International

Wiederwahl von von der Leyen: Diese Bedingungen stellt die SPD

Will Ursula von der Leyen wieder EU-Kommissionspräsidentin werden, braucht sie die Stimmen der sozialdemokratischen Fraktion. Doch die macht ihr dieser Tage in Brüssel noch einmal klar: Die Wiederwahl gibt es nicht um jeden Preis.

von Jonas Jordan · 11. Juli 2024
Ursula von der Leyen

Die CDU-Politikerin Ursula von der Leyen will wieder EU-Kommissionspräsidentin werden und sucht noch nach der notwendigen Mehrheit dafür.

„Jeder möchte doch mal Frank Underwood sein“, sagt René Repasi mit einem Augenzwinkern. Der Vorsitzende der Gruppe der SPD-Abgeordneten im Europaparlament spielt damit auf den legendären Strippenzieher US-amerikanischer Politik in der Serie „House of Cards“ an. Der Vergleich mag etwas überspitzt sein und doch stehen in Brüssel gut einen Monat nach der Europawahl entscheidende Wochen mit Blick auf die künftige Verteilung von aussichtsreichen Posten in Parlament und Kommission an. Hinter den Kulissen wird heftig gerungen und René Repasi zeigt sich stolz, bei einem Presseabend der SPD-Gruppe im Herzen des Brüsseler Europaviertel am Mittwoch schon zwei Entscheidungen verkünden zu können.

Bernd Lange soll Ausschussvorsitzender bleiben

Bernd Lange soll auch in der nächsten Legislaturperiode dem Handelsausschuss vorsitzen. Ein wichtiges Gremium, in dem beispielsweise über Freihandelsverträge beraten wird. Der 68-jährige Niedersachse zählt zu den erfahrensten Parlamentariern in Brüssel und Straßburg. Mit Unterbrechung gehört er bereits seit 1994 dem Europaparlament an. Insgesamt wird die sozialdemokratische S&D-Fraktion, mit mehr als 130 Abgeordneten aus 25 Ländern nach den Konservativen die zweitstärkste Kraft, in fünf Ausschüssen den oder die Vorsitzende stellen.

Gleich fünf Abgeordnete hat die S&D-Fraktion in ihrer Sitzung am Mittwochvormittag als künftige Vizepräsident*innen des Parlaments nominiert: Victor Negrescu aus Rumänien, Javi López aus Spanien, Pina Picierno aus Italien, Christel Schaldemose aus Dänemark und die SPD-Europabeauftragte Katarina Barley. Mit 99 von 112 Stimmen erhielt Barley das beste Nominierungsergebnis der fünf Kandidat*innen, um ihre Arbeit als Vizepräsidentin des Europaparlaments auch in den kommenden fünf Jahren fortzusetzen. „Es ist ein klares Signal, dass die S&D-Fraktion Katarina Barley für ihr stärkstes Pferd im Stall hält“, sagt Repasi.

Katarina Barley als „stärkstes Pferd im Stall“

Die Angesprochene gibt das Lob prompt zurück: „Ich bin froh, dass wir René Repasi zum Vorsitzenden gewählt haben und er die Verhandlungen für uns führt. Ich glaube, es macht ihm sogar ein bisschen Spaß.“ Barley fügt an: „Wir freuen uns alle sehr, dass es wieder losgeht und wir in die politische Arbeit starten können.“ Teil dieser politischen Arbeit wird voraussichtlich bereits in der kommenden Woche die Wahl einer neuen Kommissionspräsidentin sein. Wenn es nach Ursula von der Leyen und den europäischen Konservativen geht, soll sie dieses Amt auch in den kommenden fünf Jahren weiter ausfüllen.

Allerdings: „Sie wird keine Mehrheit ohne die S&D-Fraktion haben. Dessen sind wir uns bewusst“, macht Repasi deutlich. Am Dienstagabend hat sich von der Leyen knapp drei Stunden lang in einer nicht öffentlichen Sitzung den Fragen der Sozialdemokrat*innen gestellt. Repasi verrät so viel: „Frau von der Leyen hat sich nicht ins Aus geschossen. Sie hat die erste Hürde genommen, ist aber noch nicht im Ziel.“ Denn die Sozialdemokrat*innen stellen klare Forderungen, wollen nicht nur mündliche Vereinbarungen, sondern im besten Fall schriftliche Zusagen für die kommenden fünf Jahre. Die Befürchtung ist, dass von der Leyen sich ansonsten zwar mit den Stimmen der Sozialdemokrat*innen wählen, aber bei inhaltlichen Projekten in den kommenden Jahren doch wieder mit der rechtskonservativen EKR-Fraktion gemeinsame Sache machen könnte.

Klare Forderungen an von der Leyen

Da ziehen die Sozialdemokrat*innen jedoch eine klare Brandmauer. Ihre Forderungen an von der Leyen für die Jahre 2024 bis 2029 haben sie in einem zwölfseitigen Dokument veröffentlicht. Zentrale Punkt sind die Forderungen nach einem klaren Bekenntnis zum Verbrenner-Aus ab 2035 sowie den Weg zur Klimaneutralität ab 2050 fortzuführen. Die S&D-Fraktion fordert außerdem eine*n eigene*n Kommissar*in für das Thema Wohnungsbau. Mindestens 50 Milliarden Euro pro Jahr sollen aus EU-Mitteln für Investitionen in den Wohnungsbau zur Verfügung gestellt werden. Auch der Green Deal soll fortgeführt und weiterentwickelt werden. „Wir müssen den Green Deal mit rotem Herz hinbekommen. Wir wollen der Garant dafür sein, dass der Green Deal sein Investitionsniveau hält, aber sozial unterfüttert ist“, fordert Repasi.

Personell äußern große Teile der S&D-Fraktion den klaren Wunsch an von der Leyen, dass Nicolas Schmit, europaweiter Spitzenkandidat der Sozialdemokrat*innen bei der Europawahl, Teil ihrer Kommission bleiben soll. Da gibt es jedoch ein praktisches Problem: Schmit ist Luxemburger, dort amtiert jedoch eine konservative Regierung. Zwar hat von der Leyen von allen Mitgliedsländern zwei Vorschläge gefordert: einen männlichen und einen weiblichen. Doch haben die luxemburgischen Konservativen ein Interesse daran, ausgerechnet einen Sozialdemokraten zu benennen? Das Kalkül von manchen: Wenn eine sozialdemokratisch geführte Regierung in Deutschland eine konservative Politikerin als Kommissionspräsidentin vorschlagen könne, dann ginge das in Luxemburg doch auch umgekehrt. Ob das aufgeht, ist unklar.

Im November könnte die Kommission stehen

Klar scheint hingegen, dass von der Leyen für ihre Wiederwahl nicht nur Konservative, Sozialdemokrat*innen und Liberale ins Boot holen muss. Zwar verfügen die drei Fraktionen zusammen über ausreichend Stimmen im Parlament. Es wird jedoch mit 10 bis 15 Prozent Abweichler*innen gerechnet. Dann könnte es doch eng werden. Deswegen sagt auch Repasi: „Man muss kein Superstar in Mathematik gewesen sein, um zu wissen, dass man grüne Stimmen braucht.“ Auch den Grünen wird von der Leyen also inhaltliche Angebote machen müssen.

Wenn all das klappt, könnte die CDU-Politikerin schon in der kommenden Woche als Kommissionspräsidentin wiedergewählt werden. Bis ihre Kommission komplett ist, wird es dann jedoch noch etwas dauern. Alle Kandidat*innen werden zunächst im EU-Parlament angehört. Ende November könnte die Kommission stehen, was aus Repasis Sicht einen praktischen Vorteil hätte: Die ungarische Ratspräsidentschaft wäre dann schon fast wieder vorbei. Er spricht von einer schwierigen Präsidentschaft und einem „wahnsinnigen Agieren von Viktor Orbán“ mit Blick auf dessen eigenmächtigen Besuche in Russland und China. 

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

Weitere interessante Rubriken entdecken

2 Kommentare

Gespeichert von Tom Kaperborg (nicht überprüft) am Fr., 12.07.2024 - 10:31

Permalink

... wir werden die naechsten 5 Jahre dringendere Problem zu loesen haben, als das Klima. Wie waere es mal mit Verteidigung und Abschreckung der militaerischen Bedrohung auf dem eurasischen Kontinet als wichtigstes Thema. Wirtschaft, bezahlbare Mobilitaet und Energie, ungewollte Einwanderung vs. gewollte Einwanderung, europaeischer Zusammenhalt. Klima wird irgendwann so wichtig, dass es dringend wird, das kann noch Jahrzehnte oder laenger dauern, aber derzeit plagen die Menschen andere Sorgen und wie man in den Wahlergebnissen sieht sind die jungen Waehler eben nicht auf Klima fixiert - das sind nur die Lautesten. Mit dem Grean-Deal hat man nur die Menschen verunsichert. Machen was geht, aber nicht mit der Brechstange.