Kultur

Trotz Ortega: Warum Regisseurin Petra Hoffmann an Nicaragua glaubt

Nach der Machtübernahme der Sandinist*innen 1979 wurde Nicaragua zum Magneten für Europas politisierte Jugend. Mit dabei war auch die deutsche Filmemacherin Petra Hoffmann. Ihr Film „Ein Traum von Revolution“ erzählt von der Hochphase und dem Ende der Utopien dort. 

von Nils Michaelis · 3. April 2024
Nicaragua zog Aktivist*innen aus aller Welt an

In den 80er-Jahren zog Nicaragua Aktivist*innen aus aller Welt an.

Aus heutiger Sicht wirkt die damalige Begeisterung junger Europäer*innen für Nicaragua fast surreal. Wie erklären Sie sich die damalige Euphorie?

Was ist daran surreal? Anfang der 80er-Jahre war es normal, dass Menschenmassen auf die Straße gingen. Es gab die Friedensbewegung, Anti-Atomkraft-Demos und auch die sehr starke, wie sie damals genannt wurde, Dritte-Welt-Bewegung. Auch Befreiungsbewegungen wie in El Salvador fanden viele Unterstützer*innen. Dass sich so viele Menschen mit Nicaragua solidarisierten, war also nicht außergewöhnlich. Heutzutage ist es wichtiger denn je, wenn Menschen für mehr Verteilungsgerechtigkeit demonstrieren und in Länder des Globalen Südens reisen, um zu helfen. 

Im Jahr 1986 haben Sie sich als junge Aktivistin erstmals auf den Weg nach Nicaragua gemacht. Weitere Reisen folgten. Was hat Sie persönlich dorthin gezogen?

Das hat viel mit meiner Familiengeschichte zu tun. Am Ende des Zweiten Weltkriegs sind meine Eltern aus Schlesien und Ostpreußen Richtung Westen geflohen. Die Geschichten von Krieg und Flucht waren immer da. Schon als Kind habe ich mir die Frage gestellt, wie ich mich in der NS-Diktatur verhalten hätte. Früh war mir klar, dass ich keine Mitläuferin hätte sein wollen und dass ich mich auch heute hinter keinen Diktator und keine Diktatorin stellen würde. 

Das hat meinen Blick auf den Kampf der linksgerichteten Sandinist*innen gegen die Diktatur geprägt. Im Gegensatz zu Nazi-Deutschland hat dieses kleine Land aus eigener Kraft einen Gewaltherrscher abgeschüttelt und den Versuch unternommen, eine gerechtere Gesellschaft aufzubauen. 

Wie haben Sie das Land damals erlebt?

1986 waren Zehntausende von Aktivist*innen aus aller Welt dort. Man traf sie fast in jedem Dorf. Es war die Hochphase des Krieges zwischen den Sandinist*innen und den von den USA unterstützten Contras. Morde und Entführungen waren an der Tagesordnung. Auch eine Brigade mit acht Deutschen wurden gekidnappt. Zu der Zeit, als wir dort ankamen, wurden drei Internationalist*innen gemeinsam mit drei Menschen aus Nicaragua auf offener Straße ermordet. Das war ein Signal an uns Ausländer*innen: Haltet euch fern von Nicaragua!

Der „Traum von Revolution“ war auch Ihr Traum. Wie ist es Ihnen gelungen, während der Dreharbeiten die Distanz zu wahren?

Dafür gab es keinen Grund. Es ist ein sehr persönlicher Film. Also habe ich meine persönliche Sichtweise eingebracht. Diese Kinoproduktion ist keine journalistische Dokumentation, bei der man selbst einen Schritt zurückgeht. Es ist eine Art fragmentarisches Tagebuch. 

„Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass sich Ortega zu einem Diktator entwickelt."

Seit seiner Rückkehr an die Macht im Jahr 2006 herrscht der einstige Revolutionsheld und Sandinisten-Chef Daniel Ortega zunehmend autoritär. Wann war Ihnen klar, dass der Traum eines demokratischen Nicaraguas gescheitert ist?

Niemals hätte ich mir träumen lassen, dass sich Ortega zu einem Diktator entwickelt. In der Rückschau hat sich dieser Weg aber schon Ende der 1980er-Jahre angedeutet. Viele ihrer Versprechungen haben die Sandinist*innen, auch unter dem Druck des Contra-Krieges, nicht erfüllt. Manchmal war der Krieg aber auch nur ein Vorwand. Auch wir Brigadist*innen haben damit viele Missstände entschuldigt oder weggesehen. 

Als Ortega 2006 wieder an der Macht war, schlug die Stunde der Wahrheit. Viele glaubten, er würde an die alten Ideale der Sandinist*innen anknüpfen. Diese Hoffnung hat sich einigen Sozialreformen zum Trotz nicht bewahrheitet. In Ortegas Polizeistaat leben Kritiker*innen gefährlich. Der einstige Held der Revolution hat ein Bündnis mit Kapital und Kirche geschlossen. Es ist schrecklich.

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Sie haben mehr als zehn Jahre an dem Film gearbeitet. Wie hat sich das Abdriften Nicaraguas in Richtung Diktatur auf die Dreharbeiten ausgewirkt?

Am Anfang habe ich unter großen Schwierigkeiten eine Drehgenehmigung in Nicaragua bekommen. Später war das unmöglich. Selbst im Ausland war kaum noch jemand bereit, sich vor der Kamera zu äußern. Die Leute hatten Angst um ihre Familien oder Projekte im Land. Sie leben mit der Angst vor Auftragskiller*innen. Beim Drehen in Costa Rica wurden wir ausspioniert. Man wollte uns einschüchtern.

Ortega kommt in dem Film nur am Rande vor. Sind Sie ihm jemals persönlich begegnet?

Ja, damals in den 80er-Jahren, allerdings nur ganz kurz und leider ohne Kamera. Anfang der 90er-Jahre habe ich eine Reihe führender Sandinist*innen interviewt, nachdem die Präsidentschaftswahl verloren war und Ortega  abtreten musste. Jedoch war er weder 1992 noch 2014, als ich erneut im Rahmen der Dreharbeiten um ein Interview bat, dazu bereit, Stellung zu beziehen.

Sie bezeichnen Nicaragua trotz alledem immer noch als ihr Lieblingsland. Wie viel hat diese Liebe mit dem real existierenden Nicaragua unter Ortega zu tun? 

Mich hat schon immer der Mut der Menschen in Nicaragua fasziniert. Es ist ein sehr rebellisches Volk. Alle paar Jahrzehnte haben sie eine Revolution angezettelt, sich gegen Diktatoren aufgelehnt und gekämpft. Sogar 2018 sind sie gegen ihren einstigen Helden Ortega aufmarschiert, leider ohne Erfolg. 

Einige von Ortegas einstigen Wegbegleiter*innen kämpfen inzwischen seit fast fünf Jahrzehnten. Zuerst gemeinsam mit Ortega gegen den Diktator Anastasio Somoza Debayle und seit vielen Jahren gegen ihren einstigen Weggefährten Ortega. Wer sonst kann von sich behaupten, über Jahrzehnte einen so schweren Kampf zu führen und dennoch nicht daran zu verzweifeln?

„Die Leute in Nicaragua wollen kein weiteres Blutvergießen."

Wie groß ist Ihre Hoffnung, dass die seit 2018 immer wieder aufkeimenden Proteste gegen Ortegas Regime irgendwann zum Erfolg führen werden?

Die Leute wollen kein weiteres Blutvergießen. Daher wird es sicherlich keine gewaltsame Auflehnung geben. Man muss darauf hoffen, dass Ortega irgendwann das Zeitliche segnet und seine Frau Rosario Murillo, die bereits einen Teil der Regierungsgeschäfte führt, das Ruder übernimmt. Sie ist allerdings nicht sonderlich beliebt in der Bevölkerung und vielleicht gelingt es der demokratischen Opposition durch Wahlen – auch wenn Murillo versucht, sie zu manipulieren - doch noch einen Umschwung herbeizuführen. Das ist jedenfalls die Hoffnung vieler Exilant*innen. 

Ihr Film schließt mit der Botschaft, dass die Ziele der „Volksrevolution“ von 1979 auch heute verteidigt oder erkämpft werden müssen. Was ist von dem Aufbruch unter den Sandinist*innen in Nicaragua geblieben?

Geblieben ist das Engagement vieler Nicaraguaner*innen, insbesondere der Frauen. Schon im Kampf gegen Somoza waren sie ganz vorne mit dabei und führten mitunter ganze Kompanien an. Und das in einem Land, wo der Machismo noch immer tief verwurzelt und weit verbreitet ist! Für uns Frauen aus Europa war das unglaublich. In der Bundesrepublik gab es damals nicht mal Polizistinnen am Steuer eines Polizeiautos oder Frauen bei der Bundeswehr.

Nicaraguas Frauenbewegung war unglaublich stark, mir kam sie stärker vor als in Westdeutschland. Dieses Selbstbewusstsein der nicaraguanischen Frauen und der Mut aller Nicaraguaner*innen, den Mund aufzumachen, haben sich bewahrt. Und auch die Gewissheit, dass David gegen Goliath gewinnen kann. Ohne diesen Idealismus hätte es die Massenproteste der Studierenden im Jahr 2018 nicht gegeben.

Der Dokumentarfilm "Ein Traum von Revolution" startet am 11. April in den Kinos. Weitere Infos gibt es auf der Website des Verleihs Drop-Out Cinema.

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