Buch: Warum Demokratie mehr Begegnungen braucht
Es sind gerade schwierige Zeiten für die Demokratie. Umso wichtiger ist es, dass Menschen sich begegnen, auch wenn es nur flüchtig ist, sagt der Soziologe Rainald Manthe.
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Ob Dorfladen oder Kneipe – Begegnungen sind wichtig für die Demokratie, sagt der Soziologe Rainald Manthe
Ein flüchtiger Blick im Café, ein schüchternes Lächeln beim Spaziergang im Park, ein versehentlicher Rempler in der überfüllten Straßenbahn, ein kurzer Gruß auf der Straße – viele dieser zufälligen Begegnungen erleben wir in unserem Alltag. Doch sie sind weniger geworden, nicht nur durch die Coronapandemie mit Homeoffice, Homeschooling und teilweise sogar Fitnesskursen vor dem Bildschirm.
Die Gründe liegen tiefer, wie der Soziologe Rainald Manthe in seinem Buch „Demokratie fehlt Begegnung“ schreibt. Steigende Mieten, Privatisierung öffentlicher Infrastruktur und ein immer stärkerer Drang zur Individualisierung machen zufällige Begegnungen seltener. Und das wird laut dem Soziologen zur Gefahr für die Demokratie. „Demokratie lebt von Vertrauen. Wenn wir einander nicht vertrauen, geraten allgemeingültige Regeln ins Wanken. Damit wir einander vertrauen, ist es notwendig, dass wir den Menschen, mit denen wir eine Gesellschaft teilen, immer mal flüchtig begegnen“, sagt er im Interview mit dem „vorwärts“.
Demokratie stärken
Was kann die Politik also tun, um wieder mehr Begegnungen zu ermöglichen, die Demokratie zu stärken und so im besten Fall auch populistischen oder extremistischen Parteien den Wind aus den Segeln zu nehmen?
Für Manthe ist die Antwort in seinem knapp 150 Seiten umfassenden Buch klar: Vor allem die Kommunen sollten mehr Geld erhalten, um wieder mehr Begegnungsorte schaffen zu können – wie Bibliotheken, Stadtparks, Jugendclubs oder Dorfkneipen.
Klingt simpel, ist es in der Realität jedoch oft nicht. So treffend die Analyse ist, so schwierig dürfte es sein, das Rad der Zeit wieder zurückzudrehen. Der gesellschaftliche Trend der Individualisierung, es sich in seiner eigenen sozialen Blase bequem zu machen, sich hauptsächlich mit Menschen desselben Bildungsgrads, derselben Sozialisation, derselben sozialen Schicht zu umgeben, ist zwar nicht unumkehrbar, aber doch schwierig zurückzudrängen.
Treffpunkte schaffen
In der Praxis finden sich an vielen Orten Menschen mit der Idee zusammen, eine Dorfkneipe, einen Dorfladen, einen Treffpunkt im Stadtteil für Alt und Jung zum Leben zu erwecken. Vielfach gelingt das auch, aber häufig nicht dauerhaft, weil viele Menschen es gut finden, wenn es wieder einen solchen Ort gibt, aber zugleich die Bereitschaft fehlt, diesen auch zu erhalten. Denn um Begegnungen zu ermöglichen, braucht es neben Begegnungsorten auch die Bereitschaft, Begegnungen zuzulassen, ohne Blick aufs Smartphone vor die Tür zu gehen und mit anderen in Dialog zu treten.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo