Warum sich Portugals Sozialist*innen in Deutschland gründeten
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Enge Wegbegleiter: Mario Soares (l.) und Willy Brandt, hier bei einem Treffen 1975 in London
Niemand ahnt im April 1973, dass zwölf Monate später, am 25. April 1974, die portugiesische Diktatur nach fast 50 Jahren gestürzt werden würde. Die mutige Aktion einer Gruppe von jungen Offizieren, die als die Movimento das Forças Armadas – FMA (Bewegung der Streitkräfte) für einige Jahre Geschichte schreiben wird, beendet die von António de Oliveira Salazar begründete und von Marcello Caetano fortgesetzte Diktatur. Sie leitet den Übergang in die Demokratie ein. In diesem Prozess entwickelt sich die Sozialistische Partei Portugals (PS) zur gestaltenden politischen Kraft, die in den folgenden Jahrzehnten im Wechsel mit dem rechtsliberalen Partito Popular Democratio (PPD/PSD) die Regierung und die Staatspräsidenten stellt.
Ein langer Weg der Opposition und Verfolgung
Bevor die PS und ihre Politiker diese Rolle übernehmen können, durchlaufen und erleiden sie einen langen Weg der Opposition und Verfolgung, da es der Salazar-Diktatur gelingt, schon in den 1930er Jahren die demokratischen Parteien auszuschalten. Auch die Zivilgesellschaft unterliegt dem Verfolgungsdruck: Die freie Presse und die Verlage, die Gewerkschaften. Oppositionelle Politiker*innen werden verhaftet oder des Landes verwiesen. Von 1933 bis 1945 – der faschistischen Epoche – existieren immer weniger Fluchtländer in Europa, denn das Portugal Salazars ist mit Mussolini, Hitler und Franco verbündet.
Trotz dieser düsteren Jahre stirbt die Opposition nicht aus. Nach dem Zweiten Weltkrieg gewinnt sie an Bedeutung, ohne das Salazar-Regime gefährden zu können. Nach Salazars Tod 1970 erlangt sie wachsende Bedeutung, da die Verwicklung Portugals in drei Unabhängigkeitskriege in seinen afrikanischen Kolonien – Angola, Mozambique, Guinea-Bissau – das Land überfordert. Im Land wächst die Opposition und außerhalb Portugals findet die Kritik an Portugals Kolonialkriegen ein zunehmendes Echo. Eine zentrale Stimme wird der junge Sozialist Mario Soares, der mit seiner Kritik auch in der Bundesrepublik gehört wird.
Der unermüdlich durch die europäischen Demokratien reisende Mario Soares erreicht Verständnis, vor allem bei den sozialdemokratischen Parteien, doch einen Ansatz zum demokratischen Wandel in Portugal erkennt niemand. Zwar gelingt es 1967 mit ,,Portugal Socialista‘‘ eine Publikation herauszubringen, die Verbindungen zu den Emigrantengruppen und den geheim arbeitenden Sozialisten in Portugal knüpft, doch mehr lässt sich lange nicht erreichen.
Anstoß zur Parteigründung aus der SPD
Nach der Bundestagswahl 1972 kommt dann der Anstoß aus der SPD, aus den lose verbundenen Gruppen eine neue Sozialistische Partei Portugals (PS) zu bilden. Auch die SPD-Strategen begründen ihre Forderung nach einem Zusammenschluss nicht mit der Erwartung, dass es bald zu einem Umsturz in Portugal käme. Für den Zusammenschluss sprechen aus ihrer Sicht pragmatische Gründe: Die Hilfe für eine Exilpartei ist einfacher zu organisieren, als für Dutzende von Gruppen, außerdem werde die Stimme einer Partei deutlicher gehört.
So kommt es am 19. April 1973 in Bad Münstereifel in der Nähe von Bonn zur Gründung der Sozialistischen Partei Portugals. SPD und Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) schaffen die organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen, sodass sich die Repräsentanten der Gruppen treffen können, die sich zuvor in der ,,Acção Socialista Portuguesa‘‘ (ASP) organisiert hatten. Bad Münstereifel wird gewählt, weil man sich dort vom portugiesischen Geheimdienst PIDE unbeobachtet glaubt.
,,Es lebe die sozialistische Partei‘‘
Gut zwei Dutzend Vertreter*innen versammelen sich aus der Bundesrepublik, Belgien, Frankreich, Großbritannien, Italien, Schweden und der Schweiz in der Heimvolkshochschule der FES zum Gründungsakt. Nach 18 Stunden ist es geschafft. Zum Generalsekretär wird Mario Soares gewählt. Im August 1973 kann ihr Organ ,,Portugal Socialista‘‘ das nun ,,Orgão Central do Partido Socialista‘‘ heißt, schreiben: ,,VIVA O PARTIDO SOCIALISTA‘‘ (Es lebe die sozialistische Partei).
Dass Portugals Diktatur bald hinweggefegt werden würde, bestimmt die Diskussionen der Gründung nicht, sie schafft jedoch die Voraussetzungen für ein schnelles Handeln, als das Militär am 25. April 1974 die Diktatur beseitigt. Mario Soares realisiert sofort die Chancen für die PS: Schon am 28. April trifft er umjubelt in Lissabon ein. Er führt die PS auf einen schwierigen Weg, der die junge Partei zum Ankerpunkt der demokratischen Entwicklung Portugals macht.
war von 1975 bis 1976 Politikberater für die sozialistische Partei im revolutionären Portugal. Als Mitglied des Europäischen Parlamentes war er Vorsitzender des Ausschusses für den Beitritt Portugals zur Europäischen Gemeinschaft.