Geschichte

25. April 1974: Als in Portugal die roten Nelken siegten

Am 25. April 1974 beendet die Nelkenrevolution die Diktatur in Portugal – ohne Blutvergießen. Erst in der Folge gerät das Land an den Rand eines Bürgerkriegs. Dass es nicht soweit kommt, ist auch dem damaligen SPD-Vorsitzenden Willy Brandt zu verdanken.

von Bernd Rother · 25. April 2024
Wandgemälde in Lissabon: Am 25. April 1974 endete in Portugal die 48-jährige Diktatur des Militärs.

Wandgemälde in Lissabon: Am 25. April 1974 endete in Portugal die 48-jährige Diktatur des Militärs.

Ein Lied war das erste Signal, dass Westeuropas älteste Diktatur an ihr Ende gekommen war: Um 0:20 Uhr sendete „Radio Renascença“ das Lied „Grândola, vila morena“ und gab damit den aufständischen Militärs das Zeichen zum Losschlagen. Die bisherige Ordnung fiel wie ein Kartenhaus zusammen, Portugal war endlich frei. Entgegen den Anweisungen des Militärs strömten in Lissabon die Menschen auf die Straßen, um die Soldaten zu feiern. Nelken, die ihnen von Blumenverkäuferinnen in die Gewehrläufe gesteckt wurden, wurden zum Symbol der Revolution.

Extreme Rückständigkeit nach 48 Jahren Diktatur

Es war ein ungewöhnlicher Militärputsch, der da ablief: Die revoltierenden Offiziere wollten keine Oligarchen vor politischem Wandel schützen, sie wollten auch nicht selbst herrschen, sondern das Land demokratisieren, Sozialreformen initiieren und – ganz wichtig – die Kolonialkriege in Angola, Guinea-Bissau und Mosambik beenden, den Völkern dort und in Osttimor das Recht auf Selbstbestimmung gewähren. Die meisten der Aktivisten des „Movimento das Forças Armadas“ (MFA, Bewegung der Streitkräfte) hatten sich in den Kämpfen mit den afrikanischen Befreiungsbewegungen politisiert und erkannt, dass die Befreiung ihres eigenen Volkes von der Diktatur nicht zu trennen war von der Unabhängigkeit der dortigen Völker.

Am 25. April 1974 litt Portugal bereits 48 Jahre unter der Diktatur und die Rückständigkeit des Landes im Vergleich zum übrigen Europa war in dieser Zeit immer größer geworden. Selbst die offiziell sechsjährige Schulpflicht existierte außerhalb der großen Städte nur auf dem Papier, viele Kinder erhielten nur vier Jahre lang Unterricht. Armut und Analphabetismus standen gleichberechtigt neben politischer Unterdrückung und Zensur künstlerischer Aktivitäten als „Errungenschaften“ der Diktatur.

Neue Hoffnung für alle links der Mitte

Der Sturz des Regimes befreite die Gesellschaft von den Fesseln, überall nahmen die Menschen ihr Schicksal in die eigenen Hände. Ein Jahr nach dem chilenischen Trauma, Pinochets Putsch gegen Salvador Allendes Regierung der Unidad Popular, gab es für alle links der Mitte neue Hoffnung. Was man sich erhoffte, war aber sehr unterschiedlich, in Portugal wie im Ausland. Maoisten, Moskau-treue Kommunisten, Linkssozialisten und Sozialdemokraten hatten naturgemäß ganz unterschiedliche Vorstellungen von Portugals Zukunft.

Die Kommunisten, denen als wichtigste Kraft des Widerstands ein Ehrentitel gebührte, hingen weiterhin stalinistischen Vorstellungen an. Im Staatsapparat und in den Gewerkschaften suchten sie nach Dominanz und hielten wenig von einer parlamentarischen Demokratie. Die gerade erst am 19. April 1973 im Exil in Bad Münstereifel gegründete Sozialistische Partei Portugals war anfänglich der Organisationskraft der Kommunisten hoffnungslos unterlegen. Die größere Beliebtheit, die sie in der Bevölkerung erkennbar genoss, konnte dies nur dann wettmachen, wenn sie die materiellen Ressourcen für den Aufbau eines Parteiapparates bekam.

