International

Beschluss des Parteitags: Wie die SPD ihre Außenpolitik neu ausrichtet

Die SPD richtet ihre Außen- und Sicherheitspolitik neu aus. Auf ihrem Parteitag beschloss sie entsprechende Leitlinien. Im Mittelpunkt stehen Europa und eine veränderte Russland-Politik.

von Jonas Jordan · 9. Dezember 2023
Pedro Sánchez und Lars Klingbeil auf dem SPD-Parteitag

Neuausrichtung der internationalen Politik: Pedro Sánchez und Lars Klingbeil auf dem SPD-Parteitag

Lars Klingbeil war viel unterwegs in den vergangenen Monaten. Brasilien, Polen, China – überall sprach der SPD-Vorsitzende mit Vertreter*innen der Schwesterparteien. „Die SPD redet nicht nur von internationaler Solidarität, sondern lebt sie“, sagt Klingbeil am Samstag auf dem SPD-Parteitag und kritisiert gleichzeitig: „Es gab Zeiten, in denen das Internationale in der Partei keine Rolle gespielt hat. Das darf nie wieder passieren.“

„Sicherheit vor Russland organisieren“

Schon kurz nach dem Bundesparteitag 2021 hat sich die SPD deshalb auf den Weg gemacht, ihre Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik neu auszurichten. Der russische Angriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 und die von Bundeskanzler Olaf Scholz erklärte „Zeitenwende“ gaben der Debatte dann nochmal eine neue Richtung. „Heute geht es darum, Sicherheit vor Russland zu organisieren“, sagt Lars Klingbeil deshalb auf dem Parteitag.

Es ist ein Satz, der sich auch im Beschluss des Parteitags wiederfindet. „Wir müssen uns selbstkritisch fragen, was wir vor dem 24. Februar hätten anders machen müssen“, sagt Klingbeil und räumt selbstkritisch ein: „Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten mit Russland haben wir das Trennende nicht gesehen.“ Gleichzeitig macht der SPD-Vorsitzende klar: „Ich werde nicht zulassen, dass das Erbe Willy Brandts beschädigt wird.“

Besinnung auf Willy Brandt

Ein Ton, den zuvor schon Rolf Mützenich angeschlagen hat. Der Fraktionsvorsitzende wendet sich in seiner Rede gegen Versuche, Willy Brandts Entspannungspolitik in eine Linie mit Putins Angriffskrieg zu rücken. „Welche Schande ist das! Diejenigen, die uns damals diese Entspannungspolitik mit auf den Weg gegeben haben, für die entschuldigen wir uns nicht, sondern wir stehen zu dieser Entspannungspolitik“, macht Mützenich deutlich.

Ausdrücklich auf Willy Brandt beziehen sich die Sozialdemokrat*innen an einer anderen Stelle ihres Beschlusses. Die Nord-Süd-Politik des früheren Bundeskanzlers und SPD-Vorsitzenden habe die Grundlage gelegt für enge Beziehungen mit den Ländern des Globalen Südens, auf die heute sehr gut aufgebaut werden könne. „Wir müssen diesen Ländern auf Augenhöhe begegnen und nicht von oben herab“, fordert Parteichef Lars Klingbeil.

Mützenich mit Plädoyer für Frieden und Diplomatie

Zuvor sorgte Rolf Mützenich mit einem leidenschaftlichen Plädoyer für Frieden und Diplomatie für stehende Ovationen der Delegierten. „Ich hätte nie gedacht, dass in der deutschen Öffentlichkeit mal mehr über Krieg gesprochen wird als darüber, wie ein Krieg beendet werden kann. Und das nicht über die Köpfe von anderen weg, sondern mit den Mitteln, zu denen sich die Sozialdemokratie immer bekannt hat, nämlich mit der Diplomatie“, sagt Mützenich und fordert: „Wer, wenn nicht wir, müssen immer in diese Richtung denken.“

Ausdrücklich lobt er Scholz‘ Reise nach China, an dessen Ende gemeinsam mit dem dortigen Präsidenten Xi die Absage an den russischen Präsidenten Putin zum Einsatz von Atomwaffen stand. „Es war ein großes Ergebnis, dass du an der Seite des chinesischen Präsidenten die Zusage erreicht hast, dass niemals Atomwaffen eingesetzt werden dürfen. Das hat uns vieles erspart. Vielen Dank!“ In seiner Rede ruft der Fraktionschef dazu auf, das Völkerrecht zur Richtschnur der internationalen Politik der SPD zu machen. Mit Blick auf den Gaza-Krieg fordert er, Demokratien dürften das Recht zur Selbstverteidigung nicht losgelöst vom humanitären Kriegsvölkerrecht anwenden. Zivilist*innen müssten geschützt werden.

Sánchez: Die Botschaft der Hoffnung verbreiten

Pedro Sánchez beginnt seine Rede mit einem Dank an die SPD. „Im schwärzesten Moment der spanischen Geschichte war die SPD ein Hoffnungsschimmer“, erinnert der spanische Ministerpräsident und Vorsitzende der SPD-Schwesterpartei PSOE an den Einsatz der Sozialdemokrat*innen im Kampf für die Demokratie gegen die Franco-Diktatur. Auch heute stünden die Welt und Europa wieder am Scheideweg, sagt Sánchez. „Entweder bewegt sich Europa nach vorn oder es kehrt in die Vergangenheit zurück“, warnt der Ministerpräsident.

Mit Blick auf die Europawahl im kommenden Jahr sagt Sánchez: „Wir brauchen ein Europa, das vereint ist und gleichzeitig offen.“ Dabei komme es nicht zuletzt auf eine gute Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Spanien an, besonders im Kampf gegen die Rechtspopulist*innen. „Wir müssen dem Virus des Hasses widerstehen“, fordert Sánchez, „und wir müssen die Botschaft der Hoffnung verbreiten“.

Auch im außenpolitischen Programm der SPD nimmt Europa den zentralen Platz ein. „Für die Sozialdemokratie ist ein starkes Europa die wichtigste politische Aufgabe der kommenden Jahre“, heißt es darin. Die Europäische Union soll etwa bei der Mehrheitsfindung reformiert und erweitert werden. „Kein Land profitiert so stark von der EU wie Deutschland“, betont SPD-Chef Lars Klingbeil. „Ohne ein starkes Europa kann auch Deutschland nicht stark sein.“

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

Weitere interessante Rubriken entdecken

8 Kommentare

Gespeichert von Heinz Schneider (nicht überprüft) am So., 10.12.2023 - 17:50

Permalink

will die SPD das Gemeinsame nicht mehr sehen. Dafür wirft meine einstige Friedenspartei ihren Markenkern über Bord. Gemeinsame Sicherheit ist der Weg zum Frieden. Die Nichtanerkennung der Sicherheitsinteressen Anderer verstellt Wege zum Frieden und ist der sicherste Weg in den Krieg.
Der Antrag dient der Begründung längst beschlossener Aufrüstungsziele (EU-Verfassung), "Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch" liefert er nicht. Er versucht, eine überhebliche eurozentristische Sichtweise und einen entwicklungspolitischen Paternalismus aus dem 20. Jahrhundert als Antwort auf die Umbrüche des 21. Jahrhunderts auszugeben. Der Kern dieser Umbrüche, die ökonomische Dekolonisierung, wird ebenso wenig erfasst wie die wesentliche Ursache der gewaltsamen Konflikte, die unerträgliche Ungleichheit.

Der konkurrierende, aber klügere und Dialogorientierte Antrag aus Bad Tölz hat sozialdemokratische, einer Partei der Arbeit würdige Fragen und Antworten angeboten. Diese Positionen sind nun nach dem Willen der Parteitagsmehrheit "erledigt".

Beschlusslage ist dagegen: "Klar ist: Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen". Dafür schäme ich mich.

Der militaristische Kandidat für den Parteivorstand, Michael Roth, fiel bei der Wahl erst mal durch. Wenigstens das bischen SOZIALDEMOKRATIE findet sich noch in der SPD, wir sollten die Hoffnung als noch nicht fahren lassen.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Di., 12.12.2023 - 11:01

Permalink

Die SPD richtet ihre Außen- und Sicherheitspolitik neu aus“. War man nicht dabei, muss man sich also auf den Vorwärts-Text verlassen, dann hat der Parteitag beschlossen, außen- und sicherheitspolitisch „Europa und eine veränderte Russland-Politik“ in den Mittelpunkt zu stellen. Der Artikel hebt dabei besonders hervor, „ein starkes Europa“ – auch militärisch definiert - schaffen zu wollen und dafür „Sicherheit vor Russland organisieren“ zu müssen. Die Idee der gemeinsamen Sicherheit durch Kooperation ersetzte die SPD also durch Abschreckung und Konfrontation, darauf hoffend, dass Putin mit seinem Angriff auf uns noch einige Jahre wartet, denn die Bundeswehr ist ja derzeit nicht in der Lage, einem Angriff länger als 2 Tage zu widerstehen.

Die Folgen der Abkehr vom Konzept der „gemeinsamen Sicherheit“ lassen sich geradezu idealtypisch am Palästina-/Israelkonflikt beobachten, der in einem Krieg vorläufig endete. Dessen Beendigung wird vom Westen in der so genannten Zweistaatenlösung gesehen (- vergebliche EU-Strategie seit 2003). Was der Westen als Lösung für den Konflikt im Nahen Osten vehement fordert, gemeinsame Sicherheit, lehnt die SPD im Leitantrag gegenüber Russland ab, – und weiß sich da sogar im Reinen mit Willy Brandt.
Na, Klasse.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Di., 12.12.2023 - 12:00

Permalink

„Wir müssen uns selbstkritisch fragen, was wir vor dem 24. Februar hätten anders machen müssen: ... Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten mit Russland haben wir das Trennende nicht gesehen“ – ein Satz von bemerkenswerter Schlichtheit.
Diesen General-Fehler hat er in dem Leitantrag vorausgehenden Äußerungen mit vielen Einzelheiten und Variationen auch über den Vorwärts verbreitet. Es kam zu dem Narrativ, dass Putins „imperiale Besessenheit“ (Steinmeier) der alleinige/entscheidende Grund für den Krieg gewesen ist. Die grundsätzliche Korrektur des Fehlers, so lese ich Klingbeil, hätte darin bestanden, Putin eher in den Arm zu fallen in der Gewissheit, „auch militärische Gewalt als ein legitimes Mittel der Politik zu sehen“ (Klingbeil: 21.6.22). Klingbeil kann sich da der Unterstützung all unserer Wortgewaltigen sicher sein.

Natürlich weiß jeder, dass eine dreißigjährige Entwicklung niemals von nur einem Aspekt entschieden wird. Ein kluger, Dr. phil. habil., Historiker ... der Uni Osnabrück, Reinhard Wolf, hat dazu herausgefunden: „Der Kreml strebte spätestens seit dem Amtsantritt Wladimir Putins eine europäische Ordnung an, die fast alle europäischen Staaten ablehnten, ja ablehnen mussten“. Sie „mussten“ sie ablehnen, weil nach dem Sieg des Westens im Kalten Krieg „der Westen nicht bereit war, Russland die beanspruchten Vetorechte, Einflusszonen oder die Ebenbürtigkeit mit den Vereinigten Staaten zuzugestehen“. Über die von Nato und EU verfolgte europäische Ordnung stellte er lapidar fest, „dass Russlands Einverständnis zwar willkommen, aber oftmals nicht notwendig war“. Diese grundsätzliche Ausgangslage fasst Wolf zusammen: „Subjektiv steht hier mithin Recht gegen Recht. Dieser fundamentale Gegensatz war nie zu überbrücken“ – von beiden Parteien nicht. Daraus entwickelte sich traumwandlerisch der „gegenwärtige Krieg, (in dem) für beide Seiten weit mehr auf dem Spiel steht als nur die Ukraine“. (Reinhard Wolf: Bedroht, getäuscht und provoziert?, Blätter ... 7(2023)68; S. 79-92). Wolf zieht daraus die gleiche falsche weil gefährliche Folgerung, die dank Klingbeil auch die SPD zieht: Das „Konzept der gemeinsamen Sicherheit“ trägt nicht mehr, wir müssen „Sicherheit vor Russland organisieren“, und die geht eben nur durch Konfrontation, durch Abschreckung – auch gegenüber China. Klingbeil hält das für Realpolitik, Pistorius auch, der allerdings noch weiter geht und von der deutschen Bevölkerung „Kriegstauglichkeit“ erwartet. Und die SPD macht dabei gerne mit, auch wenn zu ihrer Ehrenrettung Mützenich für sein „leidenschaftliches Plädoyer für Frieden und Diplomatie stehende Ovationen der Delegierten“ bekam.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Mi., 13.12.2023 - 10:26

Permalink

Der SPD-Parteisekretär hatte in letzter Zeit für Vieles Abbitte zu leisten.

