Geschichte

Max Westphal: Vom SAJ-Vorsitzenden zum Widersacher Hitlers

Gezeichnet vom Ersten Weltkrieg wird Max Westphal 1922 erster Vorsitzender der „Sozialistischen Arbeiterjugend“. Eine Flucht aus Deutschland lehnt er nach der Machübernahme der Nazis ab. Nach zwei Jahren im KZ stirbt Westphal schwer krank 1942.
von Lothar Pollähne · 7. Januar 2023
Eine Gruppe der Sozialistischen Arbeiterjugend im Sommer 1920 auf dem Marktplatz in Weimar: Gemeinsam mit Erich Ollenhauer wurde Max Westphal hier in den Hauptvorstand gewählt.
Eine Gruppe der Sozialistischen Arbeiterjugend im Sommer 1920 auf dem Marktplatz in Weimar: Gemeinsam mit Erich Ollenhauer wurde Max Westphal hier in den Hauptvorstand gewählt.

Am 2. Januar 1943 kommen auf dem Tempelhofer Friedhof in Berlin mehr als 1000 Menschen zusammen, um einem Mann die letzte Ehre zu erweisen, der sie 20 Jahre lang in guten wie in schlechten Zeiten begleitet hat. Die Überwachung durch die Gestapo hat sie nicht davon abgehalten, aus ganz Deutschland zum Begräbnis des langjährigen Vorsitzenden der Sozialistischen Arbeiterjugend (SAJ), Max Westphal, zu kommen. Reden dürfen nicht gehalten werden, und dennoch ist diese Trauerfeier eine eindrucksvolle Demonstration von Resten der alten Arbeiterjugendbewegung gegen die Nazi-Diktatur.

Als Kanonenfutter im Ersten Weltkrieg

Max Westphal kommt am 30. September 1895 in Hamburg zur Welt. Seine Welt ist die der engen, muffigen Mietskasernen; der Vater ist Hafenarbeiter. Nach dem Abschluss der Volksschule beginnt Max Westphal eine Lehre bei der Hamburger Niederlassung der Automobilfirma Benz & Cie, für die er anschließend bis 1915 als kaufmännischer Angestellter arbeitet. 1910 schließt sich Westphal der Jugendgruppe des Fortbildungsvereins an, einer Vorläuferin der Sozialistischen Arbeiterjugend. Jugendliche dürfen nach dem „Reichsvereinsgesetz“ ebenso wie Frauen keine eigenständigen Organisationen bilden.

Im Ersten Weltkrieg dient Max Westphal als „Kanonenfutter“. In einer der fürchterlichsten Schlachten dieses Krieges verliert er 1916 an der Somme seinen linken Arm. Nach der Rückkehr aus dem Lazarett wird Max Westphal als Kriegsinvalide aus der Armee entlassen. Mit seiner späteren Frau Alice versucht er, mithilfe einer Feldpostzeitung Kontakte zu Genossen aus der Hamburger Arbeiterjugend aufrecht zu erhalten. Nach der November-Revolution arbeitet Max Westphal kurzzeitig als Angestellter beim Arbeitsamt in Hamburg. Von 1919 bis 1921 ist er Jugendsekretär der Hamburger SPD und widmet sich dem Aufbau der Hamburger Arbeiterjugendorganisation, die in der ersten deutschen Republik eigenständig agieren darf. Damit ist sein politischer Lebensweg vorgezeichnet.

„Nie wieder Krieg!“

Auf der ersten Reichskonferenz  des Verbandes der Arbeiterjugend-Vereine wird Max Westphal am 30. August 1920 in Weimar gemeinsam mit Erich Ollenhauer in dessen Hauptvorstand gewählt. Während der Schlusskundgebung des Verbandstages vor dem Goethe-Schiller-Denkmal ergreift Westphal das Wort, ballt die Faust des übrig gebliebenen Arms und ruft: „Nie wieder Krieg!“  Ein Fotograf hält die Szene im Bild fest und dokumentiert so den unbedingten Friedenswillen der Arbeiterjugend. Im Jahr darauf wählen die Delegierten Max Westphal in Bielefeld zum Vorsitzenden des Verbandes der Arbeiterjugendvereine. Die Delegierten sehen es als „die heilige Aufgabe“ des Verbandes an, den „Gedanken der Völkerverständigung und des Völkerfriedens in die Köpfe und Herzen der Mitglieder einzupflanzen und zu festigen.“

Nach dem Zusammenschluss von SPD und USPD im September 1922 entsteht aus den Jugendverbänden beider Parteien die „Sozialistische Arbeiterjugend“ (SAJ). Max Westphal wird zum Vorsitzenden des neuen sozialistischen Jugendverbandes gewählt. Fünf Jahre lang bleibt er an der Spitze der SAJ und versucht, den Verband in enger Anbindung an die SPD so eigenständig wie möglich zu organisieren. Dabei gelingt Max Westphal das Kunststück, den rechten „Hofgeismarer Kreis“, von dem er unterstützt wird, und den marxistisch orientierten „Hannoveranerkreis“ zu Kompromissen zu bewegen.

