Meinung

Mehr Pragmatismus: Warum Deutschland seine Außenpolitik neu ausrichten muss

Die USA verabschieden sich vom geopolitischen Westen, China baut seinen Einfluss aus, Europas Gewicht schwindet und die Zahl der Autokratien wächst weltweit. Die deutsche Außenpolitik muss sich an diese Entwicklung anpassen und einen Weg finden zwischen Pragmatismus und Prinzipientreue.

von Jürgen Coße · 31. März 2025
Über den Tellerrand hinausschauen: Deutschland braucht eine Neuausrichtung seiner Außenpolitik, meint der SPD-Bundestagsabgeordnete Jürgen Coße.

Über den Tellerrand hinausschauen: Deutschland braucht eine Neuausrichtung seiner Außenpolitik, meint der SPD-Bundestagsabgeordnete Jürgen Coße.

71 Prozent der Weltbevölkerung leben in Autokratien – Tendenz steigend. Besonders in Afrika häufen sich Militärputsche, so dass mittlerweile zwei von drei Staaten auf unserem Nachbarkontinent autokratisch regiert werden. Es stellt sich die Frage, wie eine verlässliche Zusammenarbeit mit diesen Ländern sichergestellt werden kann.

Deutschland hat eine historische Verantwortung. Die Förderung von Demokratie ist nicht nur ein außenpolitischer Grundsatz der Bundesrepublik, sondern auch eine moralische Verpflichtung – gerade vor dem Hintergrund der eigenen Geschichte. Doch was tun, wenn demokratische Prinzipien in immer mehr Staaten auf Ablehnung stoßen?

Moral und Interessen sind keine Gegensätze

Ein Rückzug wäre der falsche Weg. Unser Engagement kann sowohl den Menschen vor Ort neue Perspektiven eröffnen als auch den eigenen politischen und wirtschaftlichen Interessen dienen. Deutschland kann es sich nicht leisten, nur mit Demokratien zusammenzuarbeiten. Es braucht kluge, pragmatische Partnerschaften – jedoch ohne, dass wir unsere Werte aufgeben.

Wenn in der deutschen Außenpolitik zwischen Wertepartnern und Interessenspartnern unterschieden wird, entsteht schnell der Eindruck einer moralischen Einteilung in zwei Kategorien. Auch wenn diese Einteilung manchmal zutreffen mag, bleibt die Frage nach der Sinnhaftigkeit bestehen. Riskiert Deutschland dadurch nicht Verhandlungsspielraum?

Das Vertrauen in den Multilateralismus stärken

Es gibt zudem berechtigte Kritik an deutschen Doppelstandards. Menschenrechtsverletzungen in China werden angeprangert, in Saudi-Arabien hingenommen. Aufrichtige Anteilnahme für Ukrainer*innen, gefühlte Gleichgültigkeit gegenüber Palästinenser*innen. Das lässt eine Außenpolitik auf moralischer Basis unglaubwürdig erscheinen.

Die Geschichte zeigt dabei zahlreiche wertgebundene politische Erfolge. Das Bekenntnis zum Völkerrecht, der Atomwaffensperrvertrag, der Vertrag von Maastricht oder das Pariser Klimaabkommen sind nur einige Beispiele, in denen Wertepolitik auch gute Interessenspolitik war. Daran sollten wir festhalten.

Gleichzeitig ist es falsch, nationale Interessenspolitik ohne wertebasierte Weitsicht zu betreiben. Die Abhängigkeit von russischem Gas erwies sich als schwerer Fehler. Auf globaler Ebene sind ausbleibende Reformen internationaler Institutionen ähnlich kurz gedacht. Es ist nicht nur unfair, Ländern des Globalen Südens Mitspracherechte vorzuenthalten, sondern schadet auch europäischen Interessen. Eine Reform der Vereinten Nationen und ihrer Sonderorganisationen würde das Vertrauen in den Multilateralismus stärken und weniger Staaten in die Arme von China und Russland treiben.

Drahtseilakt wertegeleiteter Interessenpolitik 

Werte und Interessen sind keine Gegensätze – vielmehr sind sie zwei Seiten derselben Medaille. Eine erfolgreiche Außenpolitik erkennt dieses Wechselspiel und nutzt es gezielt. Unser ureigenstes Interesse ist eine friedliche und nachhaltige Welt – und genau darauf müssen wir hinarbeiten.

Die feministische Außenpolitik darf nicht in der Schublade verschwinden. Frauenrechte sind keine Nebensache, sondern ein entscheidender Stabilitätsfaktor in internationalen Beziehungen. Wo Frauen unterdrückt und ausgeschlossen werden, wachsen Armut, Konflikte und gesellschaftliche Spannungen. Es reicht nicht, Mädchen den Schulbesuch zu ermöglichen – sie müssen auch wirtschaftliche Chancen erhalten und politische Mitspracherechte bekommen. Wie Entwicklungsministerin Svenja Schulze treffend sagte: „Bildung ist nicht genug“Frauen müssen wie beim Friedensschluss 2016 in Kolumbien auch an die Verhandlungstische.

Werte und Interessen klug miteinander verknüpfen

Um unsere Integrität zu stärken und um unseren Einfluss zu wahren, müssen wir unsere Außenpolitik dennoch anpassen. Deutschlands Außenpolitik soll pragmatisch und strategisch sein – ohne dabei ihre Moral aufzugeben. Werte und Interessen müssen klug miteinander verknüpft werden, und dabei sollten wir uns stets selbst reflektieren.

Wir brauchen eine wertegeleitete Interessenspolitik. Zusammenarbeit auf Augenhöhe statt belehrender Rhetorik, ein roter Faden statt Doppelstandards. Strategische Partnerschaften auf Grundlage gegenseitiger Interessen und unserer Werte sind das Ziel. Wertegeleitete Interessenspolitik ist kein Widerspruch, sondern der Schlüssel zu nachhaltigem Erfolg. Nur so gelingt der Drahtseilakt zwischen Pragmatismus und Prinzipientreue – und nur so bleibt deutsche Außenpolitik zukunftsfähig.

Autor*in
Jürgen Coße
Jürgen Coße

ist SPD-Bundestagsabgeordneter und Außenpolitiker.

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Gespeichert von Armin Christ (nicht überprüft) am Mo., 31.03.2025 - 15:29

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Nun konnte mir noch niemand schlüssig erklären was "feministische Außenpolitik" ist und deßhalb bleibt es für mich ein quasireligiöses Dogma, das man keinesfals hinterfragen darf.
Die wachsende soziale und politische Ungleichheit in diesem unserem Lande, samt Politmauscheleien ala "Schuldenbremse, fördert nicht unbedingt die Akzeptanz wertewestlicher Werte. Militärdiktaturen samt Appartheitsstaaten störten wenig oder nicht solnge sie prowestlich waren - nur Thomas Sankara, der musste weg.
Die wie auch immer regierten Länder, die nicht zum Wertewesten zählen, fühlen sich durch kolonialpädagogische Ermahnungen auch nicht bewegt den "westlichen" Weg zu gehen.
Und das i-Tüpfelchen: Das Pöstchensuchen für eine ausgediente deutsche Außenpolitikerin bei der UNO wird doch nur wieder als solcherlei Arroganz gesehen.

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