160 Jahre SPD: Drei Preise für die Demokratie
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Dass im Willy-Brandt-Haus elektronische Musik gespielt wird, kommt höchstens mal vor, wenn die Jusos feiern. Anders war es am Dienstagabend. Da erfüllten Musik aus dem Computer und die Stimme von „Cile“ das Atrium zu Füßen der Willy-Brandt-Statue. Nach Jazz am Sonntag (zur Eröffnung der Ausstellung „16 Frauen aus 16 Jahrzehnten – prägende Sozialdemokratinnen aus 160 Jahren“) und klassischer Streicherinnen-Musik am Montag (zur Verleihung des August-Bebel-Preises) war es der dritte Musikstil, der im Rahmen der 160-Jahre-Feier der SPD zu hören war. „Auch musikalisch ist die SPD Volkspartei“, sagte Generalsekretär Kevin Kühnert dazu.
Die Unterschiedlichkeit von Engagement-Kultur
Doch „Cile“, die eigentlich Cäcilie heißt, ist nicht nur Musikerin, sondern auch Enkelin von Regine Hildebrandt, der früheren brandenburgischen Sozialministerin und „Mutter Courage des Ostens“ wie sie manche nennen. Seit 2002 verleiht die SPD den nach Hildebrandt benannten Preis, eigentlich an ihrem Todestag dem 26. November. Zum Parteijubiläum hatte sich die SPD entschieden, alle ihre Preise – neben dem Hildebrandt-Preis auch den Gustav-Heinemann-Bürgerpreis sowie den Wilhelm-Dröscher-Preis – bei einer „Gala der Preise“ gemeinsam zu vergeben. „Wir wollen einen Blick auf die Unterschiedlichkeit von Engagement-Kultur werfen“, sagte Generalsekretär Kühnert dazu.
So standen am Ende sehr unterschiedliche Preisträger*innen auf der Bühne im Willy-Brandt-Haus: Anke Sieber, Gründerin des Vereins „Dreist“ aus Eberswalde, der den Regine-Hildebrandt-Preis erhielt, neben Vertreter*innen der Belarussischen Gemeinschaft „Razam“, die mit dem Gustav-Heinemann-Bürgerpreis ausgezeichnet wurde, und Claudia und Björn Loss von der SPD Harburg Nord/Heimfeld, die beim Wilhelm-Dröscher-Preis den ersten Platz belegte.
Gegen sexuelle Gewalt und politische Unterdrückung
„Dreist bricht mit Stereotypen in der Gesellschaft“, lobte Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig, die die Laudatio auf den Regine-Hildebrandt-Preisträger hielt. Seit 1997 engagiert sich der Verein gegen sexuellen Missbrauch und Gewalt an Kindern und Jugendlichen, sensibilisiert sie dafür, etwa mithilfe von Theaterstücken. Mehrfach geriet „Dreist“ dafür ins Visier der AfD. „Die SPD steht an der Seite derjenigen, die sich einsetzen“, betonte Manuela Schwesig. „Sexuelle Gewalt ist ein strukturelles Problem in der Gesellschaft und wir müssen alles dafür tun, diese Missstände zu beheben.“ Denn starke Kinder seien „das Fundament für die starke und demokratische Gesellschaft von morgen“.
„Razam heißt Gemeinschaft“, übersetzte Dietmar Nietan den Namen des diesjährigen Trägers des Gustav-Heinemann-Bürgerpreises. Der Verein ist aus den Protesten gegen die massiven Fälschungen bei der belarussischen Präsidentschaftswahl 2020 hervorgegangen. „Razam“ organisiert Demonstrationen überall in Deutschland und anderen EU-Staaten, setzt sich für den Erhalt der belarussischen Kultur und politische Gefangene ein. „Auf eine Million Einwohner kommen in Belarus 189 politische Gefangene“, rechnete der SPD-Schatzmeister vor, ein Höchstwert. Mit dem Heinemann-Preis wolle die SPD „die wertvolle Arbeit für Freiheit und Demokratie“ anerkennen.
Die SPD nah bei den Menschen
Für eine „lebendige, der Gesellschaft zugewandte Sozialdemokratie“ stehe der Wilhelm-Dröscher-Preis, benannt nach dem ehemaligen Schatzmeister der Partei. Das betonte Sohn Michael Dröscher in seiner Laudatio. Gleich drei Initiativen aus der SPD wurden mit dem Preis ausgezeichnet, der sonst alle zwei Jahre auf jedem ordentlichen Bundesparteitag vergeben wird. Zwei zweite Plätze gingen an das „Netzwerk Feministische Außenpolitik“, einen Zusammenschluss junger Sozialdemokrat*innen, die zu außenpolitischen Themen arbeiten, und an das Projekt „Gemeinsam, nachhaltig und resilient leben auf Ernst“, des SPD-Ortsvereins Ernst-Bissingheim in Duisburg.
Mit dem ersten Platz wurde das „Reparaturcafé“ des Distrikts Harburg Nord/Heimfeld in Hamburg ausgezeichnet: Zweimal im Jahr können Bürger*innen aus dem Stadtteil defekte Geräte, kaputte Fahrräder und Möbel vorbeibringen und sie unter fachkundiger Anleitung reparieren. „Damit wird ein lokales Netzwerk geschaffen über die Partei hinaus“, wie Michael Dröscher lobte. „Eine Partei, die 160 Jahre alt ist, sollte nicht lockerlassen, nah bei den Menschen zu sein“, betonte er.
Zuvor war Bundesinnenministerin Nancy Faeser in ihrer Festrede auf das Verbindende der drei Namensgeber*innen der Preise eingegangen. Hildebrandt, Heinemann und Dröscher hätten stets eine „klare Haltung“ gehabt und sich „immer aktiv für die Demokratie eingesetzt“. In dieser Tradition sieht Faeser die SPD und auch sich noch heute. „Das Einstehen für die Demokratie ist manchmal kein leichter Weg“, gab sie zu. „Aber wir müssen diesen Kampf auch heute aufrecht führen!“
Dirk Bleicker | vorwärts
ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.