Investionen in die Infrastruktur: Deutschlands Zukunft hat viele Baustellen
Kaputte Straßen, verspätete Züge und zu hohe Mieten: Allein für Verkehr und Wohnen müssten viele Milliarden zusätzlich in die Hand genommen werden, soll das Land wettbewerbsfähig und lebenswert bleiben.
Imago Images/Kerstin Kokoska
Die Carolabrücke in Dresden stürzte im September ein - eine Reperatur stand eigentlich schon an.
Ständige Verspätungen und Ausfälle im Bahnverkehr, marode Brücken und Straßen und ein Mangel an bezahlbaren Wohnungen: Meldungen über Mängel an Deutschlands Infrastruktur laufen in Dauerschleife. Manch eine*r scheint sich daran gewöhnt zu haben. Doch für die Zukunft des Landes sind diese Probleme eine riesige Hypothek.
Im Spätsommer kam es zu einem Unglück, mit dem viele die Hoffnung auf einen Weckruf verbinden. Nachdem in der Nacht zum 11. September ein Teil der Carolabrücke in Dresden eingestürzt war, herrschte blankes Entsetzen. Dramatischer denn je zeigte sich, wie es um viele Brücken und andere Verkehrswege steht. Eigentlich hätte der havarierte Brückenzug in diesem Jahr saniert werden sollen. Weil der Stadt Dresden die nötigen Mittel fehlten, wurden die Arbeiten auf 2025 verschoben.
Autotrassen aus den 1960ern
Dresden ist überall: Wie auch die Carolabrücke stammt ein Großteil der deutschen Autotrassen aus den 60er und 70er Jahren. Für das seitdem massiv gewachsene Verkehrsaufkommen sind diese Bauten nicht gemacht. Neben der vielerorts verschleppten Sanierung nagt auch dieser „Geburtsfehler“ an der Substanz. Studien im Auftrag verschiedener gesellschaftspolitischer Akteur*innen kommen zu einem gemeinsamen Ergebnis: Allein im Verkehrssektor muss der Staat zügig Investitionen im großen Stil auf den Weg bringen. Nicht nur, aber auch, um den Wirtschaftsstandort Deutschland fit für die Zukunft zu machen. Das fordert auch die SPD. „Ein modernes Land braucht leistungsfähige Verkehrswege mit sanierten Straßen, Schienen und Brücken“, heißt es in einem Beschluss der jüngsten Vorstandsklausur.
600 Milliarden Euro – diesen Investitionsbedarf nennt eine gemeinsame Studie des gewerkschaftsnahen Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) und des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) mit Blick auf die gesamte öffentliche Infrastruktur für die kommenden zehn Jahre. Davon entfallen 127 Milliarden auf den Verkehrsbereich. Konkret werden 60 Milliarden für die Modernisierung und Erweiterung des Schienennetzes veranschlagt, 28 Milliarden für den Ausbau des öffentlichen Personennahverkehrs und 39 Milliarden für die Instandhaltung von Fernstraßen. Studien im Auftrag des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI) und der Denkfabrik „Dezernat Zukunft“ nennen ähnliche Zahlen.
Die Bahn ist am Limit
Der Bahn kommt dabei eine besondere Rolle zu. Damit Deutschland seine Klimaziele erreichen und den zunehmenden Güterverkehr bewältigen kann, muss mehr Verkehr auf die Schiene verlagert werden. Das gilt auch für den Individualverkehr. Expert*innen sind sich einig, dass beide Ziele mit der vorhandenen Bahninfrastruktur unmöglich erreicht werden können. Dass diese schon jetzt an ihre Grenzen stößt, zeigen die „Verzögerungen im Betriebsablauf“, die tagtäglich verkündet werden.
Detlef
Müller
Wir müssen mehr Kapazitäten auf die Schiene bringen.
Die Verkehrsexperten der SPD-Bundestagsfraktion wünschen sich insbesondere bei der Bahn einen großen Schritt nach vorne. „Wir müssen mehr Kapazitäten ins Netz kriegen“, betont Detlef Müller, der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion. Daher dürfe es nicht bei den 41 Großsanierungsprojekten bleiben, die bis 2030 realisiert werden sollen. „Nötig sind auch Aus- und Neubauprojekte“, betont der gelernte Eisenbahner. Im Bundesverkehrswegeplan seien bereits entsprechende Vorhaben gelistet.
Ziel beim Wohnungsbau bislang verfehlt
Auch im Wohnungsbau sieht der Bundestagsabgeordnete aus Sachsen immensen Investitionsbedarf: „Vor allem bei der Schaffung von günstigem Wohnraum in Großstädten ist der Nachholbedarf riesig.“ Ihr Ziel, 400.000 neue Wohnungen pro Jahr bauen zu lassen, habe die Bundesregierung bislang nicht erreicht. Das hänge an Finanzierungs- und Grundstücksfragen. Ebenso wie die Verkehrsinfrastruktur sei Wohnen Teil der Daseinsvorsorge. „Deswegen müssen wir dort mehr machen“, betont Müller.
IMK und IW veranschlagen knapp 37 Milliarden Euro, um den sozialen Wohnungsbau voranzutreiben. Im aktuellen Bundeshaushalt stehen dafür 1,58 Milliarden Euro zur Verfügung. Der Haushaltsentwurf für 2025 sieht eine Steigerung auf 2,03 Milliarden Euro vor. Der Gesamtetat für das Bau- und Wohnungswesen klettert von 4,99 auf 5,79 Milliarden Euro. Aus Sicht von Bundesbauministerin Klara Geywitz lässt sich die Wohnungsmisere nicht allein mit mehr Geld beheben. „Genehmigungsverfahren müssen schneller und digitaler werden, der Spielraum der Kommunen für den Bau von Wohnungen muss größer werden“, erklärte die SPD-Politikerin im Oktober im Bundestag. Um den Wohnungsbau zu beschleunigen, plant sie eine Novelle des Baugesetzbuchs, auch „Bau-Turbo“ genannt.
Über einen weiteren Punkt herrscht in der SPD-Fraktion Einigkeit: Um die Milliardeninvestitionen in die Infrastruktur tätigen zu können, muss der Bund Wege jenseits des regulären Haushalts finden. Angesichts der Schuldenbremse sind die Möglichkeiten aber begrenzt. Die SPD-Bundestagsfraktion fordert deshalb einen Infrastrukturfonds. In einem kürzlich gefassten Beschluss gibt sie diesem Finanzierungsinstrument eindeutig den Vorzug.
Riesiger Handlungsdruck
„Wir stehen vor der Riesenaufgabe, unsere Infrastruktur zu sanieren und zukunftssicher zu machen“, sagt Müller. Die nötigen Summen seien in keinem Landes-, kommunalen oder Bundeshaushalt abbildbar. Er plädiert dafür, im Dezember dieses oder im Januar nächsten Jahres ein Konzept für einen Infrastrukturfonds oder ein entsprechendes Sondervermögen zu entwickeln, um so bereits für die kommende Legislaturperiode etwas vorzubereiten.
In einigen Nachbarländern hätten sich derartige Finanzierungswege bewährt. So wurde etwa in Tschechien und in der Schweiz jeweils ein Fonds für die Bahninfrastruktur eingerichtet. „Der Handlungsdruck ist gerade im Verkehrsbereich riesig“, betont Müller. Und zwar nicht erst seit dem symbolträchtigen Brückeneinsturz von Dresden.