Inland

Scholz stellt Vertrauensfrage: Der Kanzler macht den Weg für Neuwahlen frei

Olaf Scholz hat im Bundestag die Vertrauensfrage gestellt. Verliert er sie – wie von ihm geplant – , kann der Bundespräsident Neuwahlen verfügen. Was aber passiert, wenn der Kanzler die Abstimmung gewinnt? In Berlin kursieren wilde Szenarien.

von Lars Haferkamp · 11. Dezember 2024
Olaf Scholz im Bundestag: Am 11.12.2024 stellt der Kanzler im Parlament die Vertrauensfrage in Form einer Drucksache an die Bundestagspräsidentin.

Olaf Scholz im Bundestag: Am 11.12.2024 stellt der Kanzler im Parlament die Vertrauensfrage in Form einer Drucksache an die Bundestagspräsidentin.

Bundeskanzler Olaf Scholz hat heute bei Bundestagspräsidentin Bärbel Bas die Vertrauensabstimmung beantragt. Mit seiner Vertrauensfrage erklärte Scholz am Mittwoch gegenüber der Presse im Bundeskanzleramt, „möchte ich den Weg frei machen für vorgezogene Bundestagswahlen“.

Olaf Scholz: Neuwahlen sind mein Ziel

Seinen Antrag will der Kanzler am Montag, den 16. Januar, dem Tag der Vertrauensabstimmung im Parlament, „ausführlich begründen“. Wenn die Abgeordneten den von Scholz vorgeschlagenen Weg beschreiten, „werde ich Bundespräsident Steinmeier am Montag Nachmittag vorschlagen, den Bundestag aufzulösen“. Folgt der Bundespräsident dem Vorschlag des Kanzlers, gibt es am 23. Februar 2025 Neuwahlen. „Das ist mein Ziel“, so Scholz.

„In einer Demokratie sind es die Wählerinnen und Wähler, die den Kurs der künftigen Politik bestimmen. Sie entscheiden bei der Wahl, wie wir die großen Fragen beantworten, die vor uns liegen“, betonte der Kanzler. Dabei gehe es etwa um darum, ob Deutschland als starkes Land auch kraftvoll in die Zukunft investieren könne. Ob Arbeitsplätze gesichert und die Industrie modernisiert werde, ob für stabile Renten, eine verlässliche Gesundheitsversorgung und gute Pflege gesorgt werde. Und schließlich „kommen wir einem gerechten Frieden in der Ukraine näher, ohne dass Deutschland in den Krieg hineingezogen wird“, so Scholz. 

Kanzler ruft zu Schulterschluss der Demokraten auf

Vor der Wahl geht es aus Sicht des Kanzlers noch „um wenige, aber ganz wichtige Entscheidungen, die aus meiner Sicht keinerlei Aufschub dulden“. Entscheidungen, die noch vor Jahresende zu treffen seien, um Arbeitsplätze zu sichern und die Bürger*innen zu entlasten. Dazu zählte der Kanzler die Erhöhung von Kindergeld und Kinderzuschlag, die Verhinderung der kalten Progression, das Deutschlandticket und die Stabilisierung der Strompreise.

Scholz appellierte an die Bundestagsabgeordneten: „Lassen Sie uns gemeinsam handeln, im Interesse der Bürgerinnen und Bürger.“ Für den Kanzler wäre „ein Schulterschluss der demokratischen Mitte in diesen wichtigen Fragen ein starkes Zeichen“. Deshalb seine Aufforderung an die Abgeordneten: „Lassen Sie uns dieses Zeichen gemeinsam setzen.“

Der Startschuss für die Vertrauensfrage

Das Antrag des Kanzlers zur Vertrauensfrage ging als Drucksache an Bundestagspräsidentin Bärbel Bas. Darüber können die Abgeordneten aber nicht sofort abstimmen. Die Frage galt den Müttern und Vätern des Grundgesetzes als so wichtig, dass sie dem Bundestag eine Mindestbedenkzeit von 48 Stunden vorschrieben. Frühestens zwei Tage nach Einreichen der Vertrauensfrage können die Abgeordneten also darüber abstimmen. Zuvor gibt es eine Debatte im Plenum.

