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Haushalt: Weshalb der Staat 600 Milliarden Euro zusätzlich investieren soll

Am Rande des Streits um die Haushaltspolitik des Bundes überraschen führende Wirtschaftsexpert*innen mit einer Forderung: Die Regierung soll 600 Milliarden zusätzlich investieren. Warum das notwendig sei, soll eine Studie belegen.

von Vera Rosigkeit · 14. Mai 2024
Dullien und Hüther

Sebastian Dullien und Michael Hüther bei der Vorstellung der Studie: Herausforderungen für die Schuldenbremse - Investitionsbedarfe in der Infrastruktur und für die Transformation

Während die FDP in ihrem am Montag vorgelegten Fünf-Punkte-Plan die Einhaltung der Schuldenbremse als Voraussetzung für eine generationengerechte Haushaltspolitik sieht, kommen Expert*innen einer neuen Studie zu ganz anderen Ergebnissen. Demnach müsste der deutsche Staat in den kommenden zehn Jahren jährlich etwa 60 Milliarden Euro gezielt zusätzlich investieren, um Infrastruktur, Wirtschaft und Gesellschaft zukunftsfähig zu machen.

Von Bildung bis Schiene: Wo zusätzlich investiert werden muss

Die Investitionsoffensive von insgesamt 600 Milliarden Euro würde wirtschaftliche Vorteile über Jahrzehnte bringen, davon sind Sebastian Dullien, Volkswirt und wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK), und Michael Hüther, Wirtschaftsforscher und Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft Köln (IW), überzeugt. 

So habe die marode Infrastruktur, die spürbar sei, wenn man Verkehrs- und Kommunikationsnetze in Deutschland nutze, Einfluss auf die Wettbewerbsfähigkeit und Perspektiven der deutschen Volkswirtschaft, sagt Hüther bei der gemeinsamen Vorstellung der Studie „Herausforderungen für die Schuldenbremse - Investitionsbedarfe in der Infrastruktur und für die Transformation“ am Dienstag in Berlin. 

Infrastruktur, Bildung, Schiene, Klimaschutz, Wohnen – das sind die fünf Kernbereiche, für die ein Gesamtbedarf an 600 Milliarden Euro prognostiziert wurden.  Allein rund 200 Milliarden Euro wird dabei für öffentliche Investitionen in den Klimaschutz veranschlagt, rund 177 Milliarden Euroum den bei Städten und Gemeinden aufgelaufenen Sanierungsstau aufzulösen. 

Hinzu kommen geschätzte 127 Milliarden Euro für Verkehrswege und ÖPNV, davon allein 60 Milliarden, um das Schienennetz zu modernisieren und zu erweitern, knapp 30 Milliarden, um den ÖPNV auszubauen und 39 Milliarden, um Rückstände der Instandhaltung von Fernstraßen abzubauen. 

Auf eine Summe von 42 Milliarden Euro wird der Bedarf an Investitionen in Bildung geschätzt. Das beinhaltet sowohl den Sanierungsbedarf an Hochschulen als auch den Ausbau von Ganztagsschulen. Darüber hinaus sollen zusätzlich knapp 37 Milliarden Euro in den Sozialen Wohnungsbau fließen.

Wie diese Investitionen finanziert werden können

„Die 600 Milliarden erscheinen zunächst wie eine Horrorzahl“, räumt Sebastian Dullien im Verlauf der Pressekonferenz ein. Im laufenden Haushalt des Bundes, der Länder und der Kommunen existiere keine ausreichende Flexibilität, um diese Ausgaben zu finanzieren, stellt er klar.

Doch gesamtwirtschaftlich sei die Summe überschaubar. So entspreche das Verhältnis der zusätzlichen Investitionen zum Bruttoinlandsprodukt über die kommenden zehn Jahre etwa 1,4 Prozent jährlich. Dullien empfiehlt daher eine Finanzierung über eine zusätzliche Kreditaufnahme und hält sie für „durchaus generationengerecht“. Künftige Generationen würden davon genauso profitieren wie die aktuellen Steuerzahler*innen, ist der Volkswirt überzeugt. 

Eine Reform der Schuldenbremse sei „dringend erforderlich, um eine Kreditfinanzierung in dieser Größenordnung zu ermöglichen“. Alternativ und „möglicherweise politisch akzeptabler“ sei die Einrichtung eines Sondervermögens, schlägt er vor. 

Sowohl Hüther als auch Dullien appellieren an die Politik, „die ideologischen Scheuklappen abzulegen“ und die Notwendigkeit dieser öffentlichen Investitionen anzuerkennen. Zudem würden Investitionen in die öffentliche Daseinsvorsorge „nicht nur wirtschafsfördernd, sondern auch demokratiefördernd“ wirken, betont Dullien.

SPD für Reform der Schuldenbremse

Für Michael Schrodi, finanzpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, steht fest, „dass wir die Finanzierung dieser Zukunftsaufgaben sicherstellen müssen“, sagt er gegenüber dem „vorwärts". Die Studie zeige auch deutlich auf, dass durch eine Erhöhung der öffentlichen Investitionen die Schuldenquote mittel- bis langfristig dann sogar gesenkt werden könne. 

Deshalb dürfen „wir jetzt nicht sparen, wir müssen milliardenschwer investieren für die Unternehmen, Arbeitsplätze und die lebenswerte Umwelt von morgen“, betont er.  Der SPD-Finanzexperte hält eine „Reform der Schuldenbremse und eine Beteiligung größter Vermögen“ für „unumgänglich.“ 

Bereits im November vergangenen Jahres hatten SPD-Fraktionsvorsitzende aus Bund und Ländern neben Veränderungen in der Steuerpolitik eine grundlegende Reform der Schuldenbremse gefordert. Vorausgegangen war das Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts, das zunächst eine Ausgabensperre im Bundeshaushalt zur Folge hatte. 

Im Januar hatte die SPD-Bundestagsfraktion mit ihrem Positionspapier „Die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form ist nicht mehr zeitgemäß“ Eckpunkte einer gerechten Haushaltspolitik für alle Generationen vorgelegt.

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Vera Rosigkeit

hat Politikwissenschaft und Philosophie in Berlin studiert und ist Redakteurin beim vorwärts.

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