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Interview: Darum ist die AfD in Ostdeutschland so erfolgreich

Nimmt die Zahl der Menschen mit rechtsextremen Einstellungen in Ostdeutschland zu? Nein, sagt Elmar Brähler von der Universität Leipzig. Allerdings gelinge es inzwischen der AfD, sie an sich zu binden. Doch die anderen Parteien haben eine Möglichkeit, gegen zu halten.

von Kai Doering · 28. Juni 2024
Ein Grund für den staken Zulauf zur AfD: In Ostdeutschland machen sich strukturelle Probleme besonders stark bemerkbar.

Ein Grund für den staken Zulauf zur AfD: In Ostdeutschland machen sich strukturelle Probleme besonders stark bemerkbar.

Bei der Europawahl hat die AfD mit 15,9 Prozent so gut abgeschnitten wie nie zuvor. In den ostdeutschen Bundesländern lag sie sogar auf Platz eins. Hat Sie das überrascht?

Nein, überhaupt nicht. In den Umfragen zu Beginn des Jahres lag die AfD ja sogar noch deutlich weiter vorn. Durch Bekanntwerden der Konferenz in Potsdam hat sie dann an Zustimmung eingebüßt, aber nicht im großen Umfang verloren. Und auch das BSW, von dem es hieß, es würde der AfD Wähler abnehmen, hat die AfD nicht sonderlich geschwächt. Stattdessen haben vor allem Linkspartei und SPD ans BSW verloren.

Wie erklären Sie sich die große Zustimmung zur AfD gerade in Ostdeutschland?

Da gibt es ein ganzes Bündel an Erklärungen. Zunächst muss man sagen, dass die Anzahl der Menschen mit rechtsextremen Einstellungen seit 2002, als wir mit unseren Untersuchungen begonnen haben, nicht zugenommen hat. Lange hat ein Großteil dieser Menschen allerdings andere Parteien gewählt als die AfD oder früher die NPD. Stattdessen haben die Rechtsextremen größtenteils CDU, SPD, Linke und Grüne gewählt, weil ihnen wirtschaftliche oder soziale Fragen wichtiger waren als ein Ausdrücken ihrer Geisteshaltung. Heute haben sie in der AfD eine neue Heimat gefunden.

Elmar Brähler

Die Erfahrung zeigt, dass die etablierten Parteien nicht davon profitieren, wenn sie rechts blinken, im Gegenteil.

Heißt das, SPD und CDU könnten Wähler*innen von der AfD zurückgewinnen, wenn sie weiter nach recht rücken?

Das glaube ich nicht. Zudem bestünde dann die Gefahr, dass sie damit ihre jetzigen Wähler verschrecken. Die Erfahrung zeigt, dass die etablierten Parteien nicht davon profitieren, wenn sie rechts blinken, im Gegenteil. In Ostdeutschland kommt erschwerend hinzu, dass hier die Wählerbindung deutlich geringer ist als im Westen. Das vereinfacht Wechsel zwischen den Parteien. Die AfD ist aber kein rein ostdeutsches Phänomen. Sie hat auch im Westen Hochburgen, etwa im Spessart.

Und doch hat die AfD vor allem im Osten besonders großen Zulauf.

Das stimmt und hat auch damit zu tun, dass Ostdeutschland eher ländlich geprägt ist und seit 1990 einen hohen Wegzug zu verkraften hatte. Geblieben sind zum großen Teil die, die autoritäre bis rechtsextreme Einstellungen haben. In Ostdeutschland machen sich strukturelle Probleme, die es in Deutschland gibt, besonders stark bemerkbar: der Ärztemangel, der Rückbau von Infrastruktur. All das spielt der AfD in die Karten. Aber das gilt für strukturschwache Gegenden im Westen genauso.

Welche Rolle spielen die Erfahrungen der Ostdeutschen aus der Zeit nach der Wiedervereinigung?

Eine große. Zum einen wird die DDR-Zeit mit zunehmendem Abstand in immer rosigeren Farben gesehen. Zum anderen prägen Enttäuschungen und Entwertungserfahrungen aus der Nachwendezeit die Menschen in Ostdeutschland bis heute.

In Ihrer Untersuchung aus dem vergangenen Jahr beschreiben Sie, dass die materielle Situation der AfD-Wähler*innen meist gut ist. Maßnahmen wie eine Erhöhung des Bürgergelds tragen also nicht dazu bei, die Unzufriedenheit zu reduzieren?

Zumindest gibt es keinen direkten Zusammenhang. Ein Thema, das sicher Einfluss hat, ist das Vermögensgefälle zwischen Ost und West. Die Geld-Schere ist nach der Wende deutlich auseinandergegangen. Das liegt an einem immer noch geringeren Lohn-Niveau in Ostdeutschland. Zudem wird hier so gut wie nichts vererbt. Auch das ist im Westen ganz anders. Das ist ein nicht zu unterschätzender Punkt, wenn man sich fragt, warum die Menschen in Ostdeutschland unzufrieden sind.

Der Gesprächspartner

Elmar Brähler ist emeritierter Professor für Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie an der Universität Leipzig. Gemeinsam mit dem Sozialpsychologen Oliver Decker betreut er die „Autoritarismus-Studie“ (früher „Mitte-Studie“) der Universität Leipzig zu zu autoritären und rechtsextremen Einstellungen in Deutschland.

Elmar Brähler

Sie haben auch herausgefunden, dass die Menschen in Ostdeutschland die Demokratie an sich befürworten. Trotzdem wünschen sich viele eine starke Führungsfigur oder -partei. Wie passt das zusammen?

Die Demokratie als Prinzip befürworten fast alle. Aber wenn es um die konkrete Ausgestaltung geht, schrumpft die Zustimmung in Ostdeutschland deutlich. Wir haben also ein Missverhältnis zwischen demokratischer Theorie und Praxis, auch weil das Grundgesetz den Ostdeutschen übergestülpt wurde. Mehr als die Hälfte der Ostdeutschen ist unzufrieden mit dem Funktionieren der Demokratie und hat das Gefühl, nichts zu sagen zu haben. Was die Befürwortung des Autoritären angeht, fehlt vielleicht die Entwicklung, die die Menschen im Westen nach 1945 durchgemacht haben. Die Auseinandersetzung der Jüngeren mit den Älteren.

Der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, Hendrik Wüst, hat Austauschprogramme zwischen Ost und West zum gegenseitigen Kennenlernen vorgeschlagen. Kann so etwas helfen, Vorbehalte abzubauen?

Den Vorschlag fand ich fast rührend. Ich bin mir aber nicht sicher, ob das der richtige Weg ist. Das Ziel sollte eher sein, die Ostdeutschen zu empowern, damit sie sich mehr in Politik und Gesellschaft einbringen. Da sollte man ansetzen. Ein strukturelles Problem ist, dass Ostdeutschland so viele oder wenige Einwohner hat, wie 1910, während die Einwohnerzahl im Westen rapide angestiegen ist. Das hat natürlich Auswirkungen auf die öffentliche Daseinsvorsorge und die Infrastruktur, deren Zustand bei den Menschen das Gefühl entstehen lässt, abgehängt zu sein. Statt ein Austauschprogramm zu initiieren, halte ich handfeste Politik für das geeignetere Mittel, um Ungleichheiten zu beseitigen. Dann würde auch sehr schnell deutlich werden, dass die AfD keine Lösungen für die sozialen Fragen hat.

Mit dem „Bündnis Sarah Wagenknecht“ ist nun eine weitere Partei auf den Plan getreten, die vor allem in Ostdeutschland punktet. Kann das BSW der AfD gefährlich werden?

Das muss sich erst noch zeigen. Beide Parteien eint ein starker Hang zum Antiamerikanismus, der besonders in Ostdeutschland auf einen fruchtbaren Boden fällt. Eine weitere Gemeinsamkeit zwischen BSW und AfD gibt es bei der Russlandfreundlichkeit. In anderen Punkten ähneln die BSW-Wähler dagegen eher klassischen SPD-Wählern. Wie lange der Erfolg des BSW anhält, muss sich erst noch zeigen, zumal ihr Schicksal mit Sarah Wagenknecht an eine einzelne Person geknüpft ist.

Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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1 Kommentar

Gespeichert von Martin Holzer (nicht überprüft) am Fr., 28.06.2024 - 13:05

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Das wichtigeste Thema wird natürlich wieder nicht angesprochen: die unbegrenzte, unbedingte Migration. Alle anderen Themen spielen gerade in Ostdeutschland eine untergeordnete Rolle. Als politisch Andersdenkenden freut es mich natürlich, wenn der politische Gegner schon bei der Analyse völlig versagt. Trotzdem erschüttert mich das Außmaß an Realitätsferne der politischen Klasse, denn leider betreffen deren Fehlenscheidungen ja auch mein Leben.