Lars Klingbeil: Warum es eine andere Wirtschaftspolitik braucht
Lange Zeit waren junge Menschen in Deutschland optimistischer als ihre Altersgenoss*innen in anderen europäischen Ländern. Allein die Pol*innen zwischen 16 und 26 galten als ähnlich positiv gestimmt. Doch das ist in beiden Ländern vorbei. 44 Prozent der jungen Deutschen sind inzwischen überzeugt, dass es ihnen schlechter gehen wird als ihren Eltern. Nur 27 Prozent glauben an eine Verbesserung. Europaweit sind die Zahlen noch schlechter. Das hat das Meinungsforschungsinstitut YouGov für die Jugendstudie „Junges Europa“ der TUI Stiftung ermittelt, die vor einigen Tagen vorgestellt wurde.
Klingbeil: Veränderungen müssen Verbesserungen werden
„Der Glaube an eine bessere Zukunft geht allmählich verloren“, stellt deshalb Lars Klingbeil fest. Der SPD-Vorsitzende ist am Dienstagmorgen zu Gast beim „Tag der Progressiven Wirtschaftspolitik“ der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er spricht über „eine neue sozialdemokratische Wirtschaftspolitik“ und die Frage, wie aus der (oder den) Krisen – von Inflation bis Klima – eine Chance werden kann
Zuerst müsse es für die SPD darum gehen, den Glauben an eine bessere Zukunft wiederzubeleben, betont Klingbeil. „Anspruch der SPD muss es sein, Veränderungen als Verbesserungen zu gestalten“, sagt er. Und Veränderungen werde es geben: Die Transformation hin zu einer klimaneutralen Wirtschaft stelle die Gesellschaft ebenso vor Herausforderungen wie der Fachkräftemangel. „Es wird ruckelig werden an vielen Stellen“, sagt Klingbeil. „Am Ende ist aber klar: Wir müssen uns verändern, damit Deutschland ein starkes Land bleibt.“
Die Rolle des Staates wieder in den Mittelpunkt rücken
„Es ist unsere Aufgabe, dass aus Veränderungen Verbesserungen werden“, hatte Lars Klingbeil schon Ende Mai bei der 160-Jahr-Feier der SPD gesagt und betont, die SPD habe jetzt die „große Chance, eine neue Wirtschaftspolitik zu prägen – eine Wirtschaftspolitik, die Gemeinwohl und die Rolle des Staates wieder in den Mittelpunkt rückt“. Diesen Gedanken greift der SPD-Chef auch in der Friedrich-Ebert-Stiftung auf. Es sei ein „Irrglaube, dass der Markt alles regelt. Wir brauchen ein neues Zusammenspiel von Markt und Staat“, in dem der Staat „Orientierung geben“ müsse.
Wie das konkret aussehen kann, macht Lars Klingbeil an der Forderung nach einem Industriestrompreis fest: Unternehmen, die sich auf den Weg des klimaneutralen Umbaus machen, sollen mit einem subventionierten Strompreis unterstützt werden. Die Bundesregierung ist dabei, entsprechende Rahmenbedingungen zu erarbeiten. Doch der SPD-Vorsitzende geht noch weiter: „Warum können wir Unternehmen wie Thyssen-Krupp, nicht die Garantie geben, dass wir ihnen eine festgelegte Menge grünen Stahl abnehmen und z.B. in die Deutsche Bahn stecken“, fragt er.
Es geht um die Zukunft der Demokratie
Ebenso wichtig wie eine Renaissance der Industriepolitik ist aus Sicht Klingbeils eine Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung und der Tarifbindung. „Wir müssen über gute und faire Arbeit reden“, sagt Klingbeil in der Ebert-Stiftung. Die Gewerkschaften spielten hierbei eine entscheidende Rolle. All das – der Aufbau von Infrastruktur und die gute Bezahlung von Arbeitnehmer*innen – kosteten natürlich Geld, doch „jeder Euro, der in die Transformation gesteckt wird, ist ein Euro für unsere Zukunft“. Auch Investitionen in den Sozialstaat seien Investitionen in die Transformation. Und die seien jetzt notwendig. „In der Abwägung, ob wir investieren sollten oder die Schuldenbremse einhalten, würde ich mich für die Zukunftsinvestitionen entscheiden“, stellt der SPD-Chef klar. Auch privates Kapital wolle er „stärker in die Verantwortung nehmen“.
Denn am Ende stehe weitaus mehr auf dem Spiel als nur die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Es gehe um die Zukunft der Demokratie. „Die Bereitschaft für Veränderungen ist da“, ist Lars Klingbeil überzeugt, aber es dürfe dabei niemand auf der Strecke bleiben. Die Diskussion über das Heizungsgesetz habe gezeigt, wie ein Thema schnell an Zustimmung verlieren könne. „Der Wandel ist eine Chance, Dinge besser zu machen“, sagt Lars Klingbeil. Und er sei auch eine „Chance für ein Jahrzehnt der sozialdemokratischen Wirtschaftspolitik“.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.