Papier: Wie die SPD ihre internationale Politik neu ausrichtet
Der Angriff Russlands auf die Ukraine vor elf Monaten hat auch in der SPD zu einem Umdenken geführt. Wenn Parteichef Lars Klingbeil an diesem Montag das Papier der Kommission Internationale Politik (KIP) vorstellt, geht das aber bereits auf einen Parteitagsbeschluss aus dem Dezember 2021 zurück. Damals beauftragten die Delegierten die KIP, Vorschläge für eine Neujustierung der Außen- und Sicherheitspolitik der SPD vorzulegen.
Das 21-seitige Positionspapier unter der Überschrift „Sozialdemokratische Antworten auf eine Welt im Umbruch“ soll nun in der Partei diskutiert werden. Die abschließende Positionierung wird dann der Bundesparteitag Anfang Dezember beschließen.
Ist das Positionspapier eine direkte Reaktion auf Russlands Angriff auf die Ukraine?
Nein. Die Initiative, eine „Neubestimmung“ der sozialdemokratischen Außen- und Sicherheitspolitik vorzunehmen, geht bereits auf die Zeit vor dem russischen Angriff zurück. Aber natürlich haben die Ereignisse in der Ukraine die Arbeit der Kommission Internationale Politik in den vergangenen elf Monaten stark geprägt. So findet sich im Papier ein Unterkapitel mit der Überschrift „Sicherheit in Europa vor Russland organisieren“.
Wie positioniert sich die SPD in dem Papier gegenüber Russland?
Sehr kritisch, vor allem aber selbstkritisch. „Einige Länder Europas und vor allem Deutschland haben zu lange ausschließlich auf eine kooperative Zukunft mit Russland gesetzt und damit versäumt, Szenarien für einen anderen Umgang mit Russland zu entwickeln“, heißt es in dem Papier. „Das Festhalten an der Annahme mit immer stärkeren wirtschaftlichen Verflechtungen langfristig zu einer Demokratisierung und Stabilisierung Russlands beizutragen, war ein Fehler“, heißt es mit Blick auf den in der SPD lange gepflegten Grundsatz „Wandel durch Handel“. Die Autor*innen stellen klar: „Solange sich in Russland nichts fundamental ändert, wird die Sicherheit Europas vor Russland organisiert werden müssen.“
Ist das Papier ein Bruch mit der Ostpolitik Willy Brands?
Nein. „Mit einem erfolgreichen Dreiklang aus Diplomatie und Kooperation, dem klaren Bekenntnis zu Menschenrechten und internationalem Recht und dem Aufbau der eigenen militärischen Stärke haben Willy Brandt und später auch Helmut Schmidt die deutsche Außenpolitik während des Kalten Krieges geprägt“, heißt es in dem Papier. Die Autor*innen sind davon überzeugt, die SPD könne bei der Neuausrichtung ihrer internationalen Politik „auf einer erfolgreichen Geschichte sozialdemokratischer Politik für eine friedliche, gerechte und nachhaltigere Welt aufbauen“.
Welche Rolle spielt Europa in dem Papier?
Europa, bzw. die Europäische Union, spielt aus Sicht der Autor*innen die zentrale Rolle für die künftige internationale Politik der SPD. „Für die Sozialdemokratie ist ein starkes Europa die wichtigste politische Aufgabe der kommenden Jahre“, heißt es im Papier. Dafür müsse Europa aber verändert und gestärkt werden. „Europa muss seine Rolle als geopolitischer Akteur annehmen und mehr in die eigene Sicherheit investieren“, fordern die Autor*innen.
Welche Rolle spielt das Verhältnis zu China?
Das will die SPD „neu bewerten“. Im Positionspapier wird die neue Rolle der Volksrepublik als geopolitischer Akteur anerkannt, „ohne dessen Mitwirkung globale Herausforderungen wie der Klimawandel, die Bekämpfung von Pandemien und Nahrungsmittelkrisen sowie die Rüstungskontrolle und die Nichtverbreitung von Atomwaffen nicht zu lösen sind“. Gleichzeitig seien europäische und chinesische Wirtschaft eng miteinander verflochten. Statt diese Verflechtungen zu lösen, schlagen die Autor*innen die Entwicklung einer „europäischen Resilienzstrategie“ vor, „die Risiken verringert, auch mit Blick auf den Schutz kritischer Infrastruktur in Europa“. Zudem sollen Wirtschaftsbeziehungen diversifiziert werden, um wirtschaftliche Abhängigkeiten von China zu minimieren.
Wird der Anspruch von SPD-Chef Lars Klingbeil, Deutschland müsse eine „Führungsmacht“ sein, im Papier aufgegriffen?
Ja. Klingbeils Äußerung bei der „Tiergartenkonferenz“ im Juni vergangenen Jahres hatte in der SPD für Aufsehen gesorgt. Im Papier heißt es nun: „Deutschland hat sich in den letzten Jahrzehnten ein hohes Maß an Vertrauen erarbeitet. Mit diesem Vertrauen geht auch eine Erwartungshaltung einher. In vielen außenpolitischen Debatten steht Deutschland immer mehr im Mittelpunkt. Für viele Staaten auf der Welt sind wir ein wichtiger Partner. Und genau deshalb erwarten sie, dass Deutschland auf internationaler Ebene mehr Initiative zeigt und eine Führungsrolle einnimmt.“ Führung bedeute dabei nicht, „dass sich Deutschland über andere hinwegsetzt, sondern dass die Bundesregierung Stimmen und Perspektiven aufnimmt, stark macht und mit Initiativen vorangeht, um unsere gemeinsamen Ziele zu erreichen.“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.