Neue Biographie über einen der Väter der SPD
Der Biograph Weiß macht klar, warum Moses Hess für die heutigen demokratischen Gesellschaften noch relevant ist und porträtiert Hess’ vielfältige Rollen als einer der ersten Sozialdemokraten, als Verfechter eines freien und emanzipierten Europas und nicht zuletzt als „ideeller Vater Israels“. Sein Buch hat der Autor in der vorwärts-Buchhandlung im Berliner Willy-Brandt-Haus vorgestellt, zusammen mit dem SPD-Bundesschatzmeister Dietmar Nietan und dem Kölner SPD-Oberbürgermeisterkandidaten Jochen Ott, der, Rheinländer wie Hess, das Nachwort zum Buch schrieb. Laut Dietmar Nietan spielte Weiß’ Buch über Moses Hess (1812-1875) für die Sozialdemokratie eine enorm wichtige Rolle, dokumentiere das Buch doch historische Spuren der anfänglich radikalen Arbeiterbewegung und biete eine Antwort auf die Frage, was demokratischer Sozialismus heute bedeuten kann.
Hess als „ideeller Vater Israels“
Hess war ein revolutionärer Vordenker unseres heutigen Europas, Publizist des deutschen Vormärz, erster Kölner SPD-Vorsitzender und entschiedener Gegner des damals vorherrschenden Antisemitismus in Europa. Er, ein säkularer Jude aus dem Rheinland, thematisierte als erster Sozialist die Judenfeindschaft, die auch in den linken Kreisen, in denen er sich bewegte, vorhanden war. Als Befreiungsnationalist entwickelte er Theorien und verfasste Schriften zur Gründung eines emanzipierten und demokratischen Judenstaates, noch vor Herzl, der historisch als Begründer des Zionismus angesehen wird.
Volker Weiß, Historiker aus Hamburg, der zu linkem Antisemitismus, Rechtsextremismus und Islamismus forscht, zeichnet in seinem Buch die Lebensgeschichte und das Wirken von Moses Hess nach und weist auch auf den starken Antisemitismus hin, mit dem sich Hess konfrontiert sah, auch aus den eigenen Reihen. Weiß betonte, dass es auch in der heutigen Linken, und zwar nicht nur in der radikalen Linken, antisemitische Tendenzen gebe. Vor allem bei den anti-israelischen Demos nach der Militär-Offensive im Gaza-Steifen im Sommer 2014, bei denen immer wieder antisemitische Parolen zu hören gewesen waren, wurde dieses Problem offensichtlich. Auch Dietmar Nietan beklagte, dass es immer weniger Verständnis für Israel gebe. Er beobachte einen Wandel im Umgang mit Israel, auch in der SPD. Weiß sieht in Hess daher ein „Gegengift“ für den mehr oder weniger latenten Anti-Zionismus in der heutigen Linken.
Radikaler Verfechter eines sozialistischen Europas
In Zeiten von Neoliberalismus und Finanzkrise ist Hess dem Autor zufolge aktueller denn je, bestehen doch zahlreiche Anknüpfungspunkte seines Wirkens an die heutige soziale und politische Lage. „Hess war ein Europäer, aber nicht einer der Wirtschaft oder des Kapitals, sondern er wollte ein sozialistisches Europa, ein Europa des Fortschritts“, so Weiß. Hess prangerte auch bürgerliche Institutionen wie die Ehe als überkommen an und setzte sich für Gleichberechtigung von Mann und Frau ein. Der Revolutionär war radikaler als Karl Marx, mit dem er zusammengearbeitet, aber auch immer wieder gestritten hat.
Auch der Kölner SPD-Oberbürgermeisterkandidat Jochen Ott sieht in Hess eine für die Sozialdemokratie sehr wichtige Person. Wie kann eine derart bedeutende Person der Arbeiterbewegung fast komplett in Vergessenheit geraten? Ein Grund könnte im Antisemitismus der Zeit zu finden sein, so Jochen Ott, auch unter den Sozialdemokraten: „Sozialdemokratischen Reformern wie auch marxistischen Revolutionären waren die Spannungen im Leben und Werk von Moses Hess suspekt. Sein Judentum, das er nie verleugnet hatte, tat ein Übriges, um ihn in den Schatten der Parteigeschichtsschreibungen zu drängen“, heißt es in der Biographie. Ein wichtiges Anliegen des Buches ist für Volker Weiß, die politische Person Moses Hess wieder in das Bewusstsein der Menschen zu bringen.
Volker Weiß: „Moses Hess – Rheinischer Jude, Revolutionär, früher Zionist“, Greven Verlag, Köln 2015, 239 Seiten, 19,90 Euro, ISBN 978-3774306141