Kultur

Populistische Brandstifter auf Erfolgskurs: Wenn „Verrückte Blinde führen“

Rafael Seligmann beschreibt in seinem neuen Buch „Brandstifter und ihre Mitläufer“ wie gefährdet die Demokratie weltweit ist. Anhand von Biographien – etwa von Putin und Trump – analysiert er ihre Erfolge. Und zeigt zugleich, wie man sie stoppen kann.

von Lars Haferkamp · 2. Mai 2024
Wenn „Verrückte Blinde führen“ – Fanatische Unterstützer von Donald Trump demonstrieren am 15. April 2024 in New York ihre Unterstützung für den vor dem Kriminalgericht angeklagten früheren US-Präsidenten.

Wenn „Verrückte Blinde führen“ – Fanatische Unterstützer von Donald Trump demonstrieren am 15. April 2024 in New York ihre Unterstützung für den vor dem Kriminalgericht angeklagten früheren US-Präsidenten.

Das ist „die Plage der Zeit“, dass „Verrückte Blinde führen“. Mit diesem Zitat aus William Shakespears „King Lear“ beginnt der Autor sein Buch „Brandstifter und ihre Mitläufer“. Das Zitat ist beunruhigend, genau so wie die Frage, die Rafael Seligmann gleich zu Beginn seines Werkes stellt: „Bestimmen fortan ‚starke Männer‘ ohne Skrupel das Schicksal der Welt? In Diktaturen, aber auch in etablierten Demokratien?“

Ja, so scheint es. Und der Autor weist es nach am Beispiel der „Brandstifter der Gegenwart“, wie er sie nennt: Putin, Xi Jinping, Trump, Erdogan und Netanyahu. An ihrem Beispiel beschreibt er, die Gefahren für Frieden und Freiheit, für Demokratie und Menschenrechte weltweit. 

„Der Tod einer freien Gesellschaft“

„Die weltweite Konjunktur der Brandstifter“ habe ihn zum Schreiben seines neuen Buches motiviert, erklärt Rafael Seligmann im Gespräch mit dem „vorwärts“. Ihre Strategie sei, „die Bevölkerung bewusst zu spalten“. Der Autor warnt: „Das ist natürlich der Tod einer freien Gesellschaft.“

Rafael 
Seligmann

Populisten brauchen Gesellschaften im Umbruch mit einem Teil der Bevölkerung, der Angst hat vor diesem Umbruch.

Rafael Seligmann, geboren 1947 in Tel Aviv und wohnhaft in Berlin, gilt als einer der bekanntesten jüdischen Autoren Deutschlands. Er promovierte über Israels Sicherheitspolitik. Der Historiker und Journalist verfasste zahlreiche Romane und zeitgeschichtliche Analysen, unter anderem das Buch „Hitler. Die Deutschen und ihr Führer“. Seligmann kommentiert für verschiedene Medien das Tagesgeschehen, unter anderem für den „vorwärts“. Mehrfach war er Chefredakteur und Herausgeber.

Enge Bindung zwischen Führer und Gefolge

In seinem neuen Buch zeigt er – trotz aller Unterschiede ­– Gemeinsamkeiten der Brandstifter: „Es sind alle Männer. Es sind meistens Männer um oder über 70, die offenbar das Bedürfnis haben, sich historisch zu verewigen.“ Gemeinsamkeiten bestehen aber, so der Autor, vor allem im Verhältnis zwischen den Brandstiftern und ihren willigen Mitläufer*innen und Vollstrecker*innen. Denn ohne deren oft fanatische Unterstützung könnten die Herrscher nicht zur Macht kommen und diese behaupten. Anhand der Kurzbiografien von Putin, Xi Jinping, Trump, Erdogan und Netanyahu macht Seligmann deutlich, wie entscheidend die enge Bindung zwischen Führer und Gefolge ist.

Dass aus dem Gezündel auch ein Großbrand wird, dafür sei eines ganz entscheidend: Die Brandstifter müssten „die richtigen gesellschaftlichen Voraussetzungen“ vorfinden für ihre Zerstörungswerk. Das sind für Seligmann „Gesellschaften im Umbruch mit einem Teil der Bevölkerung, der Angst hat vor diesem Umbruch“. Er verweist auf den massiven Umbruch der Wirtschaft in den USA, den Niedergang der alten Industrien und die Digitalisierung, die Trump in die Hände gespielt habe. Dasselbe Phänomen sei auch in Russland, Israel und der Türkei zu beobachten. 

„Benzin, das nur noch nach Streichhölzern sucht“

Die Gefahr, die von den Brandstiftern ausgehe, bedeute nicht immer einen Angriffskrieg wie im Falle Putins gegen die Ukraine. Seligmann führt in seinem Buch den spanischen Diktator Franco auf, „der sich mit Händen und Füßen gewehrt hat“ gegen eine Beteiligung am Zweiten Weltkrieg. Oder auch den chilenischen Diktator Pinochet. „Aber sie führen dann die Kriege innerhalb der eigenen Gesellschaft“, betont der Autor.

Rafael
Seligmann

Der Brandstifter ist ohnmächtig ohne seine aktiven und willigen Vollstrecker.

„Es sind nicht nur die bösen Brandstifter“, macht Seligmann deutlich. „Es ist die Bevölkerung.“ Die Menschen seien „das Benzin, das nur noch nach Streichhölzern sucht.“ Seligmann illustriert diese These mit „einem erschreckenden Beispiel“ am Ende der Präsidentschaft Donald Trumps. Als Trump Corona bekam und in ein Krankenhaus eingeliefert wurde, trat er nach erfolgreicher Behandlung in der Klinik vor seine Anhänger und erklärte: Corona sei „eine wirkliche Krankheit“ und „gefährlich“. Da sei er gnadenlos ausgepfiffen worden. Das zeige: „Der Brandstifter ist ohnmächtig ohne seine aktiven und willigen Vollstrecker.“

Widerstand auf allen Ebenen gegen die Brandstifter

Wie aber kann man die Brandstifter stoppen? „Indem die Staatsbürger sich des Wertes der Demokratie bewusst werden“, sagt Seligmann. „Indem man eine integre Justiz hat, eine integre Presse.“ Und nicht zu vergessen, es braucht auch „integre Politiker und engagierte Bürger“. Für den Autor weiter wichtig ist die Trennung von Staat und Religion, denn „Religionen erheben aus ihrem Selbstverständnis einen Totalitätsanspruch“, schreibt er. Deshalb sei die „Freiheit ihr natürlicher Feind“.

Rafael
Seligmann

Ein Land, dessen Bürger nicht bereit sind, notfalls für ihren Staat in einem Krieg zu kämpfen, und unter Umständen dabei umzukommen, ist auf Dauer nicht existenzfähig.

Und Seligmann macht einen Vorschlag: „Eines meiner Rezepte ist ein soziales Jahr.“ Denn: „Die Demokratie und die Freiheit sind kein Schlaraffenland.“ Soziale Arbeit helfe, sich das bewusst zu machen. Das gelinge auch durch eine Wehrpflicht. Denn für den Autor ist klar: „Ein Land, dessen Bürger nicht bereit sind, notfalls für ihren Staat in einem Krieg zu kämpfen, und unter Umständen dabei umzukommen, ist auf Dauer nicht existenzfähig.“ Das zeige die Geschichte durchgehend.

Die Bürger*innen müssen für ihre Freiheit kämpfen

Rafael Seligmann möchte mit seinem Buch ermutigen, gerade in einer Zeit, in der die Demokratie weltweit unter Druck steht. „Die freiheitlichen Demokraten müssen und dürfen sich nicht als ohnmächtige Opfer der Brandstifter und ihres willfährigen Anhangs begreifen“, schreibt der Autor. „Sie sollen sich auf allen Ebenen legal wehren.“

Auf den Rechtsstaat kommt es an

Der frühere US-Präsident Donald Trump als Angeklagter am 26. April 2024 vor dem Kriminalgericht New York

Der frühere US-Präsident Donald Trump als Angeklagter am 26. April 2024 vor dem Kriminalgericht New York

Dass das erfolgreich sein kann, beweisen die Wahlniederlagen der Brandstifter in den USA, Brasilien und Polen, zuletzt in der Türkei. Für Seligmann zeigt der in den USA abgewehrte Putschversuch des abgewählten Trump, „dass die Demokratie bei all ihren Schwächen die wirksamste Kraft zur Neutralisierung der politischen Brandstifter und zur Erhaltung der Freiheit ist.“

„Ein Manifest der wehrhaften Demokratie“

Der Autor hält eine „begrenzte Waffenruhe zwischen Demokratien und Brandstiftern“ für möglich, einen dauerhaften Kompromiss dagegen nicht. Daraus folgt für ihn die Konsequenz: „Wollen die Bürger ihre Freiheit bewahren, müssen sie fortwährend bereit sein, sich dafür und gegen ihre Zerstörer vorbehaltlos einzusetzen – notfalls mit ihrem Leben.“ Eine ohne Frage unbequeme Wahrheit, die Seligmann in seinem Buch ausspricht.

Christian Ude

Auf jeder Seite dieses Buches geht dem Leser ein Licht auf.

Ein Kritiker nennt Seligmanns Buch treffend „ein Manifest der wehrhaften Demokratie“. Und das ist es auch. „Auf jeder Seite dieses Buches geht dem Leser ein Licht auf“, lobt Christian Ude, der frühere Oberbürgermeister von München, das Werk Seligmanns. Es bleibt für unsere Demokratie zu hoffen, dass das möglichst vielen Menschen so geht.

Rafael Seligmann: Brandstifter und ihre Mitläufer, Putin – Trump – Netanjahu: Warum sie erfolgreich sind und wie man sie stoppen kann Herder-Verlag 2025, ISBN 978-3-451-39607-6, 18 Euro

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1 Kommentar

Gespeichert von Hans Schütte (nicht überprüft) am So., 05.05.2024 - 12:46

Permalink

In diesem Artikel verstehe ich etwas nicht:
„Demokratien befinden sich seit Jahren in einer Krise. Darunter Länder wie Italien und Argentinien, Frankreich oder die Vereinigten Staaten.“
Welche Krise ist in Frankreich gemeint? Was hat Frankreich in dieser Aufzählung überhaupt zu suchen?
Hans Schütte, Sennbrink 52, 58093 Hagen

Das starke Abschneiden des rechtsextremen Front National oder des Rassemblement National, wie die Partei seit 2018 heißt, sind eine wachsende Gefahr für die französische Demokratie, aber auch für Europa und die Zukunft der EU. Bei den letzten beiden Präsidentschaftswahlen qualifizierte sich die Spitzenkandidatin Le Pen für die Stichwahl. Sie erreichte 2017 rund 34 Prozent der Stimmen, 2022 bereits über 41 Prozent der Stimmen. Kein Demokrat möchte sich vorstellen, wie Frankreich und Europa aussähen, wenn Le Pen die nächste Präsidentschaftswahl gewinnen würde. Die Auswirkungen wären gravierender – sprich verheerender – als eine Regierung Meloni in Italien. Die Redaktion