Kritik an Kindergrundsicherung: „Kann nur ein Zwischenschritt sein.“
IMAGO/Michael Gstettenbauer
Das Zukunftsforum Familie macht sich schon lange für eine Kindergrundsicherung stark. Nun liegen die Eckpunkte der Bundesregierung vor. Wie bewerten Sie sie?
Meine Enttäuschung über die geeinten Eckpunkte ist groß. Mit den geplanten Änderungen werden weiterhin viel zu viele Kinder vom Anspruch ausgegrenzt. Bei der Höhe der Leistungen ist keine Verbesserung sichtbar und die Daumenschraube, die Eltern durch den Zwang zur Arbeit angelegt wird, ist nicht nachvollziehbar. Die Rechentricks, die als Neuberechnung des Existenzminimums verkauft werden, werden dem Anspruch an eine echte und faire Kindergrundsicherung nicht gerecht. Wir befürworten, dass verdeckter Armut durch eine höhere Inanspruchnahme den Kampf angesagt wird. Insgesamt aber ist es reinster Etikettenschwindel, dieser Reform den Namen Kindergrundsicherung zu geben. Damit lässt sich Kinderarmut nicht bekämpfen.
Neben einer Erhöhung der Unterstützung um 2,4 Milliarden Euro setzt die Bundesregierung in ihrem Konzept auf eine Vereinfachung und Zusammenlegung von Leistungen. Finden Sie das prinzipiell richtig?
Der Weg, den diese Verwaltungsreform einschlägt, ist richtig, aber die Schritte gehen nicht weit genug. Das, was jetzt vorliegt, ist keine armutsfeste neue Leistung. Ich habe den Eindruck, dass Teilen der Bundesregierung nicht wirklich bewusst ist, was Armut in und für Familien bedeutet. Wenn ein Bundesfinanzminister behauptet, ein Großteil der Kinderarmut sei auf die Migration zurückzuführen, macht mich das sprachlos. Zumal Christian Lindner bei den Beratungsleistungen für Migranten massiv kürzen will.
Der Gesetzentwurf soll in den kommenden Wochen mit den Verbänden intensiv beraten werden. Was ist aus Sicht des ZFF für eine wirkliche Kindergrundsicherung essenziell?
Entscheidend ist, dass alle Kinder, die in Deutschland leben, automatisch einen Anspruch auf die Kindergrundsicherung haben. Uns ist durchaus bewusst, dass nicht alle Reformen und Leistungen zum 1. Januar 2025 in Kraft treten können, aber der konkrete Pfad muss erkennbar sein, damit sich die Kinder und Jugendlichen darauf verlassen können. Die aktuelle Einigung kann deshalb nur ein Zwischenschritt sein, bei der das letzte Wort noch nicht gesprochen wurde.
Trotz verschiedenster Bemühungen nimmt die Kinderarmut in Deutschland seit Jahren zu. Woran liegt das?
Insbesondere Familien geraten immer stärker ökonomisch unter Druck. Hinzu kommt, dass der Anteil der Alleinerziehenden in den letzten Jahren deutlich zugenommen hat. Die steigenden Preise verschärfen die Situation noch zusätzlich. Je stärker der ökonomische Druck wird, desto mehr Menschen geraten in Armut. Das wirkt sich schnell auf die Schwächsten aus, die Kinder.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat bereits Änderungsbedarf an den Ampel-Plänen für die Kindergrundsicherung angemeldet. Wird es dazu kommen?
Das hoffe ich doch sehr! Wir werden uns jedenfalls im parlamentarischen Verfahren vehement dafür einsetzen, dass es zu tatsächlichen Verbesserungen für alle Kinder, Jugendliche und ihre Familien kommt. Millionen Menschen haben Hoffnungen in diese Koalition gesetzt. Die muss die Ampel jetzt einlösen.
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.