Warum Boris Pistorius das Wehrpflicht-Modell Schwedens favorisiert
Soll Deutschland die Wehrpflicht wiedereinführen? Auch für Frauen? Und brauchen wir zusätzlich eine allgemeine Dienstpflicht? Auf all diese heiklen Fragen gibt Verteidigungsminister Boris Pistorius nun Antworten. Und eröffnet eine Debatte.
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Für die Wehrpflicht: Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (l.) mit seinem schwedischen Amtskollegen Pal Jonson am 5. März 2024 in Schloss Karlsberg
Dass Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius die Aussetzung der Wehrpflicht angesichts des russischen Krieges gegen die Ukraine für „einen Fehler“ hält, betont er schon seit Monaten. Beim Besuch seines Amtskollegen in Schweden sagt er nun konkret, wie er mehr Soldat*innen für die Bundeswehr gewinnen will: durch die Wehrpflicht. Sie ist ein wichtiges Thema seines Besuches beim künftigen NATO-Partner Schweden am Dienstag.
So sei sie ein „Grund, warum ich hier bin“ und warum er sich „sehr gerne hier informiere“, sagt Pistorius. „Wir prüfen in Deutschland einen Schritt, den ihr schon gegangen seid“, sagt er zu seinem schwedischen Amtskollegen Pal Jonson, „nämlich ob wir die 2011 ausgesetzte Wehrpflicht reaktivieren könnten und schauen uns dabei auch das schwedische Modell an.“
Boris Pistorius lässt die Katze aus dem Sack
Und dann positioniert sich Pistorius deutlich: „Ich hätte schon ein besonderes Faible für dieses Modell.“ Es ist eine Art Musterpflicht: Alle jungen Frauen und Männer werden in Schweden gemustert. Aber nur ein bestimmter Teil erhält dann Angebote für einen Dienst. Es sind fünf bis zehn Prozent eines Jahrgangs. „Mir scheint das schwedische (Modell) eines zu sein, was besonders geeignet ist“, sagt Pistorius.
Seine Begründung: „Weil es einerseits einen ganzen Jahrgang erfasst, damit eine Verbindung herstellt zwischen der jeweiligen Generation, dem jeweiligen Jahrgang und den Streitkräften, dass aber gleichzeitig gar nicht alle eingezogen werden.“ Der Verteidigungsminister will in Schweden genau „schauen, was sich übertragen lässt oder was modifiziert werden muss“. Es sei schon jetzt erkennbar, dass „das nicht eins zu eins“ kopiert werden könne auf Deutschland.
Zu wenig freiwillige Soldat*innen in Deutschland
Boris Pistorius will vor Ort klären: Wie funktioniert das Modell in Schweden? Wie sind die konkreten Erfahrungen? Lässt es sich grundsätzlich auf die Bundesrepublik übertragen? Welche rechtlichen und ressourcenmäßigen Voraussetzungen müssten dafür erfüllt sein? Wenn das alles geklärt sei, „dann gehen wir in die Diskussion in Deutschland“.
Die ist auch dringend nötig, schaut man sich die Personalzahlen der deutschen Streitkräfte an. So ist die angestrebte Personaloffensive der Bundeswehr im vergangenen Jahr nicht nur keinen Schritt vorangekommen. Ganz im Gegenteil ist die Zahl der Soldat*innen trotz der deutlich verstärkten Anstrengungen um 1.500 gesunken auf nur noch 181.500 Zeit- und Berufssoldat*innen sowie freiwillig Wehrdienstleistende.
Umfrage: Zwei Drittel der Deutschen für Wehrpflicht
Diese Zahlen sind umso enttäuschender und für viele Wehrexperten auch beunruhigender, da man angesichts des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine eigentlich auf ein höheres Interesse an der Bundeswehr und eine größere Verteidigungsbereitschaft in Deutschland gehofft hatte. Doch das ist nicht zu beobachten. So ist das Ziel, die Zahl der Soldat*innen bis 2031 auf 203.000 zu erhöhen, also deutlich schwieriger zu erreichen, als angenommen. Die von Pistorius vorgeschlagene Wiedereinsetzung der Wehrpflicht könnte auch darauf eine Antwort sein.
Rückenwind bekommt der Verteidigungsminister für seine Überlegungen in der Bevölkerung. Nach einer Meinungsumfrage des NDR von Ende Februar sind 58 Prozent der Befragten dafür, dass die Wehrpflicht in Deutschland wieder eingeführt wird. 33 Prozent sind dagegen.
„Es ist noch ein Diskussionsweg zurückzulegen“
Politischen Rückenwind bekommt Pistorius dagegen von den Ampel-Parteien noch wenig. Im Koalitionsvertrag ist die Wiedereinsetzung der Wehrpflicht überhaupt kein Thema. Niemand konnte 2021 schließlich den russischen Großangriff auf die Ukraine ahnen. Zudem gibt es einen Parteitagsbeschluss der SPD aus dem Jahr 2013, nur noch Freiwillige Wehrdienst leiten zu lassen. Der Verteidigungsminister kennt die politischen Schwierigkeiten, die ihn erwarten, sehr genau. „Es ist noch ein Diskussionsweg zurückzulegen“, sagt er diplomatisch.
Um dann am Dienstag in Schweden doch noch konkreter zu werden. So spricht er offen von „all den rechtlichen Fragen und den politischen, die noch gar nicht diskutiert worden sind“. Da gehe es etwa um fehlende Ressourcen in Deutschland für eine Wehrpflicht, wie Kasernen und Ausbilder*innen, die die Bundeswehr gar nicht in der nötigen Größenordnung hätte. „Von daher kann es nur um die Frage gehen, einen Einstieg zu finden“, so der Minister.
Pistorius: Wehrpflicht auch für Frauen
Aber dafür müssten eben wichtige rechtliche Fragen geklärt werden. Bisher gelte die Wehrgerechtigkeit „als großes Prinzip“. Sie sei auch „eine Ursache für die Aussetzung der Wehrpflicht – neben Geld“ gewesen, sagt Pistorius. Er weist darauf hin, wenn Deutschland die Wehrpflicht heute wieder in Kraft setzen würde, würde sie nur für Männer gelten, „was in diesen Zeiten kaum vorstellbar ist“. Boris Pistorius positioniert sich eindeutig: Man würde dann „sofort eine Debatte kriegen, berechtigterweise auch die Frauen miteinzubeziehen“. Das würde eine Grundgesetzänderung nötig machen. Nach der NDR-Umfrage sind mit 73 Prozent fast drei Viertel der Deutschen dafür, dass die Wehrpflicht auch für Frauen gelten sollte.
„Genauso wie die Frage sofort aufkäme und auch das zurecht – Schweden hat das ja – zu verknüpfen mit einem Modell einer allgemeinen Dienstpflicht.“ Auch hier bekennt Pistorius Farbe und sagt, „was ich auch begrüßen würde“.
„Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit“
Egal welche Richtung die Debatte in Deutschland auch nehmen wird, für den Verteidigungsminister ist schon heute eines glasklar: „Dass Sicherheit keine Selbstverständlichkeit ist und dass wir diese Diskussion führen müssen. Wir brauchen fähige und motivierte junge Frauen und Männer, um unsere Länder im Fall der Fälle auch verteidigen zu können.“
es hilft wohl nichts, wir müssen ran an die Wehrpflicht, denn
auf freiwilliger Basis bekommen wir die Bundeswehr ja nicht aufgebaut. Neue kommen nicht hinzu, und unter denen, die schon dabei waren, hat sich die Zahl der Kriegsdienstverweigerer im eigentlichen Sinne gut entwickelt.