Aufschwung – warum daraus ohne Reform der Schuldenbremse nichts wird
Die meisten Wirtschaftsexpert*innen sind sich einig: Wenn Deutschlands Wirtschaft wachsen soll, muss es seine Schuldenbremse reformieren. Finanzminister Christian Lindner blockiert das – bisher. SPDNRW-Chef Achim Post sieht Bewegung bei der FDP.
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Für mehr Investitionen und Wachstum braucht Deutschland eine Reform seiner Schuldenbremse, davon sind die SPD und die meisten Wirtschaftsexpert*innen überzeugt.
Der Bundesfinanzminister und FDP-Vorsitzende Christian Lindner besteht auf der strikten Einhaltung der Schuldenbremse. Das bedeutet, der Bund muss im nächsten Haushalt über 25 Milliarden Euro einsparen. Zugleich möchte Lindner aber die Steuern für Wirtschaft und Bürger*innen senken, die Bundeswehr besser ausstatten, die marode Infrastruktur erneuern und die Digitalisierung voranbringen. Wie das alles zusammen gehen soll, ist bis jetzt völlig unklar.
Jens Südekum: „Echte Reform“ muss sofort kommen
Für die SPD ist allerdings bereits jetzt klar: Das alles geht nicht, wenn die bisher sehr restriktiv und rigide angelegte Schuldenbremse nicht flexibler und damit reformiert wird. Das zeigt die Debatte am Dienstag im Rahmen der „Impulse der NRWSPD“ deutlich, in der es um die künftige Staatsfinanzierung und die Mobilisierung notwendiger Investitionen geht.
Jens Südekum, Professor für Volkswirtschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, kritisiert dabei die von Lindner geplanten Kürzungen von über 25 Milliarden Euro im nächsten Haushalt. „Konjunkturangemessen“ seien statt Kürzungen Investitionen von 14 Milliarden Euro. Das bedeute eine Lücke von 39 Milliarden Euro. Dies sei „eine echte Gefahr für den Aufschwung“, auf den das Land hoffe.
Lindners harter Sparkurs würde dagegen „die Rezession verlängern und verschlimmern“. Die notwendigen Investitionen könnten nur durch eine „echte Reform“ der Schuldenbremse erfolgen. Die müsse „jetzt sofort kommen“, nicht erst in der nächsten Wahlperiode. Es müsse „schnellstens Gespräche aller Akteure“ geben.
Achim Post: „Wachstumsbremse und Investitionsbremse ohne Gleichen“
So sieht es auch der NRW-SPD-Chef Achim Post. Die Schuldenbremse sei „in ihrer jetzigen Form“ eine „Wachstumsbremse und Investitionsbremse ohne Gleichen“. Die SPD-Bundestagsfraktion habe einen Leitungskreis eingesetzt, der sich bereits in der kommenden Woche sehr umfassend mit der Reform der Schuldenbremse beschäftigen werde. Bis zur Sommerpause werde man erste Vorschläge machen. „Das Thema ist akut“, so Post.
Der NRW-Landesvorsitzende verweist auf einen aktuellen Beschluss des SPD-Landesvorstandes. In dem Papier „Fünf Punkte, um unsere Zukunft zu finanzieren“ wird eine Reform der Schuldenbremse und ein „Investitionsfonds für Infrastruktur und Wirtschaft“ gefordert. Hinzu kommt eine „auskömmliche Finanzierung der Kommunen samt Altschuldenlösung“. Finanziert werden soll das Ganze durch eine „gerechte Erbschaftssteuer“ und die Einführung einer Krisenabgabe „für die Reichsten der Reichsten“, wie es im Beschluss heißt.
Wiebke Esdar: Stehen „vor schwierigen Haushaltsverhandlungen“
Wie nötig eine Reform der Schuldenbremse ist, betont auch die Vorsitzende der NRW-Landesgruppe in der SPD-Bundestagsfraktion Wiebke Esdar. Im Bund stehe man „vor schwierigen Haushaltsverhandlungen“ über den Etat 2025.
Als eine besondere Herausforderung bezeichnet sie dabei die „Ausstattung der Bundeswehr“. Dass es dabei einen „enormen Bedarf“ an Finanzierung gebe, wisse sie aus eigener Anschauung, so Esdar, in ihrer Funktion als Vorsitzende des Gremiums, das die Finanzausgaben im Rahmen des „Sondervermögens Bundeswehr“ überwacht.
Jens Südekum spricht zur Debatte über eine Reform der Schuldenbremse seinen jüngsten verbalen Zusammenstoß im TV mit Finanzminister Lindner an. In der ARD-Sendung „Carmen Miosga“ habe dieser statt sachlicher Kritik zu üben „versucht, mich als Wissenschaftler zu diskreditieren und meine SPD-Mitgliedschaft in den Mittelpunkt zu stellen“.
Seine Parteimitgliedschaft, so Südekum, ändere aber nichts an seiner wissenschaftlichen Analyse. Die stamme auch nicht von ihm allein: „Das ist mittlerweile der internationale Mainstream, den ich vortrage.“ Der Sachverständigenrat, die sogenannten Wirtschaftsweisen, fordere eine Reform der Schuldenbremse, ebenso die Bundesbank, der wissenschaftliche Beirat im Bundeswirtschaftsministerium, die OECD, der Internationale Währungsfonds, die „Financial Times“ und der „Economist“. Südekums Fazit: „Es wird ziemlich einsam um Herrn Lindner.“
Deutschland als „Geisterfahrer“
Auch Achim Post kritisiert Lindner, der sich als „Obersparfinanzminister“ geriere. Mit seiner Haltung positioniere er Deutschland als „Geisterfahrer". Kein Land habe solch eine Schuldenbremse wie die Bundesrepublik. Das mag als Folge der Griechenlandkrise richtig gewesen sein, „aber heute ist es nicht richtig und heute müssen wir da ran“.
Für den stellvertretenden SPD-Vorsitzenden gibt es allerdings Grund zur Hoffnung. Der Vorschlag von FDP-Verkehrsminister Volker Wissing für einen Infrastrukturfonds zeige, dass die dafür nötigen Investitionen aus dem bisherigen Haushalt nicht zu finanzieren seien. „Bei der Schuldenbremse sehe ich aufseiten der FDP wirklich eine Menge Bewegung“, so Achim Post.