Geschichte

Sturmflut 1962: Als Helmut Schmidt Hamburg rettete

Als in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 eine Sturmflut weite Teile Hamburgs unter Wasser setzte, schlug die Stunde von Helmut Schmidt. Der Innensenator agierte umsichtig und beherzt – und begründete so seinen Ruf als Krisenmanager.
von Meik Woyke · 16. Februar 2022
Medaille für die Sturmflut in Hamburg und Niedersachsen: Helmut Schmidt verhinderte Schlimmeres.
Medaille für die Sturmflut in Hamburg und Niedersachsen: Helmut Schmidt verhinderte Schlimmeres.

Hamburg war auf die Sturmflutkatastrophe nicht vorbereitet. In der Nacht vom 16. auf den 17. Februar 1962 fegt der Orkan „Vincinette“ (die „Siegreiche“) mit 130 Stundenkilometern über Norddeutschland hinweg. Das Wasser der Elbe stieg auf 5,70 Meter, im Süden der Stadt brechen die Deiche. Zahlreiche Häuser werden abgedeckt und Bäume entwurzelt. Bei der größten Flutkatastrophe, die Hamburg im 20. Jahrhundert erlebt hat, sterben 315 Menschen, mehrere Tausend werden obdachlos.

Helmut Schmidt sah die Gefahr kommen

Bis heute ist die Katastrophe, vor allem die von den gigantischen Wassermassen verursachte existenzielle Not, tief im Gedächtnis der Stadt verankert. Untrennbar mit der Sturmflut-Erinnerung verbunden ist Helmut Schmidt, der erst zwei Monate vor der Katastrophen-Nacht das Amt des Polizeisenators übernommen hatte. Bis 1961 hatte der Sozialdemokrat dem Deutschen Bundestag angehört und sich auf dem Gebiet der Verteidigungs- und Sicherheitspolitik einen Namen gemacht. Nun bei der Bekämpfung der Sturmflutkatastrophe entsteht sein Ruf als zupackender Krisenmanager, der sich nicht davor scheut, die Führung und Verantwortung zu übernehmen, klare Anweisungen gibt und in herausfordernden Situationen den Überblick behält.

Bereits kurz nach seinem Amtsantritt am 13. Dezember 1961 hatte Schmidt für den Mai 1962 ein „Katastrophen-Planspiel“ angeordnet. Für ihn stand fest: Der Katastrophenschutz in Hamburg bedurfte dringend einer professionelleren Organisation. Zuständigkeiten waren nicht geklärt, und es mangelte an Plänen für das Verhalten bei massiven Sturmfluten. Die vorhandenen Kommunikationswege reichten für eine wirkungsvolle Katastrophenwarnung der Bevölkerung nicht aus. Selbst die vorhandenen Möglichkeiten zur Alarmierung der Einsatzkräfte ließen zu wünschen übrig. Da es in der nach West-Berlin größten Stadt der Bundesrepublik noch keine Innenbehörde gab, unterstanden Polizei, Feuerwehr und andere Hilfsorganisationen unterschiedlichen Senatoren.

Der Krisenmanager handelt zupackend und unbürokratisch

Als die Sturmflutkatastrophe in Hamburg wütete, befand sich der Erste Bürgermeister Paul Nevermann auf Kur. Unterdessen war Helmut Schmidt in der Nacht des Orkans von seiner ersten Innenministerkonferenz aus Berlin nach Hamburg zurückgekehrt. Erst durch einen Telefonanruf in den frühen Morgenstunden des 17. Februar erfuhr der Senator durch seine Behörde von der Katastrophe. Er machte sich umgehend auf den Weg ins Polizeipräsidium und übernahm – systematisch denkend und gewohnt schneidig – das Kommando über die bereits laufenden Hilfs- und Rettungsmaßnahmen.

Schmidt agierte als Krisenmanager ausgesprochen unbürokratisch. Die Bundeswehr hatte sich angesichts der ausgesprochen stürmischen Wetterlage am Vortag selbst in Alarmbereitschaft versetzt und war schon von der Leitungsebene im Polizeipräsidium kontaktiert worden. Nach seinem Eintreffen dort forderte Helmut Schmidt zusätzliche Bundeswehr-Einheiten an und auch NATO-Soldaten. Sein Verdienst liegt darin, angesichts der Sturmflutkatastrophe den Krisenstab straff organisiert und geleitet zu haben. Dadurch hatte er zusammen mit allen Rettungsmannschaften großen Anteil daran, dass Tausende Hamburgerinnen und Hamburger vor den Wassermassen gerettet werden konnten.

Die Bezeichnung „Macher“ lehnte Schmidt hingegen ab

Schmidts beherzter Einsatz gegen die Sturmflutfolgen förderte sein politisches Ansehen. Lediglich ein halbes Jahr nachdem Willy Brandt mit seinem konsequenten Auftreten gegen den Bau der Berliner Mauer am 13. August 1961 im Rampenlicht der Weltpolitik gestanden hatte, formte sich von Schmidt das Bild eines souveränen Krisenmanagers – zweifellos mit auf Deutschland beschränkter Reichweite. Als Politiker, der fachlich versiert war und gleichzeitig die Gesetze der sich ausprägenden Mediengesellschaft kannte, arbeitete er selbst an seinem Image. Die ihm von Journalisten zugeschriebene Bezeichnung als „Macher“ lehnte Schmidt hingegen ab. Er hielt sie für unpassend, weil er – bei aller Neigung zum Pragmatismus – großen Wert darauf legte, auf den Katastrophenfall mit Bedacht und strukturiert, also nicht einfach nur hemdsärmelig reagiert zu haben.

Vier Monate nach der Sturmflut, im Juni 1962, wurde in Hamburg die Innenbehörde gebildet. Schmidt übernahm deren Aufbau zu einer leistungsstarken Verwaltungseinheit, auch um auf Katastrophenereignisse in Zukunft besser vorbereitet zu sein.

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Autor*in
Meik Woyke

ist Vorstandsvorsitzender und Geschäftsführer der Bundeskanzler-Helmut-Schmidt-Stiftung; bis Juni 2019 leitete er das Referat Public History im Archiv der sozialen Demokratie der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er hat im Verlag J.H.W. Dietz Nachf. den Briefwechsel von Willy Brandt und Helmut Schmidt herausgegeben (2015) und für den Reclam Verlag eine kompakte Schmidt-Biografie (2018) geschrieben.

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