Harris statt Biden: „Für die Republikaner ist dieser Wechsel ungünstig“
Joe Biden hat seine Kandidatur als US-Präsident zurückgezogen. Nun richten sich alle Augen auf seine potenzielle Nachfolgerin Kamala Harris. Was von ihr zu erwarten ist und welche Chancen sie gegen Donald Trump hat, sagt Knut Dethlefsen von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Washington.
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Schreibt sie amerikanische Geschichte? Kamala Harris könnte erste amerikanische Präsidentin werden.
Nachdem er trotz zunehmender Kritik immer gesagt hat, er wolle an seiner Kandidatur festhalten, hat US-Präsident Joe Biden am Sonntag nun erklärt, nicht noch einmal zu kandidieren. Hat Sie dieser Rückzug überrascht?
Sonntagmorgen sagte ein gut vernetzter amerikanischer Gesprächspartner und Freund zu mir: „Heute wird es passieren.“ Insofern war ich auf die Ankündigung von Joe Biden schon ein wenig vorbereitet. Klar war, dass die Entscheidung jetzt fallen musste, weil das Zeitfenster bis zur Wahl am 5. November immer kleiner wird. Jeder Tag ohne eine politische Entscheidung wäre ein verlorener Tag gewesen. Es gab am Ende nur zwei Möglichkeiten: Entweder Joe Biden fällt eine historische Entscheidung, um sein eigenes politisches Vermächtnis zu retten und den Weg freizumachen für einen neuen, dynamischen Wahlkampf oder er geht als Präsident in die Geschichte ein, der nicht rechtzeitig den Platz verlassen hat. Glücklicherweise hat er sich für die erste Variante entschieden.
Ist die Demokratische Partei darauf eingestellt oder bricht dort nun das Chaos aus?
Auch wenn die Demokraten auf diese Situation nicht perfekt vorbereitet sein können, bricht in der Partei nun nicht das große Chaos aus, im Gegenteil. Kamala Harris ist es gelungen, innerhalb von nicht einmal 24 Stunden die Kampagne von Joe Biden zu übernehmen, mit allen Spendengeldern, die in den vergangenen Monaten zusammengekommen sind. Wer bisher in der Kampagne für Joe Biden gearbeitet hat, arbeitet jetzt für sie. Das heißt, dass Kamala Harris von Tag eins an funktionierende Strukturen für den Wahlkampf hat. Ich rechne deshalb fest damit, dass sich die Demokraten jetzt schnell hinter Kamala Harris als neue Präsidentschaftskandidatin versammeln werden.
Joe Biden hat sie bereits als seine Nachfolgerin empfohlen. Ist Kamala Harris damit als Präsidentschaftskandidatin der Demokraten gesetzt?
Davon gehe ich aus. Natürlich muss sie offiziell gewählt werden, aber ich sehe niemanden, der ihr die Kandidatur streitig machen wird. Führende Demokraten haben sich bereits für Kamala Harris ausgesprochen und sie hat innerhalb kürzester Zeit mehrere Millionen Dollar an zusätzlichen Spenden für die Demokraten mobilisieren können. Besonders groß ist die Zunahme an Kleinspenden. Für Harris spricht auch, dass sie sich in den vergangenen Wochen seit dem TV-Duell, in denen Joe Biden stark in der Kritik stand, stets loyal verhalten hat. Gleichzeitig hat sie im Hintergrund dafür gesorgt, dass sie bei einem Rückzug Bidens die Kampagne schnell übernehmen und sofort in die Offensive gehen kann. Der vergangene Sonntag ist deshalb schon jetzt ein historischer Tag, weil an diesem Tag die Weichen gestellt wurden, dass die Amerikaner im November zum ersten Mal eine Afro-Amerikanerin zur Präsidentin wählen können.
Dabei ist Kamala Harris auch innerhalb der Demokraten nicht unumstritten.
Das Potenzial der Vize-Präsidentin wurde bisher nicht genutzt. Kamala Harris ist eine unterschätzte Politikerin. Jetzt kann sie zeigen, was sie wirklich draufhat. Zugegeben: Als Kandidatin für die Swing States ist sie nicht perfekt, aber sie ist durchaus in der Lage, die Vorstädte von Atlanta, Philadelphia und Phönix für die Demokraten zu gewinnen. Mit ihrem Profil und mit ihrer Energie hat Kamala Harris die Möglichkeit, Donald Trump zu schlagen. Die Reihen der Demokraten werden sich nun schnell hinter ihr schließen, denn sie wollen diese Wahl unbedingt gewinnen.
Haben sich die Republikaner bereits auf eine Präsidentschaftskandidatin Harris eingestellt oder hat sie dieser Wechsel kalt erwischt?
