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Israel: Was die Entlassung von Verteidigungsminister Yoav Gallant bedeutet

Mit dem Rauswurf von Verteidigungsminister Gallant entledigt sich der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu mehrerer Probleme. Auf der anderen Seite schwindet damit auch die Aussicht auf eine Geiselvereinbarung.

von Ralf Melzer · 12. November 2024
Demonstration in Israel

Nach der Entlassung von Verteidigungsminister Gallant kam es in Israel landesweit zu Demonstrationen

Während die Welt gebannt auf die Wahlen in den USA blickte, ließ der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu eine politische Bombe platzen: Er entließ seinen Verteidigungsminister Yoav Gallant. Mitten in einem Mehrfrontenkrieg entledigte er sich damit des einzigen „Parteifreundes“, der den offenen Widerspruch wagte.

Nachfolger Gallants soll der bisherige Außenminister Israel Katz werden, dessen Amt wiederum Gideon Sa’ar übernehmen wird. Der Chef der kleinen konservativen Partei Neue Hoffnung war erst vor Kurzem zurück ins Regierungslager gewechselt und verschafft der Koalition mit seinen vier Abgeordneten eine relativ komfortable Mehrheit von nun 68 Sitzen.

Obwohl der Zeitpunkt auf den ersten Blick überrascht, kommt Netanjahus Coup im Grunde nicht unerwartet. Es ist bereits das zweite Mal, dass Netanjahu Gallant entlässt. Das erste Mal war am 26. März 2023, nachdem Gallant in einer öffentlichen Stellungnahme vor den Auswirkungen der sogenannten Justizreform auf Israels Sicherheit gewarnt hatte. 

Trump verschafft Netanjahu Rückenwind

Damals musste der Premier seine Entscheidung aufgrund von Massenprotesten und eines Generalstreiks wieder zurücknehmen. Damit ist jetzt nicht zu rechnen, obwohl sich auch diesmal spontan zehntausende Israelis mit Gallant solidarisierten und auf die Straßen gingen. Die Wahl von Donald Trump verschafft Netanjahu Rückenwind, vor allem aber geht es im Kern um den Fortbestand seiner rechtsreligiös-rechtsextremen Koalition und damit um sein eigenes politisches Überleben – zumal nach wie vor Gerichtsverfahren wegen des Vorwurfs der Korruption gegen ihn anhängig sind.

Hintergrund ist einmal mehr der Streit um die Einberufung von Thoraschülern in die Armee: Die ultraorthodoxen Parteien Vereinigte Thoraliste (sieben Sitze) und Shas (11 Sitze) drohten mit dem Verlassen der Regierung, sollten ihre Forderungen nicht erfüllt werden – eine automatische Befreiung ihrer Anhänger vom Militärdienst sowie die Rücknahme der geplanten Streichung sämtlicher Sozialleistungen für Militärdienstverweigerer. 

Entlassung Gallants schreckt Abweichler ab

Verteidigungsminister Gallant hatte sich den Anliegen der Orthodoxen widersetzt, auch wenn deren Austritt den Verlust der Regierungsmehrheit in der Knesset bedeutet hätte. Dieses Szenario ist nun vorerst vom Tisch und mögliche Abweichler im Likud abgeschreckt. Netanjahu hat sich damit einmal mehr als gewiefter Taktiker erwiesen: Indem es ihm gelang, Gideon Sa’ar ins Regierungslager zu holen, ist seine Mehrheit gesichert, und mit der Entlassung Gallants hat er sich den regierungsinternen Widerstand gegen die Forderungen der Orthodoxen vom Hals geschafft.

Netanjahu versuchte zudem den Eindruck zu erwecken, dass Gallant hinter einem Leak geheimer Informationen stecken könnte, die unter anderem von der BILD-Zeitung veröffentlicht wurden, obwohl Gallant und sein Büro überhaupt nicht Ziel der polizeilichen Ermittlungen sind. Allem Anschein nach handelt es sich um ein Manöver Netanjahus, um davon abzulenken, dass die Unterlagen offenbar aus seinem eigenen Umfeld durchgestochen worden sind.

Wie die Opposition reagiert

Die Opposition, einige Medien und Experten aus dem Sicherheitsbereich sprechen von einer konkreten Gefährdung der Sicherheit Israels, zumal Gallants designierter Nachfolger keine Erfahrung in Sicherheitsfragen hat. Es ist zu erwarten, dass Netanjahu von jetzt an als De-facto-Verteidigungsminister agieren und den Krieg nach seinen Vorstellungen und ohne erkennbare politische Strategie für den „Tag danach“ fortsetzen wird. 

Staatspräsident Isaac Herzog rief die dramatische Lage der Hamas-Geiseln in Erinnerung und mahnte Israels Regierung, mit großer Verantwortung zu handeln. Bereits kurz nach der Ankündigung der Entlassung Gallants folgten zehntausende Bürger in vielen Orten des Landes den Protestaufrufen der Opposition und der Familien der Geiseln. 

