Meinung

Transformation: Wie sich Energienetze verändern müssen

Der Umbau zur klimaneutralen Gesellschaft verändert auch das System der Energieversorgung grundlegend. Über Jahrzehnte etablierte Versorgungsnetze stehen vor dem Aus. Profitieren dürften die Verbraucher*innen.

von Bernd Schwarz · 31. Dezember 2023
Die Ferngasnetze in Deutschland dürften im Zuge der Transformation zurückgebaut werden.

Die Ferngasnetze in Deutschland dürften im Zuge der Transformation zurückgebaut werden.

Will Deutschland klimaneutral werden, muss sich auch das Energiesystem ändern. Dafür ist es wichtig, sich bewusst zu machen, wie sich die technische Struktur des Energiesystems bereits verändert hat und weiter verändern muss bis zu einem angestrebten Zielsystem. 

Zuerst betrachten wir die historische Entwicklung: 

  • Nach der Pariser Weltausstellung 1881 in Paris wurde Elektrizität erstmalig in Berlin zur Lichterzeugung genutzt.
  • Jede Beleuchtungseinrichtung hatte einen eigenen Generator (war also dezentral)
  • ab 1883 Bau erster Kraftwerke in Berlin zur Gleichstromversorgung
  • 1893 erzeugt ein erstes Kraftwerk Drehstrom und die Energie wird über 173 km übertragen

Die Struktur der Kraftwerke hat sich stark verändert

Die Entscheidungen für eine zentrale Kraftwerksstruktur und für ein Wechselstromsystem sowie für Transformatoren und Hochspannungsnetze für größere Netzreichweiten wurden aufgrund von Kosteneinsparungen getroffen, im Gleichklang zwischen Wirtschaft und dem Staat. 

Wurde damals im wilhelminischen Deutschland über „Technologieoffenheit“ diskutiert? In unserer Zeit sollten diese Entscheidungen allein aus ökonomischen und ökologischen Aspekten heraus erfolgen. 

Seit der Liberalisierung der Energiewirtschaft und der Einführung des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) haben sich die Struktur und die Eigentumsverhältnisse an Kraftwerken stark verändert: Anteil der Erneuerbaren Energien, ein reduzierter Anteil der Erzeugung durch die großen Energieversorger. 

Die Rahmenbedingungen müssen stimmen

Welche Entscheidungen sind für das Zielsystem wichtig und welche Rahmenbedingungen müssen für den Umbau vorab geklärt werden, da nur so Investitionssicherheit bestehen kann?

  • Welche Endkund*innen benötigen einen Hoch- oder Höchstspannungsanschluss und eine hohe Leistungsabgabe?
  • In welchem Umfang kann durch Teil-Autarkie von Prosumern der Netzausbau des Verteilnetzes reduziert werden (lokal erzeugen und lokal Verbrauchen)?
  • Welche Anforderungen an den Netzausbau des Verteilnetzes ergeben sich durch die Sektorenkopplung und E-Mobilität? 
  • Welcher Teil des Strom-Transportnetzes wird zukünftig nicht mehr benötigt nach weitestgehend dezentraler Erzeugung und kann rückgebaut werden? Das bestehende Transportnetz wird weiter benötigt für Industriestandorte sowie für die grenzüberschreitende Netzkopplung in angrenzende Länder. 
  • Primärregelung und Momentanreserve wird gegenwärtig zentral im Transportnetz über sich drehende Generatoren bereit gestellt. Wie kann im Zielsystem mit 100 Prozent Erneuerbaren Energien am kostengünstigsten die Netzstabilisierung vorgenommen werden? 
  • Konsequente Folge vorstehender Entscheidungen kann der Umbau des bisherigen zentralisierten Erzeugungssystems (Leistungsfluss und Netzstabilisierung nur von Höchstspannung zur Niederspannung) zu einem System zellulärer Energie Netze mit teilweise umgekehrten Leistungsflüssen und dezentraler, zellulärer Netzstabilisierung (Faktencheck: VDI Studie „Zellulares Energiesystem Ein Beitrag zur Konkretisierung des zellularen Ansatzes mit Handlungsempfehlungen“, VDE, Mai 2019)
  • Welche Kund*innen benötigen im Zielsystem eine Wasserstoffversorgung mit welchen Energiemengen und Leistungen? 
  • Ist die Nutzung von Wasserstoff in der Fernwärmeversorgung oder von synthetischen Gasen am wirtschaftlichsten? (Herstellkosten des SNG-Gases in der Methanisierung versus Nutzung bestehender Netze & Gasspeicher)
  • In welchem Umfang benötigt das Zielsystem Kapazitätskraftwerke zur Netzstabilisierung und ist eine dezentrale Struktur dieser Kraftwerke gekoppelt mit der Wärmeversorgung wirtschaftlicher für die Bereitstellung der „sicheren Leistung“ als eine zentrale Struktur mit Einspeisung in der Transportnetzebene? 
  • Nach dem Umbau der Wärmeversorgung auf die neue Primärenergie Elektrizität kann das Ferngasnetz rückgebaut werden. Voraussetzung ist, dass keine Gasmengen mehr importiert werden und der Restbedarf durch Biogas für kleine lokale Netze gedeckt wird. 
  • Teilbereiche des Gas-Niederdrucknetzes können nach Umstellung der Wärmeversorgung auf lokale Wärmepumpen oder auch durch die Anbindung an Nahwärmenetze (z.B. auch Kaltwärmenetze)  komplett abgeschrieben und außer Betrieb gesetzt werden.

Die Netzbetreiber stehen vor großen Veränderungen

Gegenwärtig wird durch Öffentlichkeitsarbeit die Umstellung des Gasnetzes auf eine zukünftige Wasserstoffversorgung für die dezentrale Erzeugung von Heizwärme und Warmwasser propagiert. Unter Effizienzgesichtspunkten ist dies jedoch nicht sinnvoll. Die Wärmepumpe verfügt über eine Energieeffizienz von etwa 330 Prozent, der H2-Gaskessel ist wesentlich ineffizienter mit 63 Prozent und der SNG-Gaskessel erreicht eine Effizienz von 50 Prozent. (Faktencheck: „CO2-neutrale Gebäude bis spätestens 2045“, Wuppertal Institut, November 2021)

Es gibt Entscheidungen im Transformationsprogramm und auch auf kommunaler Ebene, welche nicht den betroffenen Lobbyverbänden überlassen werden können. Die Gasnetzbetreiber fürchten die Konkurrenz durch Nahwärmenetze oder Wärmepumpen und dem damit verbundenen Ende des Gasvertriebs und des Monopols des Gasnetzbetriebs. 

Primäres Ziel muss die Reduktion der Energiekosten für Endkund*innen sein und nicht die Aufrechterhaltung bestehender Wirtschaftsstrukturen. Gemäß dem Klimaschutzgesetz hat die Exekutive im Bund die „Verordnungsermächtigung“.

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Bernd Schwarz

ist Diplom-Ingenieur hat hat Kompetenz in der Energiewirtschaft durch IT-Entwicklungsprojekte in den Themen Netzbetrieb und -dokumentation, Energieabrechnung mit SAP IS-U, Energie-Portfoliomanagement, Smart Meter.

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1 Kommentar

Gespeichert von max freitag (nicht überprüft) am Mi., 03.01.2024 - 08:16

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ffenheit der wilhelminischen Gesellschaft" fällt die Antwort sehr leicht, denn die Gesellschaft war "technologieoffen"- jedenfalls war dies die Haltung des Königs bzw des Kaisers. Der hat, um eine Beispiel zu geben, der Automobilität keine Zukunft gegeben, sondern weiterhin auf die Pferdekraft gesetzt, vorzugsweise solcher aus Trakehnen. Das hat ihn bzw SM indessen nicht veranlasst, den Automobilisten Knüppel in die Speichen der Räder zu werfen. Wer wollte, der durfte- auch auf die Gefahr hin, wie zB Otto Lilienthal, als "Spinner" verunglimpft zu werden. Bedarf es weiterer Beispiele? Ich kann liefern, jederzeit und in jeder Menge