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Studie zu AfD-Wählern: „Es braucht eine demokratische Gegenerzählung“

Warum wählen Menschen die AfD? Eine neue Studie befasst sich mit der Anhängerschaft der in Teilen rechtsextremen Partei. Rainer Faus von der Agentur pollytix erklärt, welche Erkenntnisse besonders besorgniserregend sind und was die demokratischen Parteien jetzt tun müssen.

von Finn Lyko · 28. August 2024
Die Stimmung vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ist angeheizt - in beiden Ländern könnte die AfD am 01. September stärkste Kraft werden.

Die Stimmung vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen ist angeheizt - in beiden Ländern könnte die AfD am 01. September stärkste Kraft werden.

In wenigen Tagen wird in Sachsen und Thüringen ein neuer Landtag gewählt, in einigen Wochen auch in Brandenburg. Im Vorfeld der Abstimmungen, aus denen die AfD deutlich gestärkt hervorgehen könnte, rückt eine neue Studie der Agentur pollytix die Motive von AfD-Wähler*innen in den Mittelpunkt.

Wer sind die Menschen, die die in Teilen rechtsextreme Partei wählen wollen? Und wie blicken sie auf die Demokratie und verschiedene gesellschaftliche Themen? Rainer Faus (Foto), Geschäftsführender Gesellschafter der Beratungsagentur pollytix, meint, es sei wichtig, die Debatte in diesen Fragen auf „informierten Boden zu stellen“. 

Was sind die wichtigsten Erkenntnisse der Studie?

In erster Linie, dass die Stimmung allgemein in Deutschland nicht gut ist. Bei AfD-Wähler*innen ist sie aber noch mal deutlich schlechter: Da konnten wir eine massive Unzufriedenheit mit der Bundesregierung wahrnehmen, zudem sehen AfD-Wähler*innen die Zukunft als fast schon apokalyptisch. Das Vertrauen in Demokratie, staatliche Institutionen und Medien ist kaum noch vorhanden. 

Was die Themen angeht, hat sich gezeigt, dass AfD-Wähler*innen sich deutlich gegen Klimaschutzmaßnahmen stellen, sehr kritisch gegenüber Migration und anfällig für Verschwörungserzählungen sind.

Außerdem haben wir uns angeschaut, wer diese Menschen eigentlich sind, die die AfD wählen – also vor allem, wie sie demografisch verortet werden können. Da konnten wir beispielsweise feststellen, dass sich viele als „abgehängt“ sehen – wenn man sich aber ihre Einkommen und ihre soziale Lage anschaut, sind sie das nicht unbedingt. 

Daraus lässt sich schließen, dass die AfD inzwischen in verschiedenen Milieus und in eigentlich allen Schichten gewählt wird. Und es ist wichtig zu beachten, dass sie meist nicht trotz ihrer rechten Positionen und Einstellungen gewählt wird, sondern gerade deswegen.

Haben die Ergebnisse Sie überrascht?

Da ich mich schon seit mehreren Jahren mit dem Thema beschäftige, waren wir bei pollytix vermutlich weniger überrascht, als es die Öffentlichkeit war. Dennoch ist es aus meiner Sicht besorgniserregend, dass wir hier in Deutschland eine große Anzahl von Wahlberechtigten haben, die sich weitgehend vom demokratischen System verabschiedet haben.

Wie äußert sich das?

Zum Beispiel am geringen Vertrauen in Politik und staatliche Institutionen, oder an der hohen Unzufriedenheit mit der Art, wie das demokratische System funktioniert. Mehr als 80 Prozent der AfD-Wähler*innen sagen, dass unser Land mehr einer Diktatur als einer Demokratie gleiche, mehr als ein Drittel meint, dass es gerechtfertigt sei, dass die Wut gegen Politiker*innen auch mal in Gewalt umschlage. Und: 40 Prozent von ihnen wünschen sich einen starken Führer, der sich nicht um Parlamente oder Wahlen kümmern muss.

Warum nimmt die Studie AfD-Wähler*innen in den Fokus?

Wir haben Daten von Wähler*innen aller Parteien erhoben. Wir wollten bei dieser Studie aber über diese spezifische Gruppe, also die AfD-Wähler*innen, informieren. Denn es gibt viele Mythen über sie, über die wir mit den Mitteln der Wahl- und Meinungsforschung aufklären wollen. Es geht uns dabei darum, die Debatte gerade im Vorlauf zu den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg auf einen informierten Boden zu stellen.

„Die AFD will das Land brennen sehen"

Laut der Studie gaben im November 2023 lediglich 42 Prozent aller Wahlberechtigten an, staatlichen Institutionen zu vertrauen. Sehen darin Sie Potenzial, dass in Zukunft noch mehr Menschen die in Teilen rechtsextreme AfD wählen werden?

Die Zufriedenheit mit und die Begeisterung für Politik ist allgemein in Deutschland aktuell nicht besonders hoch. Davon profitieren die AfD und ihr Umfeld natürlich. Das politische Vorfeld der Partei besteht ja zum Teil auch aus alternativen Medien – deren Strategie es ebenso ist, Unzufriedenheit zu säen. Sowohl die Partei als auch ihr Vorfeld wollen das Land brennen sehen.

