Nach Magdeburg: So hat der Innenausschuss über mögliche Behördenfehler beraten
SPD-Politiker*innen fordern nach dem Anschlag von Magdeburg eine konsequente Aufklärung und ein entschiedenes Vorgehen gegen Gewalttäter. Befugnisse der Behörden sollen ausgeweitet werden können.
IMAGO / dts Nachrichtenagentur
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) am Tatort des Attentats in Magdeburg. Was haben die Behörden im Vorfeld versäumt?
Mehr als eine Woche nach dem Anschlag in Magdeburg dauern die Ermittlungen weiter an. Der Innenausschuss des Bundestags beriet am Montag über mögliche Fehler im Vorfeld der Tat. Zur Frage steht, warum der Todesfahrer Taleb A. am 20. Dezember 2024 fünf Menschen töten und mehr als 230 verletzen konnte, obwohl er vor der Tat den Sicherheitsbehörden bekannt war. Neben dem Innenausschuss tagte auch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags zu nachrichtendienstlichen Fragen.
Nach der Sondersitzung des Innenausschusses betonte der SPD-Fraktionsvize und Innenpolitiker Dirk Wiese, es sei zu früh für Schlussforderungen. „Die Behörden ermitteln noch, und ich habe mein Vertrauen in die Sicherheitsbehörden, dass sie wirklich jeden Stein weiter umdrehen“, sagte Wiese. Der Bundestag werde sich weiter mit dem Thema beschäftigen. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) sicherte nach der Sitzung weitere Aufklärung zu. „Hier wird jeder Stein umgedreht“, sagte sie und kündigte an, die Sicherheitsbehörden in Deutschland weiter zu stärken. „Unsere Sicherheitsbehörden brauchen alle notwendigen Befugnisse und mehr Personal.“
Täter passte nicht ins Raster
Vor dem Anschlag hatte es mehrere Hinweise auf eine Gefährdung durch den Täter gegeben. Auch hatte ein ausländischer Geheimdienst vor dem Täter gewarnt, allerdings in einem anderen Zusammenhang. Das BKA entschied im vergangenen Jahr, dass von Taleb A. keine konkrete Gefahr ausgehe. Ob es tatsächlich versäumt wurde, konkreten Hinweisen für eine Anschlagsgefährdung nachzugehen, sei unklar, betonte Wiese. Ein Kernproblem sei, dass der Täter nicht in das übliche Schema passe. „Er ist weder ein islamistischer Terrorist noch ein Rechts-Terrorist, noch ein Links-Terrorist.“ Taleb A. stammt aus Saudi-Arabien, kam 2006 nach Deutschland und erhielt 2016 als politisch Verfolgter Asyl. Der 50-jährige Arzt aus Bernburg war islamkritischer AfD-Anhänger und fiel in den sozialen Medien mehrfach durch Drohungen und Hass auf.
An der Sondersitzung des Innenausschusses nahmen neben Bundesinnenministerin Faeser auch die die Innenministerin von Sachsen-Anhalt, Tamara Zieschang (CDU), die Magdeburger Oberbürgermeisterin Simone Borris sowie der Chef des Bundeskriminalamtes Holger Münch an dem Treffen teil. Außerdem waren der Präsident des BND, Bruno Kahl, Bundespolizeipräsident Dieter Romann und Verfassungsschutz-Vizepräsident Sinan Selen unter den Teilnehmenden.
Der Vize-Vorsitzende des Innenausschusses, Lars Castellucci (SPD), hatte vor der Sitzung dem „Tagesspiegel“ gesagt, es dränge sich der Eindruck auf, dass die über den Täter vorliegenden Behördeninformationen „nicht gut genug addiert worden sind“. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz hatte nach der Tat gesagt, es habe über die Jahre immer wieder Hinweise bei den Sicherheitsbehörden auf den Tatverdächtigen gegeben. „Meine Erwartung ist klar: Jetzt muss sehr genau geprüft werden, ob es Versäumnisse bei den Behörden in Sachsen-Anhalt oder auf Bundesebene gegeben hat. Da darf es keine falsche Zurückhaltung geben“, sagte Scholz.
Schärfere Gesetze vor Neuwahlen möglich
SPD-Chef Lars Klingbeil forderte ein entschiedeneres Vorgehen gegen gewaltbereite Asylbewerber. „Wer mit Terroranschlägen droht, verliert das Recht, in Deutschland zu bleiben“, sagte Klingbeil den Zeitungen der Funke Mediengruppe. Klingbeil forderte eine konsequente und schonungslose Aufarbeitung des Anschlags und bot an, noch vor der Bundestagswahl schärfere Sicherheitsgesetze zu beschließen. Die Ampel-Koalition hatte nach dem Messeranschlag in Solingen im August ein Sicherheitspaket auf den Weg gebracht. Teile davon wurden aber in der Länderkammer von CDU und CSU blockiert. Der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Sebastian Hartmann warf der Union deswegen vor, umfassendere Befugnisse der Behörden verhindert zu haben. Auch SPD-Innenpolitiker Wiese betonte, die Sicherheitsbehörden bräuchten mehr Befugnisse, „gerade für die Herausforderungen der aktuellen Zeit“.
Ins Visier rücken derweil auch das Sicherheitskonzept des Veranstalters und das Einsatzkonzept der Polizei. Die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg ermittelt wegen möglicher Versäumnisse bei der Sicherung des Weihnachtsmarkts. Demnach liegen mindestens drei Strafanzeigen vor. Wie ein Sprecher der Generalstaatsanwaltschaft mitteilte, geht es um den Vorwurf der fahrlässigen Tötung durch Unterlassen.
Recherchen der „Magdeburger Volksstimme“ zufolge hatte der Veranstalter drei Wochen vor dem Anschlag falsch parkende Polizeiautos gemeldet. Die Polizei wies die Vorwürfe zurück. Nach Angaben des Innenministeriums für Sachsen-Anhalt sollten Barrieren aus Betonblöcken die Zufahrt zum Gelände einengen. Der Todesfahrer nutzte demnach eine Lücke, die größer war, als vorgesehen.