Helmut-Schmidt-Ausstellung: Keine Sorge, unsere Demokratie kann auch Krise!
Wer angesichts von Kriegen und Krisen keine Nachrichten mehr sehen möchte, für den gibt es jetzt eine Ermutigung: die Ausstellung „#Challenging Democracy – Von Helmut Schmidt bis heute“. Sie zeigt, was die Demokratie kann, auch wenn’s schwierig wird.
Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung
Helmut Schmidt: Der zweite Bundeskanzler der SPD und seine politischen Leistungen stehen im Mittelpunkt der Ausstellung im Bundestag in Berlin.
Wenn in der aktuellen Debatte über das Positionspapier der FDP zur Wirtschaftspolitik von einem „Scheidungsbrief“ gesprochen wird, denken manche: Scheidungsbrief? Das gab es doch schon einmal. Richtig, im Jahr 1982. Auch damals hatte die FDP einen Scheidungsbrief geschrieben, auch damals ging es um die Wirtschaft, Autor war Wirtschaftsminister Otto Graf Lambsdorff. Sein Schreiben läutete das Ende der sozial-liberalen Koalition und damit der Kanzlerschaft von Helmut Schmidt ein.
Helmut Schmidt – um ihn geht es auch in der Ausstellung „#Challenging Democracy – Von Helmut Schmidt bis heute“ im Bundestag in Berlin. Sie zeigt, dass nicht nur heutige Regierungen mit vielen Krisen auf einmal konfrontiert sind. So hatte Kanzler Schmidt in seiner Amtszeit von 1974 bis 1982 ein ganzes Bündel an Krisen zu bewältigen. Diese werden in der Ausstellung lebendig: mit vielen Fotos und Videos aus der damaligen Zeit, aber auch mit nützlichen Textinformationen.
Kanzler Helmut Schmidt und der Terrorismus
Es ist eine Premiere für die Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung aus Hamburg: Zum ersten Mal hat sie eine Wanderausstellung konzipiert, die durch die ganze Republik gehen soll. Der Start ist im Paul-Löbe-Haus des Bundestages, direkt neben dem Reichstagsgebäude. Die Stiftung will mit der Ausstellung zeigen, dass Krisen in der Demokratie nichts ungewöhnliches sind, dass sie in der Demokratie zu lösen sind und so die Demokratie gestärkt werden kann. Das zeigt die politische Arbeit von Helmut Schmidt überzeugend, findet Ulfert Kaphengst, Sprecher der Stiftung.
So geht es in der Ausstellung zum Beispiel um den „Deutschen Herbst“ mit der Entführung und Ermordung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer durch die „Rote Armee Fraktion“. Es geht damit auch um die Weigerung Schmidts, den Forderungen der Terrorist*innen nachzugeben, um das Leben Schleyers zu retten. Wie aufgeheizt die Stimmung damals war, zeigt ein Titelbild des Magazins „Stern“ mit einer Guillotine und der Frage „Todesstrafe für Terroristen?“, die damals in der Öffentlichkeit diskutiert wurde.
NATO-Doppelbeschluss und Nachrüstungsdebatte
Oder es geht um den von Helmut Schmidt initiierten NATO-Doppelbeschluss von 1979 gegen das Raketenübergewicht der Sowjetunion und die folgende Nachrüstungsdebatte mit Massendemonstrationen, wie es sie in der Geschichte der Bundesrepublik bis dahin nicht gab. Ein zwei mal drei Meter großes Schwarz-Weiß-Foto einer dieser Demonstrationen mit „NATO-Soldaten gegen Atomraketen“ zeigt es.
Helmut Schmidt gelang es in seiner Regierungszeit, viele Krisen zu lösen: in der Demokratie und mit demokratischen Mitteln. Deshalb wurde er auch als „Krisenmanager“ bezeichnet – ganz im Gegensatz zu seinem Amtsvorgänger Willy Brandt, der als „Visionär“ galt. Auf die Frage, wo in seiner Kanzlerschaft die Visionen blieben, antwortete Schmidt einmal mit seinem typischen Humor: „Wer Visionen hat, soll zum Arzt gehen.“ Wegen seiner Schlagfertigkeit wurde er auch „Schmidt-Schnauze“ genannt.
Besucher*innen können mitmachen und mitentscheiden
Wer durch die Ausstellung geht, kann sich als Demokrat*in ermutigt fühlen. Bei allen schweren Problemen, die die deutsche Demokratie gegenwärtig unter Druck setzen, wie der Krieg Russlands, der Klimawandel, die Themen Demografie und Migration, der wachsende Rechtsextremismus: Auch die Generationen der 1960er, 70er und 80er Jahre standen vor großen Problemen. Sie haben sie gelöst: mit Zuversicht, Engagement und mit dem festen Willen, die Demokratie zu stärken und wo nötig zu verteidigen. Das zeigt das politische Leben Helmut Schmidts eindrucksvoll. Auch deshalb ist es bis heute aktuell geblieben.
Doch die Besucher*innen sollen nicht nur lesen und schauen. Wichtig ist den Ausstellungsmacher*innen ihr Mitmachen. So werden die Besucher*innen an diversen interaktiven Station nach ihrer Meinung gefragt und zum Reflektieren, Diskutieren und Entscheiden eingeladen. An der Station „Meinungscheck“ werden sie nach ihrer Haltung gefragt zu den Streitthemen Tempolimit, Ziviler Ungehorsam, Vorratsdatenspeicherung, Privatisierung und Parteienverbot. An der Station „Prioritätencheck“ sollen sie entscheiden, welche Themen wichtiger sind als andere: Hier geht es um etwa um den Pflegenotstand, die Massentierhaltung, Politikverdrossenheit oder Terrorismus.
Peer Steinbrück: Demokratie und ihre Werte verteidigen
„Helmut Schmidt hat in seiner Regierungserklärung als Kanzler Realismus und Nüchternheit versprochen“, betont der Vizepräsident des Deutschen Bundestags, Wolfgang Kubicki (FDP) bei der Eröffnung der Ausstellung. „Und er hat Wort gehalten: Hatte er sich eine Meinung gebildet, verfolgte er seine Linie konsequent. Diese Haltung hat ihm bis an sein Lebensende den Respekt und die Sympathien vieler Menschen eingebracht.“
Zur Eröffnung spricht auch der frühere Bundesfinanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Er war von 1978 bis 1981 wissenschaftlicher Mitarbeiter Helmut Schmidts im Kanzleramt. Für Steinbrück fordert die Ausstellung „uns alle auf“, die aktuellen Herausforderungen für die Demokratie anzunehmen und die demokratischen Werte zu verteidigen. Genau dazu inspiriert die Ausstellung.
Quer durch die Republik
Wer sich selbst ein Bild machen möchte, kann das noch bis zum 6. Mai in Berlin tun. Danach ist die Ausstellung vom 6. Juni bis zum 30. September in Bonn zu sehen, vom 8. bis 27. Oktober in Leipzig. Für Ende des Jahres ist ein Auftritt in Rostock geplant. Im nächsten Jahr soll es dann weitergehen, quer durch die ganze Republik.