Im Mai 1927 wird Max Westphal auf dem Kieler Parteitag zum hauptamtlichen Vorstandsmitglied gewählt und erhält die Zuständigkeit für die Jugendarbeit. Später wird er für Organisationsfragen verantwortlich sein. 1932 erringt Westphal ein Abgeordneten-Mandat im Preußischen Landtag. Nach dem so genannten Preußenschlag, mit dem die preußische Landesregierung unter Otto Braun durch eine präsidiale Notverordnung entmachtet wird, ist Max Westphals Talent als Organisator gefragt: Einerseits muss er den legalistischen Weg der Bewahrung der Rechtssicherheit einhalten und alle Kraft in die Wahlkämpfe investieren, andererseits muss er der Empfehlung des Parteivorstands entsprechen, Vorkehrungen für die illegale Arbeit zu treffen, da jederzeit mit dem Verbot der SPD zu rechnen sei.

Fünf Monate in „Schutzhaft“

Nachdem Reichspräsident Hindenburg am 30. Januar 1933 Hitler und den Nazis die Macht übertragen hat, emigrieren viele Vorstandsmitglieder der SPD und bilden zunächst in Saarbrücken einen Exilvorstand. Max Westphal bleibt in Deutschland und und erhält den Auftrag, die Kontakte zwischen dem Restvorstand in Berlin und dem Exilvorstand aufrecht zu erhalten. Dabei vertritt er entschieden den Führungsanspruch des Restvorstands. Als der nunmehr in Prag ansässige Exilvorstand am 2. Juni 1933 den Alleinvertretungsanspruch für die SPD propagiert, schlägt sich Max Westphal auf die Seite der Berliner, die sich unter der Führung von Paul Löbe weiterhin als einzig berechtigt ansehen, für die SPD zu sprechen und zu handeln.

Westphal verlangt in Erwartung des absehbaren Parteiverbots den Aufbau illegaler Strukturen und erklärt am 10. Juni vor der Reichsstagsfraktion: „Die Arbeit im Inland ist viel wichtiger als die im Ausland, wenigstens bis zur Stunde.“ Sein Appell, der Parteivorstand müsse noch in Deutschland bleiben, kann nur noch als resignativer Akt betrachtet werden, denn am 22. Juni 1933 verbieten die Nazis die SPD. Max Westphal wird sofort in so genannte Schutzhaft genommen und sitzt, wie auch der ehemalige Reichstagspräsident Paul Löbe fünf Monate lang im Gefängnis in Berlin-Spandau ein.

Gebrochen durch die KZ-Haft

Nach seiner Entlassung muss Max Westphal feststellen, dass die Vorstellung, der „nationalsozialistische Spuk“ ginge schnell vorbei, ein Wunschtraum gewesen ist. Deutschland ist bereits gründlich gleichgeschaltet worden. Weil ihm die Nazis die Tätigkeit für eine Lebensversicherung untersagen, zieht Westphal mit Fahrrad und Anhänger durch Berlin und verkauft für den Kaffeehandel seiner Frau Kaffee, Schokolade und Gebäck. Das ermöglicht ihm, die Kontakte zu Paul Löbe, Wilhelm Leuschner und Julius Leber zu wahren.

Am 18. Dezember 1938 wird Max Westphal zum zweiten Mal von der Gestapo verhaftet und wegen „Hochverrats“ angeklagt. Obwohl er im Oktober 1939 von einem Gericht „mangels Beweisen“ freigesprochen wird, lässt ihn die Gestapo nicht frei, sondern verbringt ihn in das KZ Sachsenhausen. Im Mai 1940 wird Max Westphal unter strengen Auflagen freigelassen. Der gebrochene, nach Haft und Drangsalierungen schwer kranke Mann findet zwar eine neue Arbeitsstätte, aber er kann sich nicht wieder aufrichten. Am 28. Dezember 1942 stirbt der erste Vorsitzende der Sozialistischen Arbeiterjugend im Charlottenburger Hildegard-Krankenhaus.

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Lothar Pollähne

ist Journalist und stellvertretender Bezirksbürgermeister in Hannover.

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