Seenotrettung: Warum immer wieder Menschen im Mittelmeer ertrinken
IMAGO/Daniel Kubirski
In der Nacht zum Mittwoch geriet ein völlig überfülltes Fischerboot vor der griechischen Küste in Seenot und kenterte. Medienberichten zufolge war das Boot von der libyschen Stadt Tobruk aus aufgebrochen und hatte versucht, Italien zu erreichen. An Bord seien Menschen aus Syrien, Pakistan, Afghanistan und Ägypten gewesen. Bei dem Unglück könnten mehr als 500 Personen ums Leben gekommen sein. Es ist das schwerste Schiffsunglück in diesem Jahr. Insgesamt sind in den vergangenen zehn Jahren fast 27.000 Menschen bei der versuchten Überfahrt über das Mittelmeer gestorben oder werden seitdem vermisst.
Innenministerin Nancy Faeser (SPD) schreibt angesichts dieser Tragödie auf Twitter: „Es erschüttert mich tief, dass wahrscheinlich hunderte Menschen vor der griechischen Küste ertrunken sind. Wir dürfen angesichts dieser Not nicht abstumpfen, sondern müssen daran arbeiten, legale Migrationswege zu schaffen und Migrationsabkommen zu schließen.“ Es sei notwendig, das Geschäftsmodell der Schleuser*innen zu zerstören, „die Menschen auf lebensgefährlichen Wegen in die EU bringen“. Sie stellt klar: „Wir werden die EU-Staaten am Mittelmeer weiter unterstützen und solidarisch Menschen aufnehmen, die aus Seenot gerettet wurden.“
Europäische Lösung für Seenotrettung?
Der SPD-Innenpolitiker Hakan Demir fordert daher: „Wir brauchen dringend eine Europäische Rettungsmission. Das Mittelmeer ist die tödlichste Grenze der Welt. So kann es nicht bleiben.“ Der Bundestagsabgeordnete zeigte sich „sehr enttäuscht“ darüber, dass Seenotrettung bei der EU-Asylreform keine Rolle gespielt habe. Die Innenminister*innen der EU-Mitgliedsstaaten hatten sich bei einem Treffen in der vergangenen Woche in Luxemburg auf eine gemeinsame Position zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS) verständigt.
Damit die Reform auch tatsächlich in Kraft treten kann, ist jedoch auch eine Einigung im sogenannten Trilog zwischen Rat, EU-Kommission und dem Europaparlament notwendig. Dabei werde auch die Seenotrettung „sicher noch mal ein Thema sein“, glaubt Birgit Sippel, innenpolitische Sprecherin der S&D-Fraktion im Europaparlament. Im Interview mit dem „vorwärts“ sagt sie: „Ich persönlich hätte es gut gefunden, wenn sich die Mitgliedsstaaten darauf verständigt hätten, dass Seenotrettung eine gemeinsame europäische Aufgabe ist, die gemeinsam organisiert und finanziert wird und bei der die geretteten Menschen auf verschiedene Mitgliedsstaaten verteilt werden.“
Zwei Millionen Euro pro Jahr für Seenotrettung
Auch der SPD-Parteivorstand hat sich in einer Resolution zur europäischen Asylpolitik am Montag klar in Fragen der Seenotrettung positioniert: „Das Sterben im Mittelmeer muss aufhören. So ist die Seenotrettung eine Verpflichtung aus dem internationalen Seerecht und darf nicht kriminalisiert, sondern muss auch staatlich durch die EU gewährleistet werden“, heißt es im Papier. Zivile Seenotrettung dürfe nicht kriminalisiert, sondern müsse weiter unterstützt werden.
„Deutschland stellt als einziges EU-Mitglied Haushaltsmittel für sie zivile Seenotrettung bereit. Das ist ein Meilenstein“, hebt Hakan Demir in dem Zusammenhang hervor. Tatsächlich hat der Bundestag im vergangenen Herbst beschlossen, den Verein United 4 Rescue von 2023 bis 2026 jährlich mit zwei Millionen Euro aus den Haushaltsmitteln des Auswärtigen Amtes finanziell zu unterstützen. Der kirchennahe Verein finanziert unter anderem Rettungsschiffe der deutschen NGOs Sea Watch, SOS Humanity und Sea Eye mit.
SPD-Abgeordnete machen Druck
Allerdings sind Medienberichten zufolge bislang keinerlei Gelder an den Verein ausgezahlt worden. Die NGO SOS Humanity schreibt auf ihrer Homepage von finanziellen Problemen. Bis zum 15. Juli brauche sie mehr finanzielle Mittel. Sonst könne die nächste Rettungsmission auf dem Mittelmeer nicht finanziert werden. Auch deswegen sagt Demir: „Es ist wichtig, dass diese Gelder jetzt auch zügig vom Außenministerium ausgezahlt werden. Daran hängen Menschenleben.“
Ähnlich sieht das seine Bundestagskollegin Derya Türk-Nachbaur, Mitglied im Bundestagsausschuss für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Der Verein United 4 Rescue leiste „einen unschätzbaren Beitrag gegen das Sterben im Mittelmeer“, kommentiert die SPD-Abgeordnete. Zugleich spricht sie von einer „absurden Blockade“, die dem Vertrauen in die Bundesregierung schade. „Ich erwarte, dass die zugesagten Gelder schnell und uneingeschränkt an United 4 Rescue fließen“, kommentiert Türk-Nachbaur.
Auswärtiges Amt: Förderung soll so schnell wie möglich umgesetzt werden
Das stellt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes auf Nachfrage des „vorwärts“ ganz konkret in Aussicht: „Das Auswärtige Amt wird die vom Bundestag festgelegte finanzielle Förderung umsetzen und damit die zivile Seenotrettung, auch auf dem Meer, unterstützen. Wir befinden uns dazu aktuell und zum Teil sehr konkret in Kontakt mit Nichtregierungsorganisationen.“ Die Förderung durch das Auswärtige Amt sei in Planung und solle so schnell wie möglich umgesetzt werden.
„Mit der Nichtregierungsorganisation SOS Humanity befinden wir uns in den Gesprächen über eine mögliche finanzielle Förderung derzeit auf der Zielgeraden“, führt ein Sprecher des Auswärtigen Amtes aus. Denn Menschen vor dem Ertrinken und aus Seenot zu retten sei eine rechtliche, humanitäre und moralische Pflicht. „Zivile Seenotrettung im Mittelmeer leistet dazu einen wichtigen Beitrag. Diese Position vertreten wir als Bundesregierung mit Nachdruck auch gegenüber der italienischen Seite.“
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo