Inland

Umgang mit der AfD: „Zu sagen: Das sind Rechtsextremisten, reicht nicht.“

Was hilft gegen die AfD? Im Interview sprechen SPD-Chefin Saskia Esken und der Ostbeauftragte der Bundesregierung, Carsten Schneider, über die Rolle des Rechtstaats, Risiken eines Verbotsverfahrens und was ein „Dexit“ für Ostdeutschland bedeuten würde.

von Karin Nink und Kai Doering · 16. Februar 2024
Saskia Esken und Carsten Schneider: Niemand sollte ein AfD-Verbotsverfahren anstreben, wenn nicht eine hohe Erfolgsaussicht gegeben ist.

Saskia Esken und Carsten Schneider: Niemand sollte ein AfD-Verbotsverfahren anstreben, wenn nicht eine hohe Erfolgsaussicht gegeben ist.

Seit Wochen sind bundesweit jeden Tag Tausende von Menschen auf der Straße, um gegen Rechtsextremismus und für Demokratie zu demonstrieren. Hat Sie die Kraft dieser Bewegung überrascht?

Saskia Esken: Ich finde es sehr, sehr beeindruckend, dass Menschen überall im Land, in den großen Städten und in den kleinsten Ortschaften, auf die Straße gehen. Vielen Menschen wurde mit der Berichterstattung über das Treffen in der Potsdamer Villa bewusst, wie fest die Netzwerke der AfD mit rechtsextremistischen Kräften in und außerhalb Deutschlands geknüpft sind. Nun erheben Menschen und Institutionen aus der breiten demokratischen Mitte unserer Gesellschaft ihre Stimme und sagen: Lasst die Finger von unseren Nachbarn, Freunden, Kollegen, lasst die Finger von unserer Demokratie. Das gibt Hoffnung.

Carsten Schneider: Auch mich beeindruckt und bestärkt das. Ich finde es ermutigend, wie vielen Menschen es ein Bedürfnis ist, sich zur Demokratie zu bekennen. Noch mehr als die Demos in den großen Städten beeindrucken mich die Teilnehmerzahlen in den kleineren Städten, gerade bei uns im Osten. Dort braucht es wirklich Mut auf die Straße zu gehen und die Schweigespirale der politischen Mitte zu durchbrechen.

In den vergangenen Jahren gab es die Anschlagsserie des NSU, den Mord an Walter Lübcke und den Anschlag von Hanau. Alle hatten rechtsradikale Hintergründe. Warum gab es diesen öffentlichen Aufschrei nicht viel früher?

Esken: Viele dieser entsetzlichen Taten, über 200 rechtsextremistisch und rassistisch motivierten Morde in den vergangenen 35 Jahren, sind als Taten verwirrter Einzeltäter*innen wahrgenommen worden. Jetzt wird aber deutlicher als je zuvor: Diese Rechtsextremist*innen agieren planvoll und vernetzt. Sie haben abscheuliche Pläne zur massenhaften Deportation unserer Mitbürger*innen mit Migrationsgeschichte. Und sie haben mit der AfD einen parlamentarischen Arm, der an Zustimmung gewinnt und der in viel zu vielen unserer Parlamente sitzt. 

Schneider: Die Deportationsphantasien der Rechtsextremen sind eine konkrete Bedrohung. Plötzlich geht es um eine Freundin, meine Klassenkameradin, meinen Fußballtrainer, meinen Arbeitskollegen. Sie alle könnten die Folgen einer menschenfeindlichen Politik zu spüren bekommen. 

Esken: Auch in der SPD-Bundestagsfraktion berichteten Kolleginnen und Kollegen von ihren Kindern, die fragen: „Müssen wir jetzt gehen?“ Die massive Bedrohung ist jetzt auch in der breiten Bevölkerung angekommen, und natürlich auch die Erkenntnis: Da hört es ja nicht auf.

Carsten
Schneider

Die Gefahr, dass die AfD bei den Wahlen mehr Einfluss gewinnt, ist in Thüringen leider real. Deshalb erwarte ich von jeder anderen Partei, dass sie eine Zusammenarbeit in jeglicher Form ausschließt.

Im jüngsten „Deutschlandtrend“, hat sich die Zahl derer, die Rechtspopulismus und Rechtsextremismus als größte Gefahr sehen, verdoppelt. Was muss daraus folgen?

Schneider:  Es ist wichtig, dass politisches Engagement und das neu gewonnene Bewusstsein über den Schutz unserer Demokratie in eine nachhaltige Form stärkerer Beteiligung mündet. Allein mit der Teilnahme an einer Demo lässt sich der Rechtsextremismus nicht bekämpfen. Deshalb müssen demokratische Parteien wie die SPD das Momentum und die  gestiegene Politisierung nutzen, um sich weiter zu öffnen und mehr Menschen dafür zu gewinnen, in einer der demokratischen Parteien mitzuarbeiten.

