International

Venezuela: Was hinter dem Referendum über die Annexion Guyanas steckt

Per Referendum ließ Venezuelas Präsident Nicolás Maduro über die Annexion eines Teils Guyanas abstimmen. Um den Nachbarstaat ging es dabei aber eigentlich gar nicht. Maduros Ziel ist ein ganz anderes.

von Katharina Wegner · 11. Dezember 2023
Venezuela

Bei der Abstimmung zum Referendum am 3. Dezember 2023 in Venezuela

Es ist ein aus aller Welt bekanntes Muster, das sich dieser Tag in Venezuela wiederholt: Eine Regierung weiß innenpolitisch nicht weiter und versucht, die eigene Bevölkerung durch außenpolitische Aggression davon abzulenken und hinter sich zu versammeln. 

Referendum als Ablenkungsmanöver

In der Tat befindet sich die venezolanische Wirtschaft trotz zuletzt verbesserter Zahlen seit Jahren in der Krise, über die Hälfte der Bevölkerung lebt in extremer Armut. Das Benzin ist knapp, die Strom- und Wasserversorgung fällt im ganzen Land immer wieder aus. Dennoch hält sich Präsident Nicolás Maduro, der 2018 unter zweifelhaften Bedingungen gewählt wurde – die Wahl wurde deshalb von einem Großteil der internationalen Staatengemeinschaft nicht anerkannt –, bis heute an der Macht. Auch die, vor allem von den USA verhängten, harten Wirtschafts- und Finanzsanktionen und die Corona-Pandemie hat seine autoritäre Regierung überstanden. Unterstützt von ihren internationalen Verbündeten China, Russland, Türkei, Kuba und Iran hat sie ihre Stellung in den letzten Jahren festigen können.

Warum also jetzt dieses außenpolitische Ablenkungsmanöver, die Abhaltung eines Referendums mit dem Ziel, den größeren Teil des Nachbarlandes Guyana, auf das Venezuela seit über 100 Jahren Anspruch erhebt, zu annektieren, obwohl dieses Thema in den letzten 20 Jahren in der politischen Diskussion kaum vorkam?

Maduro möchte in der zweiten Jahreshälfte 2024 wiedergewählt werden.

Maduro möchte in der zweiten Jahreshälfte 2024 wiedergewählt und dabei dieses Mal von der internationalen Staatengemeinschaft als Präsident Venezuelas anerkannt werden. