Meinung

Frauen als Opfer: Wenn sexualisierte Gewalt zur Kriegswaffe wird

Vergewaltigungen, Zwangsprostitution, erzwungenes Entkleiden: In jedem Krieg ist sexualisierte Gewalt an der Tagesordnung und wird zur Waffe, vor allem gegen Frauen. Oft wirkt sie über den Krieg hinaus.

von Sara Fremberg · 8. März 2024
Protestaktion gegen sexualisierte Gewalt der Hamas: Sexualisierte Gewalt ist daher ein immanenter Bestandteil des Krieges.

Protestaktion gegen sexualisierte Gewalt der Hamas: Sexualisierte Gewalt ist daher ein immanenter Bestandteil des Krieges.

Seit es Kriege gibt, gibt es Berichte von sexualisierter Kriegsgewalt. Neben Vergewaltigung zählen dazu auch sexuelle Versklavung und Zwangsprostitution, sexualisierte Berührungen und erzwungenes Entkleiden. Um die Überlebenden umfassend in ihren Bedarfen zu unterstützen, ist es wichtig, alle diese Formen sexualisierter Gewalt in den Blick zu nehmen.

Patriarchale Macht- und Herrschaftsverhältnisse als Ursachen

Medial steht sexualisierte Kriegsgewalt aktuell seit der Ausweitung des russischen Angriffskriegs auf die gesamte Ukraine 2021 und dem Überfall durch die Hamas und andere bewaffnete Gruppen auf Israel im Oktober 2023 erneut verstärkt im Fokus. Häufig wird insbesondere die Frage gestellt, ob sexualisierte Gewalt gezielt Teil der Kriegstaktik ist oder systematisch angeordnet wird. Diese Frage und die damit verbundene Ächtung und Verfolgung sexualisierter Gewalt als „Kriegswaffe“ ist wichtig und richtig. 

Gleichzeitig gilt es jedoch, die Gewalt nicht nur als Kriegsphänomen zu betrachten, sondern die zugrunde liegenden Ursachen und das Kontinuum sexualisierter Gewalt zu erkennen. Denn nur wenn diskriminierende patriarchale Macht- und Herrschaftsverhältnisse als Ursachen erkannt werden, können wirksame Gegenmaßnahmen entwickelt werden, die den Bedarfen aller Betroffener und Überlebender entsprechen und weitere Gewalt verhindern.

Der Bosnien-Krieg als Wendepunkt

Seit den 1990er Jahren wird sexualisierte Kriegsgewalt als schweres Menschenrechtsverbrechen anerkannt. Diese Anerkennung war ein Meilenstein im Einsatz für den Schutz und die Rechte von Frauen weltweit. Bis dato herrschte das Narrativ vor, sexualisierte Kriegsgewalt sei ein „Kollateralschaden“ oder „unvermeidliches Nebenprodukt“ des Krieges. Erst durch den unermüdlichen Einsatz von Aktivist:innen und Überlebenden, die unter anderem über die erlebte Gewalt in Bosnien öffentlich sprachen, konnte dieses Narrativ gebrochen werden. Ihre Aussagen belegten die grausame Anwendung sexualisierter Gewalt im Kontext von Vertreibung und Genozid. 

In den meisten Fällen gibt es jedoch keine explizite Anordnung. Häufig werden sexualisierte Übergriffe innerhalb des Militärs oder bewaffneter Gruppen geduldet, es wird eine Atmosphäre geschaffen, die zu dieser Gewalt ermutigt. Hinzu kommt, dass Täter oft keine oder kaum Strafverfolgung fürchten müssen. 

Sexualisierte Gewalt ist daher ein immanenter Bestandteil des Krieges. Doch es gibt sie auch vor und nach dem Krieg. Denn im Krieg eskaliert, was auch vorher schon in der Gesellschaft vorhanden war: die systematische Benachteiligung, Ausgrenzung und Gewalt gegen Frauen durch patriarchale Gesellschaftsstrukturen. Sexualisierte Gewalt existiert im Kontinuum und gehört auch in Friedenszeiten zur Realität vieler Frauen und Mädchen. Am häufigsten betroffen sind Frauen und Mädchen, aber auch queere Menschen, nicht-binäre und trans Personen sowie Jungen und Männer sind von der Gewalt betroffen.

Betroffenen wird nicht geglaubt

Sexualisierte Gewalt kann massive und lang anhaltende gesundheitliche und soziale Folgen haben. Priorität müssen daher die Bedarfe der Überlebenden haben: Diese brauchen ganzheitliche Unterstützung in Form von körperlicher und materieller Sicherheit sowie stressund traumasensibler psychosozialer und medizinischer Unterstützung, rechtlicher Beratung und einkommensschaffender Maßnahmen. Wie nachhaltig die Folgen eines Traumas sind und ob dieses verarbeitet werden kann, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Auch davon, welche Erfahrungen die Überlebenden in ihrem sozialen und gesellschaftlichen Umfeld machen. Noch immer wird vielen Betroffenen nicht geglaubt, sie werden ausgegrenzt und stigmatisiert. 

Die Unterstützung der Überlebenden und die Bekämpfung sexualisierter Gewalt ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Justiz und Politik, Institutionen, Zivilgesellschaft und die breite Öffentlichkeit – sie alle müssen hier Verantwortung übernehmen und zu Dokumentation und Wahrheitsfindung, zu Erinnerungskultur und Wiedergutmachung beitragen.

Neben der ganzheitlichen Unterstützung für Überlebende, die langfristig finanziert wird, gehört dazu auch, dass Frauenrechtsorganisationen politisch einbezogen und finanziell unterstützt werden und Aktivist*innen und Überlebende in Friedensverhandlungen und beim Wiederaufbau eine tragende Rolle einnehmen können.

Autor*in
Sara Fremberg

ist Leiterin des Bereichs „Politik und Kommunikation“ bei der Frauenrechtsorganisation Medica Mondiale.

Weitere interessante Rubriken entdecken

0 Kommentare
Noch keine Kommentare