Vor Präsidentschaftswahl: „Zeit spielt auch gegen Russland“
Seit Freitag läuft die Präsidentschaftswahl in Russland. Auch wenn Wladimir Putin als Sieger bereits feststeht, sieht Alexey Yusupov von der Friedrich-Ebert-Stiftung eine interessante Entwicklung im Land.
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Am Freitag hat die Präsidentschaftswahl in Russland begonnen.
Selten dürfte eine Abstimmung so vorhersehbar gewesen sein wie die seit Freitag und noch bis Sonntag laufende Präsidentschaftswahl in Russland. Der Sieger wird Wladimir Putin heißen. So viel ist klar. So sehr, dass EU-Ratspräsident Charles Michel dem russischen Machthaber bereits am Freitag via X (ehemals Twitter) zu seinem „Erdrutschsieg“ gratulierte.
Wahlbeobachter*innen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) sind nicht eingeladen worden. Putins vier Gegenkandidaten gelten als äußerst blass. „Es ist niemand mehr übrig aus Putins Anfangszeit in den 90er-Jahren“, sagt Alexey Yusupov, Leiter des Russland-Programms der Friedrich-Ebert-Stiftung. Er ist in dieser Woche zu Gast in der Gesprächsreihe „Junges Europa“ auf dem Instagram-Kanal des „vorwärts“, die von Hannah Elten und Teresa López moderiert wird und sich diesmal mit der Präsidentschaftswahl in Russland beschäftigt.
Das russische Regime betreibe einen enormen Aufwand, um die Wahl durchzuführen, meint Yusupov. Es wurden so wenige Kandidaten zugelassen wie nie zuvor. So erhielt beispielsweise Boris Nadeschdin, der den Krieg in der Ukraine offen kritisierte, keine Zulassung.
„Dass Nadeschdin so viele Unterschriften bekommen hat, ist schon ein ziemliches Statement“, sagt Yusupov. Dies sei auch der Grund für seine Nicht-Zulassung gewesen. Er habe zu schnell zu erfolgreich mobilisiert und sei dadurch zu gefährlich für den Kreml geworden. Die wichtigste Lehre daraus sei: „Die Stadtbevölkerung nutzt weiterhin jede erdenkliche Möglichkeit, um ihren anhaltenden Dissens zum Krieg zu zeigen.“
Eine Mammutaufgabe für die russische Regierung
Die russische Regierung versuche hingegen alles, um die Wirtschaft zu stabilisieren und so die Bevölkerung den Krieg nicht spüren zu lassen. „Das kostet Geld und ist eine Mammutaufgabe“, meint Yusupov. Währenddessen werde die Ökonomie des Landes Stück für Stück auf Kriegswirtschaft umgestellt.
Zwar laufe die zivile Wirtschaft weiter, der militärische Sektor genieße jedoch Priorität. Der Staat pumpe „unfassbar viel Geld“ hinein. „Das alles hat seinen Preis, der aber vielleicht erst in drei bis vier Jahren zu spüren sein wird. Insofern spielt die Zeit auch gegen Russland“, sagt der Experte.
Konkrete Auswirkungen gebe es jedoch bereits jetzt. Erstens rücke der Planungshorizont vieler Menschen in ihrem Alltag deutlich nach vorne. Wenn Kredite aufgenommen würden, dann meistens mit einer kürzeren Laufzeit. Zweitens habe die russische Regierung angekündigt, die Steuern erhöhen zu wollen. Dies stehe ganz im Gegensatz zum lange propagierten Image von Russland als Niedrigsteuerland. Drittens habe der Krieg deutliche Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt.
Fachkräftemangel durch Krieg
Dies sei beispielsweise in russischen Wirtschaftszeitungen sehr gut und unzensiert nachzulesen. Demnach fehlten im zivilen Bereich vielfach Elektriker*innen, Ingenieur*innen oder Techniker*innen, weil die Gehälter im militärischen Bereich drei- bis viermal so hoch seien.
Viertens habe sich der Krieg auch in der Landwirtschaft vor allem im Süden Russlands deutlich bemerkbar gemacht, weil zum einen Öl ins Ausland verkauft wurde, statt es im Land zu raffinieren, und zum anderen der vorhandene Diesel in großem Stil vom Militär aufgekauft worden sei. Um diese Krise zu lösen, habe die russische Regierung einschreiten und beispielsweise Exporte verbieten müssen.
Insgesamt sei der Krieg im Alltag der Menschen jedoch inzwischen weniger präsent als noch vor zwei Jahren, berichtet Yusupov: „Wir sehen eine allmähliche Normalisierung. Es ist weniger Propaganda da, es ist weniger Rekrutierungswerbung zu sehen.“
Russland als schweigende Gesellschaft
Dies sei für den Kreml als große Errungenschaft zu werten, die jedoch insbesondere durch Repressionen zustande gekommen sei: „Die Repressionen haben ein Höchstmaß an Beliebigkeit erreicht.“ Yusupov macht klar: „Es sind nicht Hunderttausende Menschen, die abgeholt werden, aber es ist völlig beliebig geworden. Das macht Russland zu einer sehr schweigenden Gesellschaft. Die Probleme sind da, aber man schweigt sich aus. “
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo
Hat die SPD keine anderen Themen
als jeden Tag aufs neue auf Russland und Putin herabzuschauen? Sollen damit russophobe Wähler angezogen werden? Wer frei von Sünde ist, werfe den ersten Stein.
Wenn die SPD nicht wieder lernt, sich über eine positive Vision für die Zukunft zu definieren, statt nur immer wieder auf den unwürdigen Nachbarn herabzublicken (der im übrigens vor nicht allzu langer Zeit über 25 Mio. Tote durch Operation Barbarossa zu beklagen hatte), wird sie austauschbar und entbehrlich.