Parteileben

Warum Genoss*innen aus Niedersachsen in Chemnitz Wahlkampf machen

„Wir reden nicht, wir machen“ – unter diesem Motto gingen niedersächsische Sozialdemokrat*innen auf Klassenfahrt. Ihr Ziel: die Genoss*innen in Chemnitz beim Wahlkampf vor Ort zu unterstützen. 

von Julia Korbik · 27. Mai 2024
SPD-Flyer

Gezielte Wahlkampfunterstützung: im Chemnitzer Stadtbezirk Schönau wurden u.a. diese Flyer verteilt

Der Stadtteil Schönau, im Westen von Chemnitz, wirkt idyllisch: freistehende Einfamilien-Häuser, viel Grün, wenig Verkehr. Doch Renata Marwege, Co-Vorsitzende der Chemnitzer SPD, weiß es besser. Die 57-jährige Juristin kandidiert bei den anstehenden Kommunalwahlen in Sachsen und wohnt selbst in Schönau. „Da vorne hat die Identitäre Bewegung ihr Schulungszentrum“, sagt sie. „Die sprechen an den Schulen die Kinder an und geben sich ganz harmlos.“ 

Einfach mal machen

Die AfD, so Marwege, liege im gesamten Wahlkreis bei 30 Prozent. Und dann gibt es noch die Partei Freie Sachsen, die seit 2022 vom Bundesamt für Verfassungsschutz beobachtet wird. Die Herausforderungen sind also groß – umso mehr freut sich Marwege, dass sie an diesem letzten Wochenende im Mai von Genoss*innen aus Niedersachsen beim Wahlkampf unterstützt wird. 

Die Idee zu dieser „Klassenfahrt“ des SPD-Unterbezirks Region Hannover entstand 2023. Mit dabei waren auch die Unterbezirke Hameln/Pyrmont, Harburg, Region Hannover, Stade, Heidekreis, Celle und Lüneburg. Die Initiative kam von der Bundestagsabgeordneten Svenja Stadler aus dem Unterbezirk Harburg. „Es geht uns um Austausch und um die Unterstützung vor Ort“, erklärt Frithjof Brandt, einer der Initiator*innen. „Wir wollten nicht immer nur reden über das, was in Sachsen passiert, sondern machen.“ Und so wurden Reisebusse gemietet und einheitliche rote Jacken bedruckt, in Online-Seminaren bereitete man sich auf den sächsischen Wahlkampf vor. 

Menschen aller Altersgruppen

Am Ende haben gut 70 Menschen aller Altersgruppen – darunter die Bundestagsabgeordneten Svenja Stadler und Dirk-Ulrich Mende – in Begleitung von Hund Spencer die Fahrt nach Chemnitz angetreten. Dort werden sie Freitagabend von der Parteivorsitzenden Saskia Esken empfangen, man lernt sich beim gemeinsamen Currywurstessen kennen. Samstag erwarten die Gäste verschiedene Angebote wie ein Täterspurenrundgang NSU oder ein Vortrag zur Europäischen Kulturhauptstadt 2025 (Chemnitz teilt sich den Titel mit der slowenischen Stadt Nova Gorica). 

Es folgt: ein Flashmob auf dem Chemnitzer Hutfestival, bei dem die Europahymne gesungen wird. Und weil man schließlich zum Arbeiten hier ist, geht es ab 15 Uhr in kleineren Gruppen und zusammen mit Spitzenkandidat*innen sowie Mitgliedern der SPD Chemnitz für Aktionen in die Wahlkreise.

Es zeigt sich: Die niedersächsischen Wahlhelfer*innen waren auf vieles vorbereitet – Stammtisch-Parolen, Pöbeln am Wahlkampf-Stand. Als größte Herausforderung entpuppt sich allerdings: der Dauerregen. 

Wahlkampf-Unterstützung vor Ort

Die junge Gruppe um Renata Marwege und Frithjof Brandt bringt das jedoch nicht von ihrer Mission ab, möglichst viele Wahlflyer in Schönau zu verteilen. Man ist tropfnass, aber hochmotiviert. Marwege schwärmt von der „roten Wucht an Menschen, die einen begleitet.“ Stört es sie nicht, dass hier – provokant formuliert – Wessis den Ossis zu Hilfe eilen? Marwege verneint. Ihre Eltern stammen aus Hamburg und überhaupt: Mit Ost-West-Denken kann sie nichts anfangen. „Ich würde mir wünschen“, sagt sie, „dass das Thema Zusammenwachsen keines mehr ist.“ 

Auch Mia Zuber lässt sich vom Regen nicht abschrecken. Die 16-Jährige war bisher noch nie in Ostdeutschland, die Ereignisse der letzten Monate und der große Erfolg rechter und rechtsextremer Parteien beunruhigen sie: „Ich habe Angst, dass all das, was wir machen, am Ende zu nichts führt.“ 

Gleichzeitig hat sie Hoffnung, denn „wir können unsere Zukunft mitgestalten, wir haben es in der Hand.“ Der gleichaltrige Emil Renz, der sich seit Jahren in Chemnitz für die Jusos und die SPD engagiert, teilt diese ambivalenten Gefühle: „Der Angriff auf Matthias Ecke hat mich wirklich eingeschüchtert. Einige der Angreifer waren in meinem Alter.“ Umso schöner sei es, Menschen zu haben, auf die man sich verlassen könne. So wie auf die Genoss*innen aus Niedersachen.

Am Ende sind nicht nur die Flyer verteilt und Sächs*innen und Niedersächs*innen haben sich besser kennengelernt: Sogar der Regen hat aufgehört, die Sonne zeigt sich. Wenn das mal kein gutes Zeichen ist.

Autor*in
Julia Korbik
Julia Korbik

studierte European Studies, Kommunikationswissenschaften und Journalismus in Deutschland und Frankreich. In Berlin arbeitet sie als freie Autorin und Journalistin.

Weitere interessante Rubriken entdecken

0 Kommentare
Noch keine Kommentare