Debatte

Jugendforscher Hurrelmann über Generation Z: „Sie lauern auf die SPD"

Warum wählen Jugendliche rechts? Diese Frage stellt sich nach dem starken Abschneiden der AfD bei der Europawahl viele. Im Interview gibt Jugendforscher Klaus Hurrelmann Antworten und einen Hinweis an die Regierungsparteien.

von Lea Hensen · 9. Juli 2024
Klaus Hurrelmann ist Ko-Autor der Jugendstudie über die Generation Z.

Klaus Hurrelmann ist Ko-Autor der Jugendstudie über die Generation Z.

Die Jugend-Trendstudie von April, an der Sie als Co-Autor mitgewirkt haben, hat vorweggenommen, wie die Generation Z bei der Europawahl gewählt hat. Würden Sie von einem Rechtsruck unter jungen Leuten sprechen?

Ja, man kann von einem Rechtsruck sprechen. Doch muss man den Trend richtig einordnen: Die meisten Wähler*innen der rechten und rechtsextremen Parteien sind immer noch zwischen 30 und 50 Jahre alt. Auffallend ist aber, dass viele junge Leute nach rechts tendieren, die früher anders dachten. Wir haben Jugendliche gefragt, wen sie wählen würden.* Das ergab innerhalb von zwei Jahren eine sehr starke Abnahme für die Grünen (von 27 auf 18 Prozent). Auch der Verlust für die FDP (von 19 Prozent auf 8 Prozent) ist groß, während die SPD einen milden, aber ernstzunehmenden Abschwung (von 14 auf 12 Prozent) erlebte. Gleichzeitig verdoppelte die AfD ihren Stimmenanteil (von 9 auf 22 Prozent) und CDU und CSU nahmen kontinuierlich zu (von 16 auf 20 Prozent). 

Woran liegt das?

Die Präferenzen der Jugendlichen zeigen, wie wichtig es ist, dass eine Partei klar für ein Thema eintritt. Das ist den Ampel-Parteien kaum gelungen. Sie schafften es nicht, den jungen Wählerinnen und Wählern, bei denen sie leichtes Spiel gehabt hätten, deutlich zu machen, wofür sie stehen.

Dabei hat die größte Gruppe der Jugendlichen bei der Europawahl ja kleinere Parteien gewählt, die gar nicht im Bundestag vertreten sind.

Genau, alle kleineren Parteien zusammen bekamen mehr als 28 Prozent und damit mehr Stimmen als die großen Parteien. Das liegt daran, dass junge Leute, vor allem Erstwähler, nicht ideologisch gebunden, sondern ziemlich pragmatisch sind. Das ist wie ein Bilderbuch der Demokratie, ganz anders als bei Älteren, die sich im Laufe ihres Lebens festgelegt haben. Junge Leute sind unbefangen und suchen nach einer Partei, die sich am meisten mit dem, was sie als dringend empfinden, beschäftigt. Und sie schauen sehr darauf, ob diese Partei auch modern kommuniziert. 

Wieso ist das so wichtig? 

Junge Menschen haben das Gefühl, eine Partei ist auf der Höhe der Zeit, wenn sie modern kommuniziert. Also über die sozialen Medien, über die großen Plattformen. Parteien wie die AfD, die das hingekriegt haben, haben bei ihnen gepunktet. Viele unter 30 beziehen ihre politischen Informationen über die digitalen Plattformen, zum Teil sogar ausschließlich. Diese Form der Kommunikation wird wie eine inhaltliche Botschaft wahrgenommen: Hier kümmert sich jemand und setzt sich mit uns in Verbindung. 

Was empfinden die jungen Leute heute als dringend?

Die größten Sorgen bereiten ihnen wirtschaftliche Themen: der Krieg in der Ukraine, die Inflation, die schwierige Wohnsituation mit teurem Wohnraum. Auch das Flüchtlingsthema ist ganz wichtig. In den Jahren 2015 und 2016, als die Flüchtlingszahlen am höchsten waren, sahen die jungen Leuten es noch als einmalige Situation. Inzwischen ist klar, dass es sich um eine dauerhafte Fluchtbewegung handelt. Dadurch entsteht ein Gefühl des Kontrollverlusts, ähnlich dem Ohnmachtsgefühl während der Corona-Pandemie. Neu seit einigen Jahren ist, dass sich junge Menschen schon Sorgen um Altersarmut machen. Sie fürchten sich vor einer Wirtschaftskrise. Die Sorge vor einer Klimakatastrophe bleibt bestehen, steht aber nicht mehr an oberster Stelle. Das erklärt teilweise den Absturz der Grünen.