Die Republikaner wurden sicher nicht völlig überrascht von diesem Wechsel, aber an den Reaktionen merkt man, wie sie am Sonntag gekocht haben. Dazu passen auch die wüsten Beschimpfungen von Donald Trump in den sozialen Netzwerken. Für die Republikaner ist dieser Wechsel ungünstig, weil sie sich mit Donald Trump bereits auf einen sehr alten Kandidaten festgelegt haben. Auf dem Parteitag in der vergangenen Woche hat er zudem eine sehr dystopische Rede gehalten, die kaum anschlussfähig ist in der amerikanischen Gesellschaft. Kamala Harris ist das genaue Gegenbild zu all dem. Sie ist für viele ein Angebot, weil bei ihr die Sorge um das Alter wie im Fall von Joe Biden wegfällt. Hinzu kommt, dass Kamala Harris Staatsanwältin in Kalifornien gewesen ist. Dass sie nun im Wahlkampf gegen den verurteilten Straftäter Donald Trump antritt, hat eine gewisse Ironie. Für die Republikaner wird es schwierig werden, darauf zu reagieren. Sie werden mit Sicherheit versuchen, Harris in ihrem Sinne für die Wählerinnen und Wähler zu „definieren“, da sie mit ihren Inhalten noch nicht so bekannt ist.
J.D. Vance, der Vize-Präsidentschaftskandidat von Donald Trump, hat für viel Furore gesorgt. Wen könnte sich Kamala Harris an ihre Seite holen?
Die Entscheidung über den Vize-Präsidentschaftskandidaten wird sich noch etwas hinziehen. Dabei wird es darum gehen, eine optimale Balance zu finden, um möglichst viele Wählerinnen und Wähler in den Swing States anzusprechen. Ich fände es politisch sehr interessant, wenn Kamala Harris Gretchen Whitmer, die Gouverneurin von Michigan, an ihre Seite holen und so ein komplett weibliches Angebot machen würde. Ich denke aber, die Demokraten werden sich eher für einen Gouverneur entscheiden. Infrage kämen da Josh Shapiro, der Gouverneur von Pennsylvania, oder Andy Beshear, der Gouverneur von Kentucky. Im Gespräch ist auch Senator Mark Kelly aus Arizona. Als ehemaliger Astronaut genießt er große Popularität in den USA.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.
Kamala Harris
Zuerst möchte ich dann dem Herrn Biden nach dem Ablauf seiner Amtszeit noch einen beschaulichen Lebensabend gönnen.
Ob Kamala Harris eine andere Politik macht als er ? Früher erzählte man uns ja Frauen würden eine friedlichere Politik machen ..... ? Und wenn sie dann auch noch eine Afro-Abstammung hat ..... . Ja und die "Demokraten" (früher die Partei der Sklavenhalter) die sind sowieso die Besseren ...... .
Kann die SPD/der vorwärts nicht wenigstens ein paar mm kritische Distanz wahren ?
„Harris statt Biden“
Ob Kamala Harris zur Präsidentschaftskandidatin wurde, weil „Joe Biden eine historische Entscheidung fällte, um sein eigenes politisches Vermächtnis zu retten und den Weg freizumachen für einen neuen, dynamischen Wahlkampf“, oder ob er einfach körperlich und mental eine zweite Amtszeit nicht mehr würde durchstehen können, ist mir ziemlich egal.
Dass für Kamala Harris vor allem spricht, dass es ihr „gelungen ist, ... die Kampagne von Joe Biden zu übernehmen, mit allen Spendengeldern, die in den vergangenen Monaten zusammengekommen sind, ... und innerhalb kürzester Zeit mehrere Millionen Dollar an zusätzlichen Spenden für die Demokraten mobilisieren konnte“, ist sicher wichtig für die USA, für Europäer – naiv wie die sind - ist das eher etwas befremdlich. Dass es der „Afro-Amerikanerin“ mit asiatischen Wurzeln, Staatsanwältin, „unterschätzte Politikerin“ „im Wahlkampf gegen den verurteilten Straftäter Donald Trump“ hilft, wünsche ich ihr und uns, auch wenn der (sonst) kluge Artikel so angelegt ist, dass er von dem, „was von ihr zu erwarten ist“, nichts aufdeckt, „da sie mit ihren Inhalten noch nicht so bekannt ist“. Was weiß denn deutsche, europäische Öffentlichkeit über Kamala Harris´ politische Agenda?
Kamala Harris besuchte (– in meiner Wahrnehmung –) Europa erstmals auf dem „Friedensgipfel in der Schweiz“ (15./16.6.24); sie sagte dort den bemerkenswerten Satz, „Amerika steht nicht aus Nächstenliebe an der Seite der Ukraine, sondern weil es in unserem strategischen Interesse ist“ (Spiegel, 15.6.24). Die Nato legte sich ähnlich fest, auch wenn statt Amerika die Nato das Subjekt ist; zusätzlich erläutert und präzisiert sie das „strategische Interesse ... Amerikas“, wenn sie postuliert, dass „eine starke, unabhängige Ukraine für die Stabilität des euro-atlantischen Raumes unerlässlich ist“ und als Ordnungsmacht generell „auch in strategischer Entfernung“ nach dem Rechten sehen zu dürfen beansprucht (NATO-Gipfel 2022). Strategische Interessen einer großen Macht, eines Hegemons, eines „großen Akteurs“ (H. Münkler) sind nicht erworben, beruhen nicht auf Recht, Menschlichkeit, zivilisatorischem Fortschritt und anderer Werte, sie sind die einem „großen Akteur“ immanente „Fähigkeit und Bereitschaft zur Führung von Pazifizierungsoperationen in der Peripherie“ (Herfried Münkler, Blätter ..., 10(2021)66), gewissermaßen eine politische Gravitation. Anders als in der Physik lässt sich die politische Gravitation von den Akteuren aber beeinflussen. Das ist immer dann gefragt, wenn sich strategische Interessen von zwei Akteuren überschneiden. Die Russische Föderation z. B. hat dummerweise die gleichen strategischen Interessen an der Ukraine wie die Nato. (Wenn es um Strategie geht, ist auch für die USA Krieg ein legitimes Instrument der Politik – wie wir wiederholt gesehen haben.) In diesem Fall war die Russische Föderation bereit, zur Durchsetzung ihrer Interessen einen völkerrechtwidrigen Krieg zu begehen. Jeder politisch Verantwortliche wusste das. Trotzdem war die Nato nicht bereit, ihre strategischen Ansprüche auf die Ukraine zu modifizieren. Das unterstrich das EU-Parlament mit seiner Resolution, die ausdrücklich „das Ergebnis des jüngsten NATO-Gipfels und seine (/dessen) Haltung bekräftigt, dass die Ukraine auf einem unumkehrbaren Weg zur NATO-Mitgliedschaft ist“ (Nachricht, Europäisches Parlament, 17.7.24).
Es ist legitim, wenn die Nato auf ihrer strategischen Sicht bestehen bleibt, sie muss aber die Konsequenzen bedenken, die das für die Ukraine, für Europa, für große Teile der Welt hat. Sie muss sich auch klar machen, dass nur ganz wenige Staaten die Nato-Osterweiterung mit Nato-Augen sehen. Sie muss unverstellt die Konsequenzen für den Verlauf des Krieges und seines Endes antizipieren: Um Russland zu besiegen, muss die Ukraine militärische Ziele weit auf russischem Gebiet zerstören – mit Nato-Waffen. Bevor Russland auf eigenem Territorium einen Krieg verliert, wird es sich daran erinnern, eine atomare Weltmacht zu sein.
Sollte sich Trump gegen Harris im November durchsetzen, wird der, so hat er es angekündigt, den Ukrainekrieg beenden, in dem er eine neutrale Ukraine akzeptiert. Damit erfüllte er die seit vielen Jahren bekannte zentrale Forderung der Russischen Föderation, damit entfiele der Kriegsgrund für Russland, damit gäbe er Putin ein hervorragendes Argument, den Krieg (als Sieger) zu beenden. Die Ukraine könnte aufatmen und - mit EU-Hilfe - an ihren Wiederaufbau gehen. Wir, Westeuropa, bekämen eine zweite Chance für eine diesmal gemeinsame europäische Sicherheitsarchitektur. Nur die (meisten) europäischen Politiker, die öffentlich wirksamen Fachleute aus der Militär-, Friedens- und Konfliktforschung, die Journalisten der Leitmedien, die Frontmänner und -frauen unserer Parteien (fast ausnahmslos), also alle unsere Wortgewaltigen, müssten sich aus der so genossenen Öffentlichkeit in ihre Nischen zurückziehen. Erst recht, wenn die Bevölkerung bemerken würde, dass wir das Ergebnis schon 2008, 2014 oder 2022 hätten haben können. (Unsere Wortgewaltigen werden einen Weg finden, das nicht zu müssen.)
Michael Roth, ehemaliger SPD-Außenexperte, dem die Fraktionssitzungen seit einiger Zeit zu eisig vorgekommen sind, äußerte kürzlich in einer Talkshow den teuflischen Verdacht, unsere Politiker würden demnächst den verachtungswürdigen Vorschlag aus dem Ärmel ziehen, den Frieden durch schändlichen Verzicht auf Nato-Mitgliedschaft der Ukraine zu erreichen. „Die Allergeilste“ (Strack über Zimmermann) organisiert bereits europäischen Widerstand gegen dieses schändliche Bubenstück - selbst vor dem Scherbenhaufen ihrer Politik verstehen sie nicht, dass sie in der Ukraine-Frage im Grundsatz nichts zu bestimmen hatten und haben.
Nur die Aufgabe des Nato-Beitritts der Ukraine führt schnell zu einem nachhaltigen Kriegsende. Er wäre ein Segen für alle, wirklich alle Beteiligten, auch für den noch bevorstehenden Existenzkampf gegen die Klimakatastrophe, für den zivilisatorischen Fortschritt, für die Kooperation auf der Welt; er wäre auch ein Sieg der Vernunft. Die SPD aber wird nicht einmal sagen können, sie wäre dabei gewesen.