Geschichte

Fritz Erler: Mit ihm wurde die SPD zur Volkspartei

Die Nazis steckten ihn ins Zuchthaus. Nach dem Krieg drängte Fritz Erler die SPD zu Reformen und trug dazu bei, dass sie zur Volks- und Regierungspartei wurde. Eines blieb ihm bis zu seinem frühen Tod aber verwehrt.
von Carl-Friedrich Höck · 13. Juli 2013
Bewundert wegen seiner analytischen Schärfe und seines rhetorischen Talents: Fritz Erler
Bewundert wegen seiner analytischen Schärfe und seines rhetorischen Talents: Fritz Erler

Nach der Bundestagswahl 1953 herrschte in der SPD Frust. Während die Union klar stärkste Partei wurde, kam die SPD auf nur 28,8 Prozent der Stimmen. Fritz Erler zog seine Lehren aus dieser Katastrophe. Er war überzeugt: Die SPD muss sich ändern, wenn sie nicht dauerhaft in der Opposition bleiben will. Aus der Arbeiterpartei wollte er eine Volkspartei machen, in der auch der moderne Mittelstand Platz findet.

„Frühstückskartell“ mit Wehner und Schmid

Es sollte einige Jahre dauern, bis der Bundestagsabgeordnete Erler sein Ziel erreicht hatte. Doch mit seinem Aufstieg in der SPD gewannen auch seine Ideen an Einfluss. 1956 wurde Erler in den Parteivorstand der SPD gewählt. Gemeinsam mit Herbert Wehner und Carlo Schmid bildete er das sogenannte „Frühstückskartell“: Ein Trio aus aufstrebenden Sozialdemokraten, die frischen Wind in die Partei bringen wollten.

Die für die SPD ebenfalls desaströse Bundestagswahl 1957, bei der die Union die absolute Mehrheit errang, drehte die Stimmung in der Partei zugunsten der Reformer. 1958 schaffte die Partei das sogenannte „Büro“ ab, den mächtigen geschäftsführenden Vorstand, und ersetzte ihn durch ein elfköpfiges Präsidium, dem vor allem Bundestagsabgeordnete angehörten. Die Macht verlagerte sich von den Funktionären in der Parteizentrale hin zu den gewählten Volksvertreter*innen der Bundestagsfraktion.

Erler prägte das Godesberger Programm mit

1959 verabschiedete die SPD das Godesberger Programm, mit dem sie sich von einer sozialistischen Klassenpartei zu einer mehrheitsfähigen Volkspartei wandelte. Auch daran hatte Fritz Erler, mittlerweile stellvertretender Fraktionsvorsitzender im Bundestag, großen Anteil.

Dabei entstammte Erler selbst auch einem klassischen SPD-Milieu. Als Sohn einer Arbeiterfamilie am 14. Juli 1913 geboren, wuchs er in Berlin auf und schloss sich der Sozialistischen Arbeiter-Jugend an. Nachdem die Nazis an die Macht gelangt waren, schloss Erler sich der Widerstandsgruppe „Neu Beginnen“ an. 1938 wurde er verhaftet und wegen Hochverrats zu zehn Jahren Zuchthaus verurteilt. Erst kurz vor Kriegsende, im April 1945, glückte ihm auf einem Gefangenentransport nach Bayern die Flucht.

Nach dem Krieg wurde Erler Landrat in Tuttlingen und gehörte als Vertreter der SPD der Verfassungsgebenden Landesversammlung von Württemberg-Hohenzollern an. 1949 wurde er in den Bundestag gewählt, dem er bis zu seinem Tod angehörte.

Die Menschen hingen an seinen Lippen

Wegen seiner analytischen Schärfe und seines rhetorischen Talents bewundert, stieg Erler in der Partei schnell auf. Früh knüpfte er auch Kontakte zur kirchlich geprägten Gesamtdeutschen Volkspartei (GVP). Das hatte Folgen für die Sozialdemokratie: Als die GVP sich 1957 auflöste, traten viele ihrer Anhänger*innen in die SPD ein – darunter Gustav Heinemann, Johannes Rau und Erhard Eppler.

Im März 1964 wurde Erler als Nachfolger von Erich Ollenhauer zum Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion gewählt. Vielen in der Partei galt er auch als kommender Kanzlerkandidat – spätestens ab 1965, als Willy Brandt nach einer weiteren verlorenen Wahl ankündigte, nicht noch einmal kandidieren zu wollen. „Wenn Erler in den großen Debatten sprach, dann haben Millionen von Menschen am Radio zugehört und an seinen Lippen gehangen“, sagte Helmut Schmidt später einmal.

Ein Ministeramt blieb ihm verwehrt

Gemeinsam mit Brandt und Herbert Wehner trieb Erler die Annäherung seiner Partei an die CDU voran. Ziel der Reformer war es, der SPD eine Machtperspektive zu eröffnen und eine Große Koalition zu ermöglichen. Doch als die CDU/CSU 1966 tatsächlich mit der SPD über eine Koalition verhandelte, konnte Erler kein Ministeramt mehr übernehmen. Er war an Leukämie erkrankt.

Am 22. Februar 1967 starb Fritz Erler, gerade einmal 53 Jahre alt. „Der Tagesspiegel“ schrieb in seinem Nachruf: „Obwohl er keinen Titel getragen und kein öffentliches Amt bekleidet hat, wird Fritz Erler von der Geschichte zu den zehn Männern gezählt werden, die in den ersten zwei Jahrzehnten der Nachkriegszeit den stärksten Einfluss auf die deutsche Politik ausgeübt haben. … alle waren sich darüber einig, dass er mit seinem Wissen, seiner Intelligenz, seiner Beherrschung des politischen Metiers zu den Zierden der deutschen Demokratie gehörte.“

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Carl-Friedrich Höck

arbeitet als Redakteur für die DEMO – die sozialdemokratische Fachzeitschrift für Kommunalpolitik.

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