Parteileben

Boxhandschuhe für die Vorsitzende: Andrea Nahles beim Juso-Bundeskongress

Zum ersten Mal ist Andrea Nahles als SPD-Parteivorsitzende zu Gast beim Juso-Bundeskongress. Die Atmosphäre ist freundlich, aber kritisch. Nahles erneuert ihre Forderung nach einer neuen Grundsicherung, während der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert sich einen anderen Kommunikationsstil des Parteivorstands wünscht.
von Jonas Jordan · 1. Dezember 2018
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Es ist eine Art Zeitreise für Andrea Nahles. Von 1995 bis 1999 war sie selbst Vorsitzende der Jusos. Heute kommt Nahles zum ersten Mal als SPD-Vorsitzende zu einem Juso-Bundeskongress. Die Voraussetzungen könnten besser sein. Doch Nahles ist angriffslustig. Und zumindest bei den Jusos hat sie jüngst an Kredit gewonnen, indem sie die stellvertretende Juso-Bundesvorsitzende Delara Burkhardt in der Vorschlagsliste des Parteivorstands zur Europawahl auf Platz fünf setzte.

Applaus für die Europaliste

Andrea Nahles ist Stammgast beim Nachwuchs der Partei. Und sie weiß: „Der Juso-Bundeskongress ist kein Wellnesswochenende. Das war es auch zu meiner Zeit nicht.“ Sie erwarte keine „Artigkeiten“, sondern „dass wir miteinander ringen“. „Wir sind ja nicht bei der Jungen Union“, sagt Nahles. „Wir streiten für eine Welt, in der die Menschen entscheiden und nicht der Markt.“ Dafür sei Europa die Antwort. „Ich bin bereit, alles zu geben und die letzten Groschen zusammenzukratzen. Bitte helft mit und kämpft für ein solidarisches Europa.“

Großer Applaus, als Nahles ihren Listenvorschlag verteidigt. „Ich habe euch im letzten Jahr in Saarbrücken versprochen, dass die SPD jünger und weiblicher wird. Das habe ich im Parteivorstand auch durchgesetzt.“ Nur die Jusos Baden-Württemberg sind nicht einverstanden. Sie haben sich hinten rechts im Saal versammelt, halten Schilder hoch, auf denen Dinge stehen wie „Basisdemokratie respektieren“ und „Für Evelyne Gebhardt“.

Sie kritisieren, dass die Vizepräsidentin des Europaparlaments Evelyne Gebhardt nur auf Platz 25 steht, obwohl sie zuvor von den Genossen in Baden-Württemberg als Spitzenkandidatin nominiert worden war. An ihrer Stelle steht die frühere Südwest-Generalsekretärin Luisa Boos auf Platz 15. Es gäbe keinen Grund, sich über innerparteiliche Entscheidungen in Baden-Württemberg hinwegzusetzen, sagt die Juso-Vorsitzende Stephanie Bernickel aus Baden-Württemberg später in der Debatte.

Nahles will strittige Debatten

Nahles sagt: „Ich bin nicht hierher gekommen, um mir den Applaus abzuholen.“ Jede neue Umfrage sei für sie aktuell wie ein Schlag in die Magengrube. Allerdings sei Angst kein guter Ratgeber. Statt Richtungsstreit brauche die SPD nun eine ehrliche Debattenkultur. Denn eine strittige Debatte könne zu neuer Geschlossenheit führen. „Angst davor habe ich nicht. Im Gegenteil: Wir müssen einen Zahn zulegen, um Fragen zu klären.“

Ein richtiger Schritt auf diesem Weg sei das Debattencamp gewesen. Auch die Parteivorstandsklausur am 14. Dezember solle zusätzlichen Schwung bringen. „Was wir im letzten Jahr in der Regierung erlebt haben, war an vielen Stellen unterirdisch“, macht Nahles deutlich. Sie spricht von „unerträglichen Mickey-Mouse-Problemen aus dem Süden der Republik“. „Es muss anders werden“, stellt Nahles in Bezug auf die Regierungsführung klar.