Gerade vor den Kommunalwahlen, die im Juni in neun Bundesländern stattfinden, müssen wir dafür werben, dass mehr Menschen ihre Beteiligungsmöglichkeiten nutzen und sich auch selbst zur Wahl stellen. Bei mir waren übrigens damals die rassistischen Übergriffe von Lichtenhagen und Hoyerswerda Anfang der Neunziger Jahre der Impuls, politisch aktiv zu werden. 

Esken: Für die vielen Menschen, die da jetzt in großer Sorge auf die Straße gehen, wäre das Engagement vor Ort ein Weg, ihren Einsatz zu verstetigen, und die Mitwirkung in einer Partei ist dazu nicht der schlechteste Weg. Nicht umsonst verzeichnen wir derzeit ein erhöhtes Interesse an einer SPD-Mitgliedschaft. 

Doch auch die zivilgesellschaftlichen Organisationen überall im Land, die sich um Vielfalt und Zusammenhalt bemühen und so unsere Demokratie stärken, müssen wir als Politik unterstützen. Für eine langfristige, institutionelle  Finanzierung ihrer Arbeit müssen wir jetzt endlich das Demokratiefördergesetz im Bundestag beschließen. Die FDP muss sich da endlich bewegen. 

Gleichzeitig muss unser Rechtsstaat dem Rechtsextremismus als größte Bedrohung unserer Demokratie klare Kante zeigen. Er muss gegen rechtsextreme Netzwerke spürbar vorgehen, ihre Finanzströme austrocknen und Volksverhetzung und Hass-Kriminalität konsequent verfolgen und bestrafen. Rechtsextremisten müssen konsequent aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden. Unsere Justiz und auch die Medien müssen vor rechtsexremistischem Einfluss geschützt werden. Und wir müssen die digitalen Plattformen beim Kampf gegen Hassrede und gegen Kampagnen zur Desinformation und Spaltung unserer Gesellschaft strikt in die Pflicht nehmen.

Gehören auch die Prüfung eines AfD-Verbots dazu und der Entzug der staatlichen Parteienfinanzierung?

Esken: Diese Instrumente sind in unserer Verfassung verankert, ebenso die Verwirkung der Grundrechte. Doch sie sind als schärfste Schwerter unserer wehrhaften Demokratie zurecht mit hohen Hürden versehen. Wenn die Erkenntnisse, die die Verfassungsschutz-Ämter ja laufend zusammenzutragen, als gesichert erscheinen lassen, dass eine die Gefährdung unserer demokratischen Grundordnung vorliegt, dann liegt die politische Entscheidung bei Bundestag, Bundesrat oder Bundesregierung, einen entsprechenden Antrag beim Bundesverfassungsgericht zu stellen. Niemand sollte ein solches Verfahren anstreben, wenn nicht eine hohe Erfolgsaussicht gegeben ist.

Schneider: Die Anforderungen für ein Parteienverbot sind klar festgelegt. Klar ist aber auch, dass ein Verbotsverfahren eine sehr langfristige Sache wäre und auch zu mehr Solidarisierung mit der Partei führen könnte. Die Gefahr, dass die AfD bei den Wahlen mehr Einfluss gewinnt, ist in Thüringen leider real. Deshalb erwarte ich von jeder anderen Partei, dass sie eine Zusammenarbeit in jeglicher Form ausschließt. Wir als SPD sind da klar. Bei anderen Parteien bin ich mir nicht so sicher.

Saskia
Esken

Die Menschen müssen wissen: Die AfD hat einen rechtsradikalen Kern und nicht einen rechtsradikalen Flügel, und Björn Höcke ist keine Randfigur.

Immer wieder wird gefordert, die demokratischen Parteien müssten die AfD inhaltlich stellen. Was bedeutet das konkret?

Schneider: Wir haben uns bisher zu wenig inhaltlich mit den Positionen der AfD auseinandergesetzt. Das sage ich durchaus selbstkritisch. Was bedeutet es denn, wenn die AfD ihr Gesellschaftsbild durchsetzen könnte? Wer würde von ihrer Politik profitieren und wer verlieren? 

Zum Beispiel für ostdeutsche Frauen, die ein selbstbewusstes, emanzipiertes, voll berufstätiges Leben führen, muss es ein Graus sein, wenn sie die Gesellschaftspolitik der AfD sehen. Das müssen wir in den politischen Auseinandersetzungen viel deutlicher machen. Allein zu sagen: „Das sind Rechtsextremisten“, reicht nicht. 

Esken: Wir müssen beides tun! Zum einen müssen wir den rechtsextremistischen Charakter der AfD, den sie mit beschönigenden Begriffen zu vernebeln sucht, deutlich benennen. Wenn die AfD und andere Akteure der „Neuen Rechte“ von „Remigration“ sprechen, dann ist es unsere Aufgabe, klarzumachen, was damit gemeint ist: Die massenhafte Deportation von Menschen mit Migrationsgeschichte. 

Die Menschen müssen wissen: Die AfD hat einen rechtsradikalen Kern und nicht einen rechtsradikalen Flügel, und Björn Höcke ist keine Randfigur. 