Verliert der Kanzler – so wie aktuell von Olaf Scholz geplant – die Vertrauensfrage im Bundestag, ist der Bundespräsident am Zug. Auch er hat Bedenkzeit. 21 Tage hat er Zeit zu entscheiden, ob er auf Antrag des Kanzlers den Bundestag auflöst und Neuwahlen herbeiführt, so wie von Scholz gewünscht. 

Das Grundgesetz weist den Weg

Die Verfassung sieht hohe Hürden für eine Auflösung des Bundestages vor.

Hohe Hürden: Das Grundgesetz regelt, unter welchen Bedingungen der Bundestag aufgelöst werden kann.

Der Plan von Rot-Grün und Union könnte scheitern

Fällt die Entscheidung für die Auflösung, müssen spätestens nach 60 Tagen Neuwahlen zum Bundestag erfolgen. So soll es nach den aktuellen Planungen in Berlin laufen. Die Neuwahlen sollen dann am 23. Februar 2025 stattfinden. Auf diesen Termin hatte sich die rot-grüne Minderheitsregierung mit der Opposition von CDU und CSU verständigt.

Was aber passiert, wenn es nicht nach Plan läuft? Wenn Bundeskanzler Olaf Scholz in der geheimen Vertrauensabstimmung die Mehrheit nicht verfehlt sondern erhält? In Berlin kursieren dazu wilde Szenarien. 

Stimmen für Scholz aus FDP, Linken und AfD?

Und die gehen so: Wenn die Regierungsfraktionen von SPD (207 Mitglieder) und Grünen (117) ihrem Kanzler das Vertrauen aussprechen, bekäme er 324 Stimmen. Für das Vertrauen des Parlamentes fehlten dann noch 43 Stimmen.

Wo könnten diese plötzlich herkommen? In Berlin wird für möglich gehalten, dass sie von Parteien kommen, deren Abgeordnete um den Wiedereinzug in den Bundestag bangen müssen. Das gilt für die FDP (90 Abgeordnete) und die Linke (28), die nach aktuellen Umfragen an der Fünf-Prozent-Hürde scheitern könnten.

Zwei Szenarien für den Fall des Scheiterns

Eine dritte Partei, die eine Rolle spielen könnte, ist die AfD (76 Mitglieder). Ihre Motivation – so ist in der Hauptstadt zu hören – könnte sein, den geregelten Ablauf zu Neuwahlen zu sabotieren und so die parlamentarische Demokratie und ihre Akteure der Lächerlichkeit preiszugeben. Dass dies ins Konzept der rechtsextremen Demokratieverächter passen würde, steht für viele Beobachter außer Frage.

Der Kanzler würde die Vertrauensabstimmung also dann gewinnen, wenn von den 194 Abgeordneten von FDP, AfD und Linker 43 in für ihn votieren. Was aber würde passieren, wenn dieses Szenario eintritt? Dann gibt es zwei Möglichkeiten: Die Regierung könnte bis zum regulären Wahltermin im September im Amt bleiben und als Minderheitsregierung weiterarbeiten, der Bundestag würde ebenfalls bis dahin seine Aufgaben erfüllen.

Klarheit am 16. Dezember

Die zweite Möglichkeit: Der Bundeskanzler könnte einen neuen Versuch starten, zu Neuwahlen zu gelangen und ein erneut die Vertrauensfrage stellen. Um dann sicher zu sein, dass er nicht wieder eine Mehrheit erhält, könnten die Regierungsfraktionen SPD und Grüne mit ihren 324 Abgeordneten nicht mit Ja stimmen sondern mit Nein oder mit Enthaltung. Beides würde sicherstellen, dass keine Mehrheit für den Verbleib des Kanzlers im Amt zusammenkäme.

Ob es so oder ganz anders kommt, werden die Deutschen in wenigen Tagen wissen: Am Montag, den 16. Dezember, ist der Tag der Entscheidung. Dann tritt der Bundestag zusammen, um über die Vertrauensfrage des Kanzlers in geheimer Abstimmung zu entscheiden. Dann wird klar sein, wie in Deutschland die Würfel fallen.

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