könnte für alle neuzuwählenden Richter*innen zu ihren Gunsten die einfache Mehrheit vorsehen.
Dieser nur halbherzige Plan wurde von der CDU/CSU durchgesetzt. Sie will sich die Hintertür offenhalten, die Zwei-Drittel-Mehrheit abzusenken. So soll notfalls eine Blockade der Richter*innenwahl durch die AfD verhindert werden, wenn diese mehr als 33 Prozent der Sitze im Bundestag erringt. Eigentlich ist dies aber überflüssig, weil für diesen Fall ja bereits der Ersatzwahlmechanismus eingeführt wird.
Die Gespräche wurden bis zuletzt vertraulich gehalten
Vertreter*innen der vier Fraktionen stellten die Einigung an diesem Dienstag bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Justizminister Marco Buschmann (FDP) vor. „Es ist ein guter Tag für die Verfassungskultur im Land“, freute sich Buschmann. „Jetzt ist der Rechtsstaat noch besser gegen Verfassungsfeinde abgesichert“, bilanzierte SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner. Sein Kollege Ansgar Heveling (CDU/CSU) lobte die gute Zusammenarbeit der „Fraktionen der Mitte“.
Tatsächlich war es über Monate hinweg gelungen, die Arbeit an dem Kompromiss vertraulich zu halten. Das Projekt war heikel, weil die CDU/CSU im Februar schon einmal ausgestiegen war. Fraktionschef Friedrich Merz bekam daraufhin aber soviel Gegenwind, auch aus der eigenen Fraktion, dass er schnell zurückruderte.
Der gemeinsame Gesetzentwurf soll nun den Fraktionen vorgestellt und dann von diesen in den Bundestag eingebracht werden. Bis Ende des Jahres sollen die Grundgesetzänderungen in Bundestag und Bundesrat beschlossen sein.
"Tatsächlich war es über…
"Tatsächlich war es über Monate hinweg gelungen, die Arbeit an dem Kompromiss vertraulich zu halten. "
Es gab also ein Geheimtreffen von Politikern, die hinter verschlossener Tür die Änderung des Grundgesetzes geplant haben.