Dazu kommt, dass das progressive Lager und die Mitte zudem sehr still sind, weil ihnen eine Vision und Orientierung fehlt. Auch da ist die Zufriedenheit nicht besonders hoch, und die breite gesellschaftliche Mitte ist dem rechten Diskurs mehr oder weniger schutzlos ausgesetzt. Es gibt kein deutlich sichtbares, progressives Angebot an die Mitte, und rechte Akteure sind im Diskurs momentan extrem laut. Dadurch sickern rechte Narrative leider auch zur Mitte durch.

Und die ist so leicht von rechts zu überzeugen?

Nicht unbedingt. Wir haben gleichzeitig auch gesehen, dass es Potenzial für Gegenbewegungen gibt – zum Beispiel Anfang dieses Jahres, nach den Enthüllungen von correctiv. Da wurde sichtbar, wie Gegenprotest auch die Mitte erfassen konnte. Denn natürlich wünscht sich die breite Mitte in Deutschland ein funktionierendes demokratisches System. 

Aus der Wahlforschung lässt sich außerdem ablesen, dass die Menschen, die aktuell nicht AfD wählen, die AfD auch zu einem sehr großen Teil völlig ablehnen. Da lässt sich mutmaßen, dass die Partei ihr Potenzial zu Zeiten vor den correctiv-Enthüllungen weitgehend ausgeschöpft haben könnte.

Allgemein gilt natürlich „schlimmer geht immer“, aber dass weite Teile der Mitte nach rechts abdriften, sehe ich kurzfristig nicht. Dafür muss die Politik sich aber auch den Problemen dieser Mitte annehmen, und nicht nur streiten und sich um sich selbst kümmern – denn das ist das Bild, das aktuell in der Öffentlichkeit sehr verbreitet ist, und das wirkt toxisch.

Dennoch scheint sich der politische und gesellschaftliche Diskurs aktuell nach rechts zu verschieben – vor allem in Sachen Migration. Auch Ihre Umfrage zeigte, dass der Wunsch nach einer Begrenzung der Zuwanderung seit geraumer Zeit in der Gesamtwählerschaft deutlich gestiegen ist.

Das ist eine Konsequenz aus dem Phänomen, das ich vorher beschrieben habe: Das rechte Lager ist besonders laut, und dadurch sickern die Narrative und Einstellungen dieses Lagers auch zur Mitte durch. Das lässt sich bei mehreren Themen beobachten.

Beim Thema Migration ist es vor allem das Narrativ „Die bekommen alles und wir bekommen nichts“, das schon lange besteht, und das auch in der gesellschaftlichen Mitte in Teilen Zuspruch findet. Das ist eine beunruhigende Entwicklung, die sich schon lange angebahnt hat.

Nach Angela Merkels „Wir schaffen das“ und der positiven Resonanz darauf hat die Bevölkerung kaum gesehen, dass danach auch tatsächliche Politik gefolgt ist, um „das zu schaffen“. Das Thema brodelt seit Jahren und es wird nach wie vor wenig Fortschritt gesehen – zum einen weil es zu wenig Fortschritt gibt, aber auch, weil wenig über Erfolge berichtet wird, und gleichzeitig das, was von rechts reingeschrien wird, verfängt.

Was müssen demokratische Parteien jetzt tun, um solchen Entwicklungen entgegenzuwirken?

In erster Linie würde ich sagen, dass es keine sinnvolle Strategie ist, wenn demokratische Parteien versuchen, die AfD zu kopieren – weder ihre Positionen, noch ihre Sprache. Das trägt zur Normalisierung der rechten Kräfte bei, und Wähler*innen gewinnt man so auch nicht zurück. 

Es braucht eine Gegenerzählung, ein positives Narrativ von der anderen Seite. Das andere ist, dass es die AfD aktuell insofern leicht hat, dass sie einfach gegen alles ist. Das ist ein Sentiment, das bei ihrer eigenen Klientel sehr gut wirkt. Damit müssen sie keine Vision anbieten.

Dabei brauchen Wähler*innen das. Sie brauchen Unterstützung und Orientierung, insbesondere wenn politische Entscheidungen auf den ersten Blick vielleicht schmerzen oder nicht verstanden werden. Die Leute wollen wissen, warum Dinge entschieden werden, und welches übergeordnete Ziel dahintersteckt. Da muss die Politik eine überzeugende Erzählung liefern. Eine aktuelle Erzählung, in welche Richtung Deutschland geht und warum das der richtige Weg ist, wird nicht gesehen.

Letztlich wird eine Regierung aber auch weniger nach ihrer Politik und mehr nach ihrem „Aussehen“ bewertet – und da hakt es aktuell gewaltig. Die Leute sehen Streit, sie sehen Dissonanzen, und sie wollen, dass ihre Alltagsprobleme gelöst werden. Sie wollen, dass ihr Leben einfacher wird und nicht schwerer, und eigentlich sind sie am zufriedensten, wenn sie nichts von der Politik hören und der Laden läuft.

Autor*in
FL
Finn Lyko

ist Volontärin in der vorwärts-Redaktion.

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