Kultur

Buchautor Michael Bröning: „Gute Politik braucht Widerspruch“

„Die Hetzer sind immer die anderen“ heißt das neue Buch von Michael Bröning. Das Mitglied der SPD-Grundwertekommission wünscht sich darin wieder mehr offenen politischen Streit, um die Demokratie zu stärken. Warum gerade die SPD dafür eintreten sollte, sagt Bröning im Interview.

von Kai Doering · 31. Dezember 2024
Mehr Streit wagen: Der Politikwissenschaftler Michael Bröning fordert zum Verlassen von „Meinungsbunkern“ auf.

Mehr Streit wagen: Der Politikwissenschaftler Michael Bröning fordert zum Verlassen von „Meinungsbunkern“ auf.

Wann haben Sie das letzte Mal richtig schön kontrovers diskutiert?

Heute morgen am Frühstückstisch. Mit zwei Teenagern im Haus lässt sich das kaum vermeiden. So bin ich auch selber groß geworden. Mit wilden Debatten, in denen ziemlich die Fetzen geflogen sind. Das ist sicher in ganz vielen Familien auch heute noch so. Nur habe ich den Eindruck, dass in weiten Teilen der Gesellschaft die Bereitschaft zum offenen politischen Streit und zum Austausch zurückgeht. Im Beruf, im Freundeskreis, da hält manch einer die Karten doch lieber eng an der Brust. 

Woran machen Sie das fest?

Die Menschen ziehen sich zurück. Das aber hat weniger mit Bequemlichkeit zu tun als vielmehr mit Risikovermeidung. Wer klar seine Meinung sagt, macht sich angreifbar. In einer Zeit aber, in der man es mehr und mehr mit unerbittlichen Reaktionen zu tun bekommt, und in einer Zeit, in der schon bestimmte Formulierungen als unverzeihlich gelten, wird die offene Meinungsäußerung zum Wagnis. Wer weiß schon, was morgen noch akzeptabel ist? Dann doch lieber zurück in die Sicherheit der privaten Chat-Gruppe und sich nur noch öffnen, wenn man sich wirklich ganz, ganz sicher fühlt. In meinem Buch lautet der erste Satz deshalb: „Freund hört mit“. Dieses Grundgefühl hat sich eingeschlichen.

Und gerade Kreise, die einerseits auf Achtsamkeit und Wertschätzung bedacht sind, zeichnen sich nicht immer durch besonders große Nachsicht aus, wenn sie mal auf Positionen außerhalb des eigenen Meinungsbiotops treffen. Da hört der Spaß dann auf. Diese Art der Debattenkultur – oder eher Debattenunkultur – aber ist fatal. Aktuelle Umfragen belegen, dass die Mehrheit der Bundesbürger sich nicht mehr traut, offen die Meinung zu sagen. So etwas ist Gift für die Demokratie.

Michael
Bröning

Im Zweifel müssen wir auf der Seite stehen, die mehr Diskussion, mehr Debatte wagt.

In Ihrem Buch „Die Hetzer sind immer die anderen“ schreiben Sie von „Meinungsbunkern“. Was hat dazu geführt, dass sich immer mehr Menschen dorthin zurückziehen und nicht mehr frei von der Leber weg diskutieren?

Viel hat mit der Technologie zu tun, die jede öffentliche Meinungsäußerung in eine Art Schaukampf verwandelt hat. Doch auch politische Ereignisse haben dazu beigetragen. Eine Zäsur war sicher das Jahr 2015 mit der Flüchtlingspolitik, bei der viele Menschen das Gefühl hatten, dass eine offene Debatte nicht mehr möglich ist. Es gab aber damals bereits Vorboten. Auch während der Eurokrise wurde ja Politik als „alternativlos“ erklärt. Eine Fortsetzung hat das mit den Pandemie-Maßnahmen gefunden, aber auch aktuell findet das statt, etwa bezogen auf die Ukraine.

Bezeichnenderweise wird diese Art der Diskursverengung insbesondere von den Stimmen als Mythos dargestellt, die sich selber in größtem Einverständnis mit der Mehrheit befinden. Das Problem ist: Es gibt mittlerweile eine nicht ganz kurze Liste politischer Fragen, in der Dissens nicht mehr goutiert wird. Stattdessen wird versichert, es gebe nur einen einzigen Weg, der moralisch akzeptabel ist.

Warum sehen Sie das als Problem?

Weil das eine völlig unpolitische Betrachtungsweise ist. Gute Politik braucht doch keinen Konformismus, sondern auch mal Widerspruch – und zwar auch fundamentalen. Stattdessen haben wir aber, so nehme ich das wenigstens wahr, in Teilen der öffentlichen Debatte eher eine Aneinanderreihung von Phrasen als einen offenen Wettstreit der Ideen. In meinem Buch gibt es zum Beispiel ein Kapitel über den Begriff des Problematischen, der immer dann Verwendung findet, wenn Dinge eigentlich völlig legitim sind, aber nicht ins eigene Weltbild passen. Er wird genutzt, um einen Popanz aufzubauen statt Klartext zu reden „Schwurbeln für das Gute“ heißt der Text. Und darum geht es in dem Buch. Es ist ein Versuch, Worthülsen und sprachliche Doppelstandards aufzubrechen. So betrachtet ist es Gewissermaßen ein Wörterbuch des Bullshits.

Führt der Appell Ihres Buches aber nicht am Ende dazu, dass alle Äußerungen gleichberechtigt nebeneinandergestellt werden? Es gibt schließlich nicht umsonst Grenzen des Sagbaren, die nicht überschritten werden sollten.

Die gibt es und die muss es auch geben. Niemand hat das Recht, in einem vollbesetzten Theater „Feuer“ zu rufen, wenn es nicht brennt. Doch es ist eben nicht nur schwierig zu entscheiden, wo die Grenzen verlaufen, sondern auch zu bestimmen, wer sie ziehen darf. Wer entscheidet? Die Mehrheit? Der Bürgerrat Desinformation, das Innenministerium oder doch lieber Elon Musk? Im Zweifel müssen wir auf der Seite stehen, die mehr Diskussion, mehr Debatte wagt. Für eine progressive Partei wie die SPD gehört gerade das zum politischen Erbe. Die Sozialdemokratie war es schließlich, die vermeintliche Wahrheiten und Autoritäten hinterfragt hat. Unsere Antwort auf unsinnige Rede sollte daher nicht das Unterbinden von Rede sein, sondern die Aufforderung zu mehr Rede.

Michael
Bröning

Nicht jeder Dissens ist ein Beleg für eine faschistoide Grundhaltung.

Wie groß ist aus Ihrer Sicht der Schaden, der schon an der Demokratie entstanden ist, weil die Menschen in ihren Meinungsbunkern verharren?

Wenn ein gesellschaftliches Gespräch nicht mehr möglich ist, weil etwas Gemeinsames gar nicht mehr existiert, dann wird das Problem sehr schnell fundamental. Wir erleben doch seit Jahren die Entkopplung unterschiedlicher gesellschaftlicher Gruppen. Die Schollen driften auseinander. Und das ist nicht nur in Deutschland so. Es ist in den USA zu beobachten, in Frankreich und in Italien. Die bequeme Antwort zeigt mit dem Finger auf die anderen. Und sicher, es gibt Unternehmer der Spaltung, die von der Polarisierung profitieren. Oft auch ganz konkret finanziell.

Aber zur unbequemen Wahrheit gehört eben auch, dass auch progressive Kräfte in Teilen nicht ganz unschuldig sind an der gesellschaftlichen Lagerbildung. Deswegen auch der Titel des Buches: „Die Hetzer sind immer die anderen“. Selbstgerechtigkeit ist ein Problem, nicht zuletzt aktuelle Wahlergebnisse belegen das ja zur Genüge. Und auch hier lässt sich ein Bogen zur Sprache schlagen. Behalten wir ein Verständnis für die Sicht der anderen? Verstehen wir, dass die anderen letztlich wir alle selbst sind?

Sie leben seit mehreren Jahren in den USA, wo im Januar Donald Trump zum zweiten Mal als Präsident vereidigt wird. Lassen sich in Deutschland Entwicklungen noch vermeiden, die in den USA bereits stattfinden?

In Europa haben wir längst auf vielen Ebenen amerikanische Verhältnisse. Deshalb wären wir schlecht beraten, die Herausforderungen zu externalisieren. Ein gemeinsames Problem ist nicht zuletzt die pauschale Übermoralisierung von eigentlich politischen Fragen, die letztlich die progressiven Mehrheiten verunmöglichen. Dazu gehört auch die Tendenz, jede Auseinandersetzung zum Endkampf zwischen Licht und Finsternis, zwischen Demokratie und Faschismus hochzustilisieren. Sicher gibt es Faschisten, ja, und wo es sie gibt, müssen sie bekämpft werden. Aber nicht jeder Dissens ist ein Beleg für eine faschistoide Grundhaltung. Einer der Texte im Buch untersucht das näher und warnt: „Niemand ist Faschist, wenn alle es sind“. Nicht zuletzt an den USA kann man übrigens auch studieren, dass dieser Diskurs für fortschrittliche Parteien wenig erfolgreich ist.

Wie bewerten Sie unter diesem Gesichtspunkt den anlaufenden Bundestagswahlkampf?

Das Wahlprogramm ist ein überzeugendes Angriffsprogramm, denn es setzt auf die Stärken der Partei. Um zu gewinnen, braucht es aber auch eine starke Verteidigung. Das bedeutet, im Wahlkampf müssen nicht nur die Fragen beantwortet werden, die die Sozialdemokratie gerne beantworten will, sondern auch die, auf die die Wählerinnen und Wähler eine Antwort erwarten. Wenn wir das schaffen, dann geht es auch in den Umfragen nach oben.

Die Infos zum Buch

Michael Bröning: Die Hetzer sind immer die anderen. Anstiftungen zum Verlassen des Meinungsbunkers, Verlag am Park 2024, 16 Euro, ISBN 9783897933873

Hier kann das Buch direkt bestellt werden.

Michael Bröning

ist Politikwissenschaftler, Mitglied der SPD-Grundwertekommission und lebt in New York. Zuletzt erschienen von ihm die Bücher „Lob der Nation“ und „Vom Ende der Freiheit“. In seiner Kolumne „Das rote Buch“ stellt Bröning auf vorwärts.de jeden Monat ein aktuelles, politisches Buch vor.

Michael Bröning
Autor*in
Kai Doering
Kai Doering

ist stellvertretender Chefredakteur des vorwärts. Er betreut den Bereich Parteileben und twittert unter @kai_doering.

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