International

Warum Fußball ein guter Spiegel der Gesellschaft ist

Die Gründe für das deutsche Fiasko bei der Fußball-WM verweisen auf die Schwächen von Politik und Gesellschaft: In Deutschland gibt es zu viel Selbstzufriedenheit und zu wenig Gemeinsinn. Frankreich dagegen setzt auf Reform und Erneuerung – mit Erfolg, in der Politik wie im Fußball.
von Kay Walter · 17. Juli 2018
uf den Stufen des Elysee-Palastes in Paris: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfängt die französischen Fußballweltmeister mit dem Siegespokal.
uf den Stufen des Elysee-Palastes in Paris: Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfängt die französischen Fußballweltmeister mit dem Siegespokal.

Zugegeben, die These ist steil - und doch: die personelle Zusammensetzung der Fußballnationalmannschaft und die Art und Weise, wie sie spielt, spiegelt den gesellschaftlichen und politischen Zustand ihrer Länder. Weniger scharf formuliert: Was eine Mannschaft auf dem Fußballplatz abliefert, erlaubt Rückschlüsse auf das Land, aus dem sie stammt.

Deshalb scheiterte Deutschland in der Vorrunde

Warum also ist Deutschland als (nicht nur) selbsternannter Turnierfavorit zur WM gereist, um dann sang- und klanglos in der Vorrunde auszuscheiden? Und das mit einer der fußballerisch begabtesten Mannschaften, die je für Deutschland angetreten sind.

Um es gleich deutlich zu sagen, Özil war es nicht. Den Irrglauben hat DFB-Chef Grindel ziemlich exklusiv. Özil war meist einer der besseren auf dem Platz. Ausgeschieden ist Deutschland, weil es nicht reicht, sich hochtrabend „La Mannschaft“ zu nennen, wenn man tatsächlich keine Mannschaft ist. Ausgeschieden ist Deutschland, weil junge Männer in den entscheidenden Augenblicken den nötigen Einsatz vermissen ließen, weil ihnen ihr Unterbewußtsein sagte, den brauche es gegen zweitklassige Gegner noch nicht. Vielleicht später gegen Brasilien und Frankreich, die “Großen” eben.

Bräsige Selbstzufriedenheit der DFB-Elf

Was das mit Politik zu tun hat? Und mit Deutschland? Ganz einfach: Es ist die gleiche bräsige Zufriedenheit, die verhindert Sané und Werner zu nominieren, die in Deutschland auch sonst Innovationen verhindert. Es ist die gleiche Verkennung der Realität - “Mexiko, Schweden, Südkorea hauen wir auch so weg”  - die im echten Leben die Deutschen mehrheitlich glauben lässt, sie würden mit ihrem Fleiß für die “Schuldenmacher in Griechenland, Italien und wo auch immer” bezahlen, obwohl das genaue Gegenteil richtig ist - Deutschland hat am griechischen Crash verdient und das nicht zu knapp.

Es ist der Mangel an Gemeinsinn, der die Kicker nicht füreinander laufen ließ, der es der AfD ermöglicht, den Menschen einzureden, 80 Millionen Deutsche würden von 1 Millionen Flüchtlingen “überrannt“. Und es ist die nämliche überhebliche Selbstüberschätzung - wer mit der B-Truppe den Confed-Cup gewinnt, wird auch wieder Weltmeister - , die die Bundesregierung in der fatalen Illusion verharren lässt, sie müsse nicht auf Emmanuel Macrons Vorschläge, ein besseres Europa zu bauen eingehen.

Teamgeist der französischen Mannschaft

Damit zu Frankreich: Warum sind Les Bleus jetzt Weltmeister? Weil Griezmann, Pogba und Mbappé überdurchschnittlich begabte Fußballer sind? Sicher auch, aber da ist mehr.

Der Baske Didier Deschamps hat Spieler aus dem fast belgischen Norden Frankreichs (Pavard) mit Südfranzosen (Hernandéz, Lloris) und dem Korsen Rami, dem in Kamerun geborenen Umtiti oder Varane, dessen Eltern aus der Karibik stammen, dem Algerien-Franzosen Fekir und Einwandererkindern aus den Pariser Banlieues (Pogba, Mbappé, Kanté) zu einer Einheit geformt, die um jeden Preis gewinnen wollte. Die dabei wusste: Das geht nur zusammen. Und das haben sie auf das Land rückübertragen. Vor dem Finale haben alle Franzosen die Marseillaise mit Inbrunst und sicher zwanzig Mal geschmettert. Nach dem Schlußpfiff lagen sich weiße, schwarze und maghrebinische Franzosen in den Armen und feierten. Gemeinsam.

Gelungene Integration in Frankreich

Und zwar gerade die aus den berüchtigten Pariser Randbezirken, die sich sonst nicht wirklich mögen. Aber Mbappé aus Bondy und Pogba aus Torcy beweisen: Du kannst in der trostlosen Banlieue geboren sein und trotzdem Weltmeister werden. Sie sind positive Rollenmodelle für die nächste Generation - und keine Quatschköpfe, wie Bela Rethy sich erdreistete, sie zu nennen.

Wichtig: Trainer Deschamps hat nach der Niederlage im Europameisterschaftsfinale vor zwei Jahren den Mut gehabt, neue Wege zu gehen, verdiente Spieler durch jüngere zu ersetzen. Reformen und Erneuerung: So lautet auch das Credo von Präsident Macron. Auch deshalb hat er sich in Moskau so gefreut. Der Titel wird seinen Ambitionen sicher nicht schaden.

Singen und gewinnen?

Apropos wer singt, gewinnt. Die AfD will den Menschen die Diskussion aufzwingen, nur wer die Nationalhymne mitsinge, sei “wert” im Nationaldress zu spielen. Das gleiche hat Jean-Marie LePen (damals Chef des Front National) 1998 versucht. Mit dem bekannten Ergebnis: Frankreich wurde Weltmeister. Und auch Beckenbauer, Müller, Maier haben 1974 - wie alle anderen - nicht gesungen.

 

 

 

 

Autor*in
Avatar
Kay Walter

ist freiberuflicher Journalist in Paris.

0 Kommentare
Noch keine Kommentare