Yair Golan, Vorsitzender der aus Avoda und Meretz neu gebildeten Partei Die Demokraten, rief seine Anhängerschaft auf: „Geht auf die Straße.“ Auch Oppositionsführer Yair Lapid (Yesh Atid) rief dazu auf, sich den Demonstrationen anzuschließen, und nannte die Entlassung des Verteidigungsministers in Kriegszeiten einen „Akt des Wahnsinns“.

Gegner von Netanjahu 

Am Tag nach Gallants Entlassung gaben Golan, Lapid sowie die Parteivorsitzenden Benny Gantz (National Unity) und Avigdor Liberman (Israel Beyteinu) eine gemeinsame Erklärung ab. Sie verurteilten den Schritt als Bedrohung der nationalen Sicherheit und riefen zu weiteren Protesten auf. Golan warf Netanjahu vor, seine eigenen Interessen über die der Bürgerinnen und Bürger Israels zu stellen: „Er ist nicht geeignet, sein Amt zu bekleiden. Wir haben einen illegitimen Premierminister und eine illegitime Regierung.“ 

Auch unter rechten Gegnern von Netanjahu gab es vehemente Kritik an dessen Entscheidung, so unter anderem vom ehemaligen Premierminister Naftali Bennett, der die aktuelle Regierung als „verrückt und krank“ bezeichnete. Dagegen unterstützten rechtsextreme Politiker die Entscheidung. Ihnen galt Gallant als größtes internes Hindernis, den Krieg nach den eigenen Vorstellungen zu führen. So erklärte Sicherheitsminister Itamar Ben-Gvir (Otzma Yehudit), es sei mit Gallant im Amt nicht möglich gewesen, einen „absoluten Sieg“ zu erreichen. 

Zeitgleich mit den innenpolitischen Verwerfungen setzte die Hisbollah ihre Raketenangriffe auf Israel fort. Ein Teenager aus dem Kibbuz Kfar Masaryk und ein Soldat starben, als sie von Schrapnellteilen getroffen wurden.

Offen ist nun, wie Gallant selbst weiter agieren wird, ob er im Likud verbleiben oder sich zum Beispiel der Oppositionspartei von Benny Gantz anschließen wird. Der ehemalige General, gegen den beim Internationalen Strafgerichtshof ein Verfahren auf Haftbefehl wegen der Kriegsführung in Gaza anhängig ist, hielt im Unterschied zu Netanjahu stets einen guten Draht zur US-Regierung aufrecht. 

Schlechte Nachricht für Geiseln und ihre Familien

In weiten Teilen der israelischen Bevölkerung ist Gallant populär. Im Gegensatz zu Netanjahu fordert er, mit der Einsetzung einer staatlichen Untersuchungskommission zum 7. Oktober nicht bis nach dem Krieg zu warten. Zudem hat er wiederholt das Fehlen klarer strategischer Ziele im Krieg gegen die Hamas kritisiert. Vor allem aber fordert er seit Monaten eine Vereinbarung zur Befreiung der noch im Gazastreifen festgehaltenen Geiseln. Damit ist sein Rauswurf insbesondere für die Geiseln und ihre Familien eine schlechte Nachricht.

Inzwischen ist zu befürchten, dass die Regierung bis zum regulären Ende der Legislaturperiode im Herbst 2026 im Amt bleiben wird und Netanjahu in dieser Zeit weitere missliebige Personen kaltstellen wird – etwa den parteiinternen Kritiker Yuli Edelstein, Vorsitzender des Parlamentsausschusses für Verteidigung und Auswärtige Angelegenheiten, oder den Chef des Inlandsgeheimdienstes Ronen Bar oder den Generalstabschef Herzi Halevi. 

Darüber hinaus dürfte er weiter an der Aushöhlung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit arbeiten – nicht zuletzt, um sich selbst nicht weiterhin vor Gericht verantworten zu müssen. Gesetzesprojekte im Sinne der sogenannten Justizreform werden von der Regierung inzwischen wieder verstärkt vorangetrieben. Zu hoffen bleibt, dass die Opposition, das Oberste Gericht und die israelische Zivilgesellschaft stark genug sind, sich diesen Bestrebungen erfolgreich entgegenzustellen.

Dieser Beitrag erschien zuerst im IPG-Journal.

Autor*in
Ralf Melzer

leitet seit Juni 2020 das Regionalbüro Dialog Südosteuropa der Friedrich-Ebert-Stiftung in Sarajevo. Davor war er u.a. als Leiter der FES-Büros in Tunis und München und im Referat Naher/Mittlerer Osten und Nordafrika tätig.

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mi., 13.11.2024 - 09:33

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Es ist schon schwer sich zu der Üroblematik in dieser Weltregion zu äußern ohne daß reflexhaft der Vorwurf des Antisemitismus kommt. Aber auch die Menschen in dieser Weltregion brauchen Waffenstillstand, Versorgung und Frieden.