Beim Klimathema waren junge Menschen mit „Fridays for Future" noch sehr engagiert. Wo ist heute ihr Kampfgeist hin?

Die junge Generation musste sich lange Zeit überhaupt keine großen Sorgen machen. Trotz Corona hatte sie noch bis zur letzten Bundestagswahl das Gefühl, dass die Entwicklung schon irgendwie einen positiven Verlauf nimmt – auch, was das Klimathema angeht. Der Krieg aber hat diese Zuversicht stark erschüttert. Angesichts der vielen Krisen und der Sorge, dass sie bleiben, denken Jugendliche heute weniger progressiv. Hinzu kommen hohe psychische Verunsicherung und Misstrauen gegenüber der Politik. Hohes Stressniveau, Erschöpfung und Selbstzweifel, Antriebslosigkeit. Wir müssen damit rechnen, dass über zehn Prozent von ihnen für rechtsextreme Positionen anfällig sind.

Klaus
Hurrelmann

Ich sorge mich, dass die jetzige Regierung die Trendwende nicht schafft.

Wie sollte die Politik damit umgehen?

Schauen wir uns die Themen an, die junge Menschen beschäftigen. Russlands Angriffskrieg in der Ukraine erfordert offene Kommunikation. Die Regierung mag damit nicht überall Sympathien gewinnen, doch sie muss eine klare Linie und deutliche politische Position zeigen. Die anderen Themen sind Inflation, teurer Wohnraum, die Sorge vor Altersarmut oder vor einer Wirtschaftskrise. Das wären gerade für die SPD wichtige Themen. Sie könnte bei jungen Leuten gut punkten, im Vergleich zur Europawahl 2019 hat sie bei den jungen Wählern auch ein Prozent gewonnen. Man merkt, die jungen Leute lauern, sie warten darauf, dass sich diese Partei positioniert. Stattdessen überlässt sie aber in vielen Bereichen der AfD das Feld. 

Auf einem Video aus Sylt grölen junge Menschen zu Schlagermusik ausländerfeindliche Texte. Sie wirken nicht so, als ob sie Sorgen vor einer Wirtschaftskrise haben.

Nein, das Video aus Sylt signalisiert, dass es inzwischen auch sehr gut situierten und wirtschaftlich verwöhnten jungen Leuten Freude macht, Tabus zu brechen. Dies deutet auf eine tiefere Ebene hin und signalisiert den Verlust demokratischer Grundprinzipien. Die Wertschätzung dafür, in einer Gesellschaft zu leben, die Minderheiten schützt, und ihre eigene Geschichte kennt, ist verloren gegangen. 

Machen Sie sich Sorgen? Oder könnte sich die Tendenz der jungen Menschen auch schnell wieder ändern?

Ja, ich sorge mich, dass die jetzige Regierung die Trendwende nicht schafft. Unsere Studie im vergangenen Herbst hat klar gezeigt, dass die Parteien etwas ändern müssen. Doch das haben sie nicht getan. Damit sich die Einstellung der jungen Menschen ändert, müssen bei den großen Themen klare Veränderungen eintreten. Nur dann kann die Stimmung kippen. Aber das braucht Zeit. Der aktuelle Trend hat sich in drei Jahren entwickelt.

*Anmerkung der Redaktion: Klaus Hurrelmann ist Professor für Public Health and Education an der Berlin Hertie School. Für die Trendstudie „Jugend in Deutschland 2024" unter Leitung des Jugendforschers Simon Schnetzer wurden rund 2000 junge Menschen zwischen 14 und 29 Jahren über ein Online-Panel repräsentativ befragt. Davon sagten zehn Prozent, sie würden nicht wählen. 25 Prozent wollten keine Parteienpräferenz nennen.

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