„Auf der Suche nach Gemeinsamkeiten mit Russland haben „wir“ das Trennende nicht gesehen.“ Diese Blindheit, verbunden mit ominösen „Freundschaften“ (?), hat uns auch dazu gebracht, die „sicherheitspolitische Dimension unserer Energieversorgung zu verkennen“. Als wir dann auch noch „in den letzten Jahren den sicherheitspolitischen Mainstream mitgegangen sind, die Landes- und Bündnisverteidigung zu vernachlässigen“, führte das – irgendwie - geradewegs in den Krieg.
„Nie wieder“.

Der furchtbare Überfall der Hamas, den Israel jetzt bestraft, dürfte auf ähnliche Fehler zurückzuführen sein. Die „Europäische Sicherheitsstrategie“ schrieb 2003 etwas unbeholfen fest, „die Lösung (Zwei-Staaten-Lösung) des israelisch-arabischen Konflikts ist für Europa eine strategische Priorität“. Nach 20 Jahren führte unsere "strategische Priorität" - irgendwie - in einen Krieg und deutschlandweit zu einem Aufbrechen von Antisemitismus.
„Nie wieder“.

Lars Klingbeil war ... in Brasilien, Polen, China“ usw. Damit beendete er die „Zeiten, in denen das Internationale in der Partei keine Rolle gespielt hat. Das darf nie wieder passieren.“ Was er da besprochen oder gar erreicht hat, weiß ich nicht. Gemessen an der Rede des Vertreters der türkischen „Schwesterpartei“ auf dem Parteitag kann das aber in Bezug auf den Palästina-/Israel-Konflikt nicht viel gewesen sein, denn Özul verlangte, Israel u. a. Missachtung von Uno-Resolutionen vorwerfend, die „Tragödie in Gaza“ sofort zu beenden, ohne auch nur mit einem Wort auf das vorausgegangene Hamas-Morden einzugehen. Der Mann wurde von Klingbeil, Esken und anderen nach der Rede umarmt – obwohl wir alle wissen, dass das, was es sagte, bei uns letztlich nicht gesagt werden darf.
„Nie wieder“.

Gespeichert von Rudolf Isfort (nicht überprüft) am Fr., 15.12.2023 - 11:41

Permalink

Die SPD hat in einem Leitantrag am 9.12.23 eine „grundlegende Neupositionierung sozialdemokratischer Außen- und Sicherheitspolitik“ (Arbeitsauftrag der Kommission für Internationale Politik an sich selbst (19.10.22)) beschossen – und die Öffentlichkeit hat es kaum bemerkt. Auch der Vorwärts hat den Leitantrag, der die „grundlegende Neupositionierung“ der SPD bedeutet, der also, um es deutlich zu sagen, die außen- und sicherheitspolitischen Positionen der SPD in ihr Gegenteil verkehrt hat, auf nur ein Monitorbild verkürzt (- nimmt man das Mützenich-Bekenntnis hinzu auf zwei). Dass und ob die „sozialdemokratischen Antworten auf eine Welt im Umbruch, Berlin, 20.01.2023“, verfasst von der anonymen „SPD Kommission Internationale Politik“ der angenommene Leitantrag gewesen und also angenommen worden ist, hat der Vorwärts nicht geklärt.

Die Parteitagsdelegierten haben, ich weiß nur, was der Vorwärts darüber berichtete hat, ohne erkennbaren Widerstand einen Leitantrag beschlossen, der die außen und sicherheitspolitischen Grundsätze der SPD in ihr Gegenteil verkehrt hat, der die SPD in ihr Gegenteil verkehrt und damit dem Vertrag mit den SPD-Mitgliedern seine Grundlage entzogen hat.
Das neue Gesicht des Vorwärts passt bestens zu diese neuen SPD: „Schreibe ein Kommentar“

Gespeichert von Kai Doering am Fr., 15.12.2023 - 12:14

Antwort auf von Rudolf Isfort (nicht überprüft)

Permalink

Was müssen wir unter dem "Monitorbild" verstehen? Das erschließt sich uns leider nicht. Wir haben sowohl hier auf vorwärts.de als auch im aktuellen Heft über die Inhalte des Beschlusses berichtet und auch die Entstehung des Leitantrags sowie die Diskussionen dazu intensiv begleitet. Das Papier der Kommission Internationale Politik ist nicht identisch mit dem Beschluss, der auf dem Parteitag gefasst wurde.