Das erkannten auch die Schwesterparteien, allen voran die SPD, und die Friedrich-Ebert-Stiftung zog ebenfalls mit. Die solidarische Hilfe, die ab dem Spätsommer 1974 in Form von Technik, Beratung und Geld nach Portugal ist ein bis heute nicht übertroffenes Zeugnis internationaler Solidarität unter Demokraten und Sozialisten.

Wily Brandt reist nach Portugal

Im Oktober 1974 reiste Willy Brandt nach Lissabon und Porto, um die portugiesischen Genossinnen und Genossen seiner Unterstützung zu versichern. Wie unerfahren deren Parteiorganisation noch war, zeigte sich an vielfachen Schwächen des Besuchsprogramms. Dazu gehörte auch der völlig überforderte Dolmetscher, der Brandt auf dem Flughafen Lissabon zur Seite gestellt wurde. Der polyglotte SPD-Vorsitzende sah sich mehrfach genötigt, die Übersetzung ins Portugiesische zu korrigieren.

Aber nicht der Rückhalt im Ausland, sondern die Unterstützung durch das eigene Volk waren entscheidend dafür, dass die von Mário Soares geführten Sozialisten Schritt für Schritt vorankamen. Als Außenminister handelte der PS-Vorsitzende die Unabhängigkeit der bisherigen Kolonien aus. Exakt ein Jahr nach dem Sturz der Diktatur ging seine Partei als mit Abstand stärkste Kraft aus den Wahlen zur Verfassunggebenden Versammlung hervor, ein Erfolg, den der PS ein weiteres Jahr später bei der ersten Parlamentswahl wiederholen konnte.

Portugal am Rande eines Bürgerkriegs

In der Zeit zwischen diesen beiden Wahlen stand Portugal am Rande eines Bürgerkriegs. Im „heißen Sommer“ 1975 sah es nach einem kommunistischen Putsch wie in Prag 1948 aus. Die Sozialisten setzten dem die Mobilisierung von Hunderttausenden entgegen, die zur Verteidigung der Demokratie auf die Straßen gingen, und sie mobilisierten ihre internationalen Kontakte. Im Auftrag von Soáres bat Willy Brandt den Generalsekretär der sowjetischen Kommunisten, Leonid Breschnew, dem Treiben seines lusitanischen Parteikollegen Álvaro Cunhal Einhalt zu gebieten.

Eine kommunistische Regierung in Lissabon würde die für Ende Juli/Anfang August 1975 geplante KSZE-Konferenz in Helsinki unmöglich machen und damit das kunstvoll errichtete Gebäude der west-östlichen Entspannungspolitik noch vor der offiziellen Einweihung zum Einsturz bringen.

Der Druck von innen und außen wirkte. Der Einfluss der Kommunisten und ihrer Verbündeten in der Armee konnte zurückgedrängt und der Weg für eine parlamentarische Demokratie freigemacht werden. Damit stand auch die Tür offen für Portugals Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft. Nach zähen Verhandlungen trat das Land gemeinsam mit Spanien am 1. Januar 1986 der Europäischen Gemeinschaft bei.

In seiner Kolumne Im Rückspiegel beleuchtet das Geschichtsforum der SPD historische Ereignisse und zieht Parallelen zur heutigen Zeit. Alle Texte der Reihe finden Sie hier.

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1 Kommentar

Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Fr., 26.04.2024 - 07:54

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Nach dem chilenischen Trauma gab der Sturz der Diktatur neue Hoffnung für Demokraten. Vielleicht war es die Intension Willy Brandts und Anderer zur Mäßgung des revolutionären Enthusiasmus nicht soweit zu gehen daß eine neue rechte Diktatur installiert wird ? Gewollt oder ungewollt unterstützten sie damit transatlantische Interessen, die sich vorher nie um die Verbrechen der portugisischen Diktatur in Afrika, Osttimor oder zuHause gestört haben. Jaja, den kommunistischen Umsturz heraufbschwören um reaktionärer Politik den Weg zu bereiten wurde ja wschon öfter orchestriert.
Nicht zu vergessen ist auch die mangelnde Unterstützung der SED für ihre Genossen in Portugal, denn der SED (samt KPDSU etc.) war die (innerdeutsche) Entspannnungspolitik eben wichtiger.