Kritik an Karliczek

Im Kreuzfeuer ihrer Kritik steht neben der CSU vor allem CDU-Bildungsministerin Anja Karliczek: „Ich frage mich seit Monaten, was sie macht, aber wenn sie was macht, macht sie es falsch. Sie verbreitet absoluten Blödsinn über Kinder in Regenbogenfamilien.“ Auch ihre Äußerung, man brauche nicht an jeder Milchkanne 5G, stieß bei Nahles, die in der Eifel wohnt, auf Kritik.

Am schlimmsten sei aber, dass Karliczek es nicht geschafft habe, eine Mindestausbildungsvergütung einzuführen. Schon während ihrer Zeit als Juso-Vorsitzende habe sie sich für die Rechte von Auszubildenden stark gemacht. „Damals hieß es bei uns: Wer nicht ausbildet, wird umgelegt.“ Das einzige, das Azubis helfe, sei „Geld auf der Kralle“. 

Eine neue Grundsicherung schaffen

„Der Wert der Arbeit ist der Leitstern unserer Politik.“ Dieser drücke sich auch in der Würde der Menschen aus. Der Wert der Arbeit müsse die SPD bei der Reform des Sozialstaats leiten. „Ich möchte keine Reform im System der Arbeitsmarktpolitik, sondern ich möchte eine Reform am System von Hartz IV.“

Der Urfehler von Hartz IV sei das grundsätzliche Misstrauen gegenüber den Menschen. Man brauche eine Änderung der Grundlogik: „Wir müssen den Menschen helfen und sie nicht gängeln.“ Im Gegensatz zu Robert Habeck und den Grünen möchte sie ein grundsätzliches Recht auf Arbeit und weniger Leute als Sozialleistungsempfänger. Sie wolle eine neue Grundsicherung schaffen und darüber mit den Jusos debattieren. 

Kühnert: 219a muss weg

Auf Nahles' Rede antwortet der Juso-Vorsitzende Kevin Kühnert: „Ich habe mit großer Freude zu Kenntnis genommen, dass du dich so klar zu den unsinnigen Vorschlägen von Frau Karliczek geäußert hast.“ Kühnert spricht den Paragrafen 219a an: „Es braucht jetzt eine Lösung für die Betroffenen.“ Es sei ein Skandal, dass Ärztinnen und Ärzte für Aufklärungsarbeit zu Schwangerschaftsabbrüchen kriminalisiert würden. In einem offen Brief hatten die Jusos erst vor wenigen Wochen die Abschaffung des Paragrafen verlangt.

Zugleich fordert der Juso-Vorsitzende einen anderen Kommunikationsstil von der Parteivorsitzenden. „Wer immer nur Ankündigungsweltmeister ist, aber nie eine Konsequenz daraus zieht, landet irgendwann als Bettvorleger. Das möchten wir nicht“, sagt Kühnert zu den langwierigen Debatten innerhalb der Großen Koalition.

Anlegen mit den Mächtigen

Die SPD müsse stärker Partei ergreifen und sich mehr mit den Großen, den Mächtigen und Reichen in der Gesellschaft anlegen. „Die Leute erwarten von uns, dass wir uns beim Diesel-Skandal mit den Chefs der Automobilkonzerne anlegen.“

Nein, ein Wellnesswochenende ist dieser Juso-Bundeskongress nicht, aber zumindest gibt es zum Abschluss ein Lob von Kevin Kühnert. „Ich schätze die Diskussionskultur im Parteivorstand. Man merkt, wenn gelernte Jusos an der Arbeit sind“, sagt er und schenkt Nahles zum Abschied ein Paar rote Boxhandschuhe. „Einer ist für Karliczek, der andere für Seehofer“, sagt Kühnert und grinst.  

Autor*in
Jonas Jordan
Jonas Jordan

ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo

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