Gleichzeitig müssen wir deutlich machen, dass die Programmatik der AfD nichts anderes ein Abrissprogramm für unseren wirtschaftlichen Wohlstand darstellt, das zuallererst die Beschäftigten treffen würde. Nichts wäre gefährlicher für unsere international vernetzte, exportorientierte Volkswirtschaft als ein Austritt aus der Europäischen Union oder eine Unterwerfung gegenüber Russland. 

Auch die Ignoranz der AfD gegenüber dem Klimawandel ist eine Gefahr für unsere Wirtschaft und träfe gerade die Menschen, die sich vor den Folgen der Klimakatastrophe, vor Hitze, Dürre und Flutkatastrophen nicht selbst schützen können. Die AfD ist eben nicht wie von ihr vorgegeben ein Sachwalterin der Interessen des sogenannten kleinen Mannes, sondern sie ist eine radikal wirtschaftsliberale Reichenpartei.

Neben den Landtags- und Kommunalwahlen steht am 9 Juni auch die Europawahl an. Was würde es bedeuten, wenn die rechtsextremen Kräfte dort deutlich zulegen?

Esken: Dieser Rechtsruck ist tatsächlich ein gesamteuropäisches Phänomen. Wir haben Rechtspopulist*innen und sogar rechtsextreme Parteien, die Regierungen stützen, tolerieren oder sogar anführen. Das ist eine Entwicklung, die wir als Sozialdemokraten mit großer Sorge beobachten. Diese Populist*innen bedienen leider mit Erfolg die Ängste der Menschen vor Veränderung und die Sorge: Was wird denn aus meiner Zukunft? Gibt es noch eine gute Zukunft für meine Kinder? Wie wird sich das alles entwickeln?

Dabei wissen wir: Nur ein starkes und vereintes Europa kann sich in der globalen Wirtschaft behaupten. Nationalstaaten können das nicht. Und dieses starke Europa muss auch ein soziales Europa sein, das dafür sorgt, dass es kein Sozial-Dumping und kein Lohn-Dumping gibt, dass wir uns nicht gegenseitig unterbieten mit billigsten Löhnen, sondern dass wir uns gegenseitig stützen. All dem stehen die Parteien der extremen Rechten mit ihrem Konzept eines „Europas der Vaterländer“ diametral gegenüber.

Welche Rolle spielt Europa für die ostdeutschen Bundesländer?

Schneider: Eine ganz entscheidende. Mittlerweile kommen auch in meiner Heimat Thüringen knapp zehn Prozent der Beschäftigten aus dem Ausland, aus anderen EU-Staaten, häufig aus Ländern Mittel- und Osteuropas. Sie helfen, das Land am Laufen zu halten. Das müssen wir denen, die unmittelbar davon profitieren – den Unternehmen, den Handwerkern, den Mittelständlern – viel stärker deutlich machen. 

Auch profitiert Ostdeutschland besonders von umfangreichen EU-Förderungen in Milliardenhöhe, dazu kommt ein erheblicher Handel mit anderen europäischen Ländern. Ohne die EU wären wir wesentlich schlechter dran.

Autor*in
Karin Nink und Kai Doering

sind Chefredakteurin und stellvertretender Chefredakteur des „vorwärts“.

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1 Kommentar

Gespeichert von Tom KAperborg (nicht überprüft) am Mo., 19.02.2024 - 21:06

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Bei einem weitgehenden Stopp der von den meisten Buergern ungewollten Masseneinwanderung, hat sich die AFD als "Volkspartei" (die und Volkspartei, laecherlich!) erledigt. Die faellt dann unter 5% und Sarah's eigenes Ding (SED - aehh.... BSW) auch. Die braucht ja jetzt auch keiner - Weimar laesst gruessen. Die Sozialpolitik der SPD ist doch ok, Herr Heil macht einen super Job, denke ich, Oskar's Ehegattentruppe macht das sicherlich nicht viel besser. Leute der AFD sagten doch mal sowas wie "... man kann auch eine Niere verkaufen, wenn das Geld nicht reicht." - ich erinnere das schon richtig - was war den das fuer ein Unmensch? Immere wieder den menwchenfeindlichen "Scheissdreck" dieser kackbraunen Truppe zitieren - ja ist eine Menge Arbeit beim Sammeln der Infos, hat aber den Charme der Entlarvung dieser Truppe. Bei den dann folgenden Dementi und "war nicht so gemeint" Pseudoentschuldigungen in der Oeffentlichkeit faellt immer mehr auf, dass die entweder genau so eingestellt sind oder nicht die FAehigkeit besitzen sich unmissverstaendlich in deutscher Sprache auszudruecken. In die rchte Ecke stellen - ist mir auch schon passiv passiert aufgrund meiner seit 2015/2016 geaeusserten Kritik an der Migrationspolitik - beleidigt nur die Leute und hat die Tabugrenze nach rechts bereits in Teilen erfolgreich eingerissenj, ganz so wie ich das seinerzeit schon befuerchtete. Die Prinzipienreiterei bringt eben nichts ein - irgendwann ist sowieso Schluss, siehe Schweden und Niederlande. Daenemark ist da deutlich vernuenftiger und das sieht man auch in den Wahlergebnissen dort - 20% rechtsaussen gibt es da nicht.