Hitler ein Linker? „Das ist naiv oder Teil einer perfiden Strategie“
AfD-Chefin Alice Weidel behauptet, Diktator Adolf Hitler sei „ein Linker“ gewesen. Die Historikerin Kristina Meyer erklärt, warum das Unsinn ist – aber an eine bei Rechten beliebte Strategie anknüpft.
Dirk Bleicker | vorwärts
Historikerin Kristina Meyer: Die Behauptung, Hitler sei ein Linker, ein Sozialist oder ein Kommunist gewesen, zählt zu den „ältesten Hüten“ des rechten und rechtsradikalen Geschichtsrevisionismus nach 1945.
AfD-Chefin Alice Weidel behauptet, der Diktator Adolf Hitler sei „ein Linker“ oder gar „Kommunist“ gewesen. Wie bewerten Sie das als Historikerin?
Die Behauptung, Hitler sei ein Linker, ein Sozialist oder ein Kommunist gewesen, zählt zu den „ältesten Hüten“ des rechten und rechtsradikalen Geschichtsrevisionismus nach 1945. Frau Weidel sollte sich vielleicht noch einmal mit der Definition von ein paar Begriffen auseinandersetzen. Der Mitte des 19. Jahrhunderts entstandene Sozialismus war eine Bewegung, die auf den Grundsätzen der Aufklärung und der französischen Revolution gründete. Es ging darum, eine Gesellschaft von freien und gleichberechtigten Menschen zu schaffen und den Ausbeutungsmechanismen des wachsenden Industriekapitalismus etwas entgegenzusetzen.
Der demokratische Sozialismus, wie ihn die SPD dann im Laufe der Jahrzehnte entwickelt hat, knüpft diese Ziele untrennbar an die Grundsätze der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit, der Meinungsfreiheit und der Gleichheit aller Menschen unabhängig von ihrer Herkunft, ihres Geschlechts oder ihrer Religion. Nach dem Ersten Weltkrieg spaltete sich die linke Arbeiterbewegung in Deutschland in Sozialdemokraten und Kommunisten – und während die Kommunisten an der Idee einer Revolution zur Überwindung des Kapitalismus festhielten, setzten die Sozialdemokraten auf eine reformerische, die Mechanismen des Kapitalismus bändigende Wirtschafts- und Sozialpolitik im Rahmen der parlamentarischen Demokratie.
Um zu wissen, dass Hitler kein „Linker“ war, weder ein Sozialist noch ein Kommunist, reicht es eigentlich schon, auf seine enge Verbindung mit der Großindustrie und den alten nationalkonservativen Eliten hinzuweisen, die ihm am Ende der Weimarer Republik in den Sattel und nach der Machtübernahme 1933 dabei halfen, die deutsche Industrie auf eine reine Kriegs- und Rüstungswirtschaft im Sinne seiner expansionistischen Ziele umzustellen.
Kristina
Meyer
Wer immer noch die absurde Behauptung aufstellt, dass Hitler ein „Linker“ war, (...) der hat entweder im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst – oder verfolgt damit eine politische Strategie.
Trotzdem taucht die Legende, die Nazis seien „Sozialisten“ gewesen, immer wieder auf.
Die Behauptung, die Nationalsozialisten seien „Sozialisten“ gewesen, weil sie sich doch selbst so nannten, zeugt entweder von wahnsinniger Naivität oder ist schlichtweg Teil einer perfiden Strategie. Schon in der Selbstbezeichnung der Nazis als vermeintliche Sozialisten lag eine bewusste Täuschung und ein Vereinnahmungsversuch, mit dem sie in der Weimarer Republik versuchten, sich als die wahren Fürsprecher der arbeitenden Bevölkerung darzustellen. Dabei hatte die wirtschafts- und sozialpolitische Programmatik der NSDAP rein gar nichts mit den sozialistischen Grundsätzen von Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit zu tun.
Der sogenannte „Strasser-Flügel“ innerhalb der NSDAP, der tatsächlich antikapitalistische, aber zugleich eben auch völkisch-nationalistische Ziele verfolgte, wurde schon Anfang der 1930er Jahre von Hitler kaltgestellt. Nach der „Machtergreifung“ und der „Gleichschaltung“ richtete er seine Wirtschafts- und Sozialpolitik dann vollständig an seinen Kriegszielen und an der Ideologie der „Volksgemeinschaft“ aus, die eine von Grund auf völkische, exklusive, auf Rassenideologie und Sozialdarwinismus gründende Gesellschaftspolitik begründete und eben nicht auf den Grundsätzen von Gleichheit und Gleichberechtigung basierte: Ausgeschlossen, sanktioniert und verfolgt wurden alle, die als „nicht arisch“ galten, das Regime bekämpften oder aus anderen Gründen als „gemeinschaftsfremd“ eingestuft wurden.
Wer dann immer noch die absurde Behauptung aufstellt, dass Hitler ein „Linker“ war, obwohl er Zehntausende Linke unmittelbar nach der „Machtergreifung“ verhaften, foltern, in Konzentrationslager sperren und töten ließ, ihre Parteien und Organisationen verbot und enteignete, die freien Gewerkschaften zerschlug und mit der „Deutschen Arbeitsfront“ eine Pseudo- und Zwangs-Arbeitnehmerorganisation schuf, in der das Führerprinzip herrschte und die sozialpolitische Wohltaten nach rein rassistischen Kriterien verteilte, der hat entweder im Geschichtsunterricht nicht aufgepasst – oder verfolgt damit eine politische Strategie.
Wenn wir auf die Jahrzehnte seit 1945 zurückblicken, finden wir in der Politik immer wieder Beispiele für solche Versuche, den Sozialismus in die Nähe des Nationalsozialismus zu rücken und auf diese Weise zu diskreditieren. Und solche Kampagnen kamen keineswegs nur aus dem rechtsextremen Spektrum: In den späten 1970er und 1980er Jahren waren es auch Vertreter der rechtskonservativen „Stahlhelmfraktion“ in der CDU/CSU, die im Bundestag und im Wahlkampf wiederholt mit solchen Vergleichen hantierten.
Kristina
Meyer
Gaulands und Höckes Einlassungen aus den vergangenen Jahren verfolgten das klassisch geschichtsrevisionistische Ziel, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren.
Geschichtsrevisionismus spielt bei der AfD seit jeher eine Rolle – vom „Vogelschiss“ von Alexander Gauland bis zur „erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad“, die Björn Höcke fordert. Welche Strategie verfolgt die Partei damit?
Gaulands und Höckes Einlassungen aus den vergangenen Jahren verfolgten das klassisch geschichtsrevisionistische Ziel, die Verbrechen des Nationalsozialismus zu relativieren, die über Jahrzehnte gewachsene (selbst-)kritische Auseinandersetzung von Politik und Gesellschaft mit diesen Verbrechen und ihren Nachwirkungen zu diskreditieren, sie als „Schuldkult“ herabzuwürdigen und auf diese Weise dem nationalistischen Gedankengut zu neuer Anerkennung zu verhelfen. Was Frau Weidel jetzt flankierend mit ihrer Behauptung, Hitler sei ein Linker gewesen, versucht, ist wiederum Teil der Entdämonisierungs- und Normalisierungsstrategie der Partei: Man diskreditiert den „linksgrün-versifften Mainstream“ als radikal, stellt den historischen Begriff des Sozialismus in die Nähe des Nationalsozialismus – einer faschistischen, völkischen und antidemokratischen Bewegung – und distanziert sich dabei scheinbar auch noch von diesem.
Eine ähnliche Feigenblatt-Strategie lässt sich ja auch in den Positionen der AfD zu Israel und zum Antisemitismus erkennen: Die Partei erklärt sich zur angeblich einzigen wahren „Freundin“ des jüdischen Staates und gibt vor, den Antisemitismus zu bekämpfen – obwohl die Liste klassisch antisemitischer Aussagen aus den Reihen der Partei seit ihrer Gründung lang ist und zugleich unübersehbar ist, dass diese angebliche Antisemitismusbekämpfung nur punktuell und instrumentell als Vehikel ihrer migrationsfeindlichen Politik dient. Darin gleicht die Rhetorik und Strategie der AfD übrigens derjenigen anderer rechtspopulistischer Parteien in Europa – man denke nur an Wilders, Le Pen oder Orban.
Kann die AfD damit erfolgreich sein?
Man darf gespannt sein, wie weit diese Doppelstrategie trägt, erst recht nach diesen neuesten kruden Aussagen von Frau Weidel: Im ideologischen und organisatorischen „Rückraum“ der AfD, bei den Stichwortgebern der „Neuen Rechten“ und der Identitären Bewegung, herrscht eine gewisse Unsicherheit darüber, ob eine Relativierung des Nationalsozialismus oder aber eine vorgebliche Distanzierung von ihm derzeit politisch weiter trägt – und im bürgerlich-konservativen Milieu wiederum dürften so abseitig-dumpfe Aussagen wie die, Hitler sei ein Linker gewesen, wohl kaum überzeugen.
Kristina Meyer ist Sprecherin des SPD-Geschichtsforums und wissenschaftliche Mitarbeiterin der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung. Das Interview wurde schriftlich geführt.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.