Kultur

„Wie wilde Tiere“: Packender Thriller über Hass auf dem Land

In einem Dorf eskaliert ein Streit zwischen Alteingesessenen und Aussteigern: Der spanisch-französische Thriller „Wie wilde Tiere“ verdichtet reale Konflikte zu einem packenden Duell.

von Nils Michaelis · 7. Dezember 2023
Antoine (Dénis Menochet) und Olga (Marina Foïs) sind Außenseiter

Auch nach mehreren Jahren in ihrem spanischen Dorf sind Antoine (Denis Ménochet) und Olga (Marina Foïs) Außenseiter.

Alles so schön grün und ruhig hier! Die neue Landlust (oder Stadtflucht?) von Großstadtbewohner*innen hat viel mit unerfüllten Sehnsüchten zu tun. Doch wenn Stadtmenschen tatsächlich in ein neues Leben auf dem Dorf starten, liegt darin auch Konfliktstoff. Nicht selten prallen auf dem Land grundverschiedene Lebensentwürfe und Interessen aufeinander. Erst recht, wenn unterschiedliche Bildungsniveaus von Alteingesessenen und Zugezogenen ins Spiel kommen. Längst gilt der Gegensatz zwischen dem „Blick des Dorfes“ und dem „Blick der Stadt“ auf gesellschaftspolitische Fragen als zunehmend bedeutsame Konfliktlinie unserer Zeit. 

Das ist nicht nur in vielen Regionen Deutschlands so. Der Thriller „Wie wilde Tiere“ führt uns unvermittelt hinein in einen Konflikt, der ein abgelegenes Bergdorf in der spanischen Region Galizien erfasst hat. „He, Franzose!“, ruft Xan dem großen, kräftigen Mann hinterher, als er die Dorfbar betritt. Er meint Antoine. Vor ein paar Jahren ist er mit seiner Frau Olga von Frankreich hergezogen. Sie hatten genug vom Großstadtleben und wollten einen Traum verwirklichen. Die beiden Aussteiger*innen bauen Biogemüse an und renovieren verfallene Häuser, um sie der Gemeinschaft zurückzugeben. Idealismus pur.

Xan und viele andere Menschen, die hier aufgewachsenen sind, halten das Paar für bekloppt. Für sie ist klar: Die werden nie dazugehören. Ihnen bietet das Landleben viel harte Arbeit, aber wenig Zukunft. Es ist ein immerwährender Albtraum. Mit seiner Mutter und Bruder Lorenzo bewirtschaftet Xan einen Hof mit ein paar Kühen. In diesem von Abwanderung gezeichneten Landstrich eine Frau zu finden, ist für die Brüder so gut wie unmöglich. Sogar die Prostituierten weisen sie ab. „Weil wir nach Scheiße stinken“, wie der 52-Jährige gegenüber Antoine trocken bemerkt.

Konflikt um Windräder

In „normalen“ Zeiten könnten solche Nachbar*innen gleichgültig, aber friedlich nebeneinander existieren. Nicht aber, wenn Verteilungskämpfe ausbrechen. Ein norwegischer Investor will nahe dem Dorf Windräder errichten und winkt mit Ausgleichszahlungen. Die Mehrheit sieht darin einen Weg, der wenig lukrativen Landarbeit zu entkommen und noch mal neu anzufangen. Antoine und Olga aber blockieren das Vorhaben. Weil es ihre Vision von einem Leben im Einklang mit der Natur zerstören würde. Der Druck auf sie wächst. Eines Tages kommt Antoine nicht nach Hause.

„Wie wilde Tiere“ beruht auf wahren Begebenheiten in Spaniens rauem Nordwesten. Dementsprechend lebt der Film von einer stark am Realismus orientierten Ästhetik und Erzählweise. Gedreht wurde in einem verwaisten Dorf in den Hügeln Galiziens. Während sich die Auseinandersetzung zwischen Xan und Lorenzo auf der einen und Antoine und Olga auf der anderen Seite immer mehr zuspitzt, verharrt die Kamera in neutraler Position. Dessen ungeachtet wird die Atmosphäre immer bedrohlicher und die Isolation der beiden „Franzosen“ immer prägnanter. Dazu tragen auch die herbstgrauen Farben der Natur bei. Vor allem aber Hauptdarsteller Denis Ménochet durch seine sehr physische Verkörperung des Antoine: Er zeigt uns, wie in diesem scheinbar stoischen Koloss von Mann etwas zu arbeiten beginnt.

Wie im Western

Der mit etlichen internationalen Preisen ausgezeichnete Film wird recht konventionell erzählt. Wie in einem Western aus grauer Vorzeit läuft alles auf ein Duell unter (zwei) Männern hinaus. Die düster-schmuddelige Dorfbar ist das Pendant zum Saloon, dem Vorhof von so mancher Eskalation. Ab einem bestimmten Punkt nimmt die Geschichte aber eine völlig andere Richtung und bekommt so auch ein anderes Gewicht.

Alles läuft auf die Frage hinaus, was in dieser kleinen Welt, die unverhofft im Mittelpunkt so vieler Interessen steht, Gerechtigkeit bedeutet. Regisseur Rodrigo Sorogoyen und Drehbuchautorin Isabel Peña machen es sich nicht leicht. Auch die Argumente des skrupellosen Xan finden ihren Raum. Doch am Ende wird eine gänzlich andere Wahrheit auf den Weg gebracht.

„Wie wilde Tiere“ erzählt von den Grenzen der Vernunft und der Macht der Triebe, etwa der Angst, auch vor dem Fremden. Als Allegorie auf die Gegenwart macht dieser auf formaler wie atmosphärischer Ebene äußerst gelungene Film wenig Hoffnung.

 

Info: 

„Wie wilde Tiere“ („As bestas“, Spanien,/Frankreich 2022), Regie: Rodrigo Sorogoyen, Drehbuch: Isabel Peña und Rodrigo Sorogoyen, mit Marina Foïs, Denis Ménochet, Luis Zahera, Diego Anido u. a., 137 Minuten, FSK ab 12 Jahre 

https://www.prokino.de/movies/details/WIE_WILDE_TIERE

Im Kino

Weitere interessante Rubriken entdecken

0 Kommentare
Noch keine Kommentare