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Heike Heubach: So macht die gehörlose Abgeordnete Wahlkampf

Als erste gehörlose Abgeordnete im Bundestag hat Heike Heubach Geschichte geschrieben. Nun kämpft sie um den Wiedereinzug ins Parlament. Wie aber macht man Wahlkampf, wenn man für jedes Gespräch eine Dolmetscherin braucht?

von Uwe Roth · 18. Februar 2025
SPD-Kandidatin Heike Heubach im Bundestagswahlkampf

Unterwegs im Wahlkreis Augsburg-Land: Die SPD-Bundestagsabgeordnete Heike Heubach will auch weiterhin in Berlin Politik machen.

In der bayerisch-schwäbischen Gemeinde Kissing steht ein Großplakat mit Friedrich Merz und Markus Söder im Doppelpack. Wie so oft zeigt der Union-Kanzlerkandidat Merz auch an dieser Straßenkreuzung nahe Augsburg eine ernste Miene. Söder versucht mit grau-schwarzem Bartwuchs, dem Bayernkönig ähnlich zu sein. Beide sollen wohl irgendwie staatstragend wirken.  

Wie Merz und Söder für die SPD-Kandidatin werben

Das Plakat zur Bundestagswahl am 23. Februar ist quasi die ideale Werbung für eine politische Konkurrentin. Denn Heike Heubach ist völlig anders. Gleich neben Merz und Söder ist ein ebenso großes Plakat der SPD-Kandidatin für den Wahlkreis Augsburg-Land zu sehen. Darauf strahlt Heubach vor rotem Hintergrund. Herzlich, also alles andere als staatstragend. 

Wer der Bundestagsabgeordneten zum ersten Mal begegnet, stellt schon nach wenigen Minuten fest: Im echten Leben zeigt sich ihre Strahlkraft noch viel deutlicher. Anders gesagt: Wer der Fröhlichkeit ein Gesicht geben möchte, sollte die 45-Jährige porträtieren. 

„Das ist meine Natur“, sagt Heubach über sich. „Ich bin ein Sonnenkind und habe schon immer viel gelacht.“ Ihr angeborener Optimismus sei unerschütterlich. In diesen bedrohlichen Zeiten von Krisen und Kriegen gebe ihr diese Eigenschaft Kraft.

Für Heike Heubach ist einiges anders

Als Heubach mit ihrem Auto an den Wahlplakaten vorbeifährt, ist sie auf dem Weg nach Mering. In dem 15.000 Einwohner*innen-Ort trifft sie Peter Hörmann vom SPD-Ortsverein, um mit ihm Haustür-Wahlkampf zu machen. Davor war Heubach in der Stadt Friedberg. Gemeinsam mit Simone Hahn-Wiltschek vom Vorstand des SPD-Ortsvereins stand sie auf dem Marienplatz, um Passant*innen anzusprechen, die an diesem eiskalten Vormittag aber wenig Lust auf Gespräche hatten. 

Das alles klingt für Kandidat*innen und deren Teams nach Wahlkampf-Routine. Bei Heubach ist aber alles ein wenig anders. Als Säugling verlor sie ihr Gehör, nicht aber ihre Lebensfreude. Ihr Gebärdenname spiegelt ihr Wesen wider: Es ist die Gebärde für das Lächeln. Der Zeigefinger liegt parallel zum Kinn, der Daumen zeigt nach oben. Heubachs Ehemann ist ebenfalls gehörlos, wenngleich sie den Begriff „taub“ bevorzugt. Sie sind Eltern einer 19- sowie einer 22-jährigen Tochter. Die Kinder sind zweisprachig aufgewachsen, können hören, sprechen und gebärden fließend. 

Im März vergangenen Jahres rückte die Industriekauffrau in den Deutschen Bundestag nach. Mit ihrer ersten Rede im Plenum in Gebärdensprache wurde sie mit einem Schlag bekannt. Es war die erste Rede dieser Art im Plenarsaal und somit ein Ereignis, das in die Bundestagsgeschichte eingegangen ist. 

Heubach lieferte die „Rede des Jahres" ab

Die Rede galt einem Gesetzentwurf zur Stärkung der Integrierten Stadtentwicklung. Den Schwerpunkt legte sie auf den Klimaschutz. Für das Rhetorische Seminar der Uni Tübingen war es „Rede des Jahres 2024“. Besonders gelobt wurde ihr Schlusssatz: „Ein Mehr an Klimaschutz wird Leben retten und den Bundeshaushalt bei den Kosten von Naturkatastrophen entlasten. Am teuersten wird es dann, wenn wir nichts tun.“ 

Alle relevanten Medien berichteten darüber und zeigten, wie ihre Fraktion am Ende im Stehen mit wedelnden Händen lautlos applaudierte.  

Heubach ist seit sechs Jahren Mitglied der Partei. „SPD habe ich aber immer gewählt“, betont sie. Wegen ihrer Behinderung habe sie sich nie versteckt. Bei einem Elternabend lernte sie jemanden vom SPD-Ortsverein Stadtbergen kennen, der sie fragte, ob sie nicht für die Kommunalwahl kandidieren wolle. Sie tat es. Und bekam ihr Parteibuch.  

Für den Einzug in den Gemeinderat des Ortes bei Augsburg reichte es nicht. Allerdings lernte Heubach, was es heißt, einen Wahlkampf zu führen. 2021 kandidierte sie auf Platz 18 der Bayerischen Landesliste für den Bundestag und landete für mehr als zwei Jahre auf der „Ersatzbank“. Bis Uli Grötsch sein Mandat aufgab, um Polizeibeauftragter zu werden. 

Der Wiedereinzug ist kein Selbstläufer

Nun steht Heubach mitten in ihrem dritten Wahlkampf. Mit Platz 14 auf der Landesliste wird ihr Wiedereinzug nach dem 23. Februar kein Selbstläufer sein.  Doch sie lässt sich nicht entmutigen und setzt auf ihre Eloquenz.

Damit ihre Botschaften bei den Bürger*innen ankommen, benötigt die Sozialdemokratin die Unterstützung professioneller Gebärden-Dolmetscher*innen. An einem Freitag im Februar sind vier Dolmetscherinnen abwechselnd im Einsatz. Zwei am Vormittag, zwei am Nachmittag und Abend. Im Viertelstunden-Takt wechseln sie sich ab. 

Unter ihnen sind die Frauen, die Heubachs viel beachtete Bundestagsrede zur in die Hörsprache übertragen haben. Im Wahlkampf muss Heubach selbst für die Finanzierung der Honorarkräfte sorgen. „Ich zahle das aus meinem persönlichen Budget“, sagt sie. „Das reicht dafür aber nicht. Daher muss ich privat zuzahlen.“ 

Das persönliche Budget besteht aus den Leistungen, die ein Menschen mit Behinderung erhält, um an der Gesellschaft teilhaben zu können. In ihrem Fall sind das die Kosten für Gebärden-Dolmetscher*innen im privaten Alltag. 

Kritik an Kürzungsplänen von CDU und AfD

Stört es sie, als Politikerin mit einer Behinderung auf das Thema Inklusion reduziert zu werden? Heubach antwortet so: „Ich bin Mitglied im Ausschuss für Wohnen, Stadtentwicklung, Bauwesen und Kommunen. Dort werden für mich sehr spannende Themen behandelt.“ 

Dann sagt sie mit Nachdruck: „Selbstverständlich setze ich mich für Inklusion ein. Da gibt es so viele Baustellen.“ CDU und vor allem die AfD drohten mit Kürzungen der Leistungen. „Davon wäre sicher auch mein persönliches Budget betroffen.“ 

Damit es nicht so weit kommt, spricht sie im Wahlkampf möglichst viele Menschen an. Dabei nutzt sie ihren Charme und den Überraschungseffekt. Passant*innen sehen ihre Gesten und die Frau neben ihr, die für sie spricht. Das sorgt für Neugierde. Diese macht aus einem traditionellen CSU-Wählenden nicht gleich eine Wechselwähler*in. Aber die Gebärden sorgen für Aufmerksamkeit und auch dafür, dass die Angesprochenen nicht gleich losgranteln. 

Anstelle von Worten gibt es eine Umarmung

Wer Heubach kennt, lobt ihr außerordentliches Engagement. Eine Frau mit Kinderwagen kann nicht anders und nimmt sie, weil sie der Gebärdensprache nicht mächtig ist, zum Dank in den Arm. 

Aktuelle Entwicklungen zur Bundestagswahl 2025 gibt es zum Nachlesen in unserem Newsticker.

Autor*in
Uwe Roth

ist freier Journalist, unter anderem für die Stuttgarter Zeitung und die Deutsche Presseagentur. Er ist zudem Fachtexter für die Einfache Sprache/Plain Language.

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