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Wie die AfD die deutsche Geschichte für ihre Zwecke umdeutet

Die AfD nutzt historische Bezüge, um damit Politik zu machen. Der Historiker Moritz Hoffmann hat ihre Argumentationsmuster untersucht. Im Interview sagt, er warum die AfD damit so erfolgreich ist und wie andere Parteien damit umgehen sollten.
von Kai Doering · 16. April 2020
Manipuliertes Plakat im Münchner Kommunalwahlkampf: Bei einigen in der AfD kann man mit Fug und Recht davon sprechen, dass die Nazis sind.
Manipuliertes Plakat im Münchner Kommunalwahlkampf: Bei einigen in der AfD kann man mit Fug und Recht davon sprechen, dass die Nazis sind.

Ob „Denkmal der Schande“ oder „Vogelschiss“: Historische Bezüge gehören in Reden von AfD-Politiker*innen offenbar zum guten Ton. Ist das Zufall oder Absicht?

Zufall sind diese Bezugnahmen auf keinen Fall. Die AfD merkt zum einen, dass sie mit ihrer Art, alternative Geschichtsbilder zu transportieren, ein Wählerpotenzial ansprechen kann. Zum anderen sind die Bezüge aber auch ein Ausdruck dessen, was die AfD für Personal in die Parlamente entsendet. Neben wenigen Wirtschaftslibertären sind das vor allem Vertreter des rechten Randes, die schon seit langem Geschichtsbilder wie die erwähnten pflegen.

Sie haben geschichtspolitische Argumentationsmuster deutschsprachiger Rechtspopulisten von AfD, FPÖ und SVP untersucht. Warum spielen historische Bezüge für diese eine so wichtige Rolle?

Jahrzehntelang hat es gut funktioniert, Rechtsextremismus mit einem Verweis auf die NS-Geschichte abzulehnen. Das heißt, dass sich jeder, der sich rechts von den etablierten Parteien aufstellen möchte, zur Nazizeit verhalten muss. Die AfD versucht das so zu lösen, indem sie mit historischen Bezügen das Konservative betont und sich als die wahren Antifaschisten gibt. Einen offenen positiven Bezug der AfD auf den Nationalsozialismus gibt es deshalb nur selten.

Trotzdem spielt der Nationalsozialismus in den Reden von AfD-Politiker*innen recht häufig eine Rolle.

Das stimmt. Im Verborgenen wie etwa in Internetforen fallen in Bezug auf den Nationalsozialismus schnell alle Hemmungen, aber auch in öffentlichen Reden werden Bezüge zur Nazi-Zeit von der AfD genutzt, um sich etwa in die Tradition des militärischen Widerstands gegen Hitler zu stellen. Einzelne Gruppierungen haben auch mit Slogans wie „Die Geschwister Scholl würden heute AfD wählen“ geworben. Die Botschaft dahinter ist klar: Die AfD sieht sich als Widerstandsorganisation gegen ein Unrechtsregime. Diese Art von Opfermythos ist sehr ausgeprägt bei Rechtspopulisten.

Sie haben Stauffenberg und die Weiße Rose erwähnt: Welche historischen Ereignisse sind bei Rechtspopulisten besonders beliebt?

Der große Star der AfD ist Bismarck. Das zeigt auch, wer in der AfD das Sagen hat – nämlich Menschen, die mit einer nationalen Geschichtserzählung als einer Geschichte der großen Männer aufgewachsen sind. In den Ost-Verbänden ist auch der Vergleich unserer Zeit mit dem Ende der DDR sehr beliebt. Da geht es dann vor allem um vermeintlich fehlende Meinungsfreiheit und die Behauptung, dass die AfD heute so unterdrückt würde wie die Oppositionellen in der DDR in den 80er Jahren und dass die Bundesrepublik ein ähnlich marodes System sei, das bald zusammenbrechen werde.

„Geschichtspolitisch fährt die AfD auf zwei Gleisen“ haben Sie in einem Beitrag für die „indes“ geschrieben. Was meinen Sie damit?

Damit meine ich die unterschiedliche Inszenierung, die die AfD wählt. Auf der eine Seite haben Sie Redner, die ordentlich auf die Pauke hauen und bewusst provozieren, auf der andere Seite haben Sie jemanden wie Alexander Gauland, der im Bundestag auch sehr staatstragend auftreten kann und sogar mal die Bundeskanzlerin lobt. Damit spricht er nicht wie die Provokateure die Wutbürger an, sondern diejenigen, die sich von CDU und CSU nicht mehr vertreten fühlen. Sie sympathisieren mit der AfD, obwohl sie sich gleichzeitig abgestoßen fühlen von dem, was Björn Höcke sagt und macht.

Die AfD sitzt seit fast drei Jahren im Bundestag und ist auch in allen Landesparlamenten vertreten. Haben die anderen Parteien in dieser Zeit einen geeigneten Umgang mit ihren Argumentationsmustern gefunden?

Nur in ganz seltenen Fällen. Auf die ganz plumpen Provokationen der AfD gehen die Abgeordneten anderer Parteien zwar inzwischen deutlich seltener ein als noch zu Anfang, aber inhaltlich sind sie ihr nach wie vor häufig nicht gewachsen. Das ist nicht unbedingt die Schuld der anderen Parteien, sondern liegt vor allem daran, dass die AfD aus einem riesigen Fundus an Behauptungen schöpfen kann, ohne diese belegen zu müssen. Was sie sagt, muss nicht zwingend hundertprozentig stimmen, sondern vor allem gut klingen. Das macht den anderen Parteien eine Antwort häufig schwer.

Wie sollten sie auf die geschichtspolitischen Einlassungen der AfD reagieren?

Ich denke, man sollte zwei Fälle unterscheiden. Wenn die AfD etwa versucht, NS-Verbrechen zu relativieren, muss man ihr klar etwas entgegensetzen und eine Grenze ziehen. Andere Äußerungen, bei denen von vornherein klar ist, dass die AfD damit nur provozieren will, kann man auch mal getrost ignorieren, um sie nicht noch aufzuwerten.

Halten Sie es für einen Fehler, AfD-Politiker*innen als „Nazis“ zu bezeichnen?

Nicht generell. Ich glaube, dass sich der Begriff bezogen auf die AfD etwas abgenutzt hat, indem schon der Gründer Bernd Lucke als Nazi bezeichnet wurde, obwohl er schlichtweg ein Nationallibertärer ist. Gleichzeitig stört mich die Behauptung, mit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hätten die Nazis aufgehört zu existieren. Bei einigen in der AfD kann man mit Fug und Recht davon sprechen, dass sie Nazis sind – und zwar ganz ohne die Vorsilbe Neo, die ja in den 50er Jahren nur eingeführt wurde, um die neue Welle der Nazis von den Altnazis unterscheiden zu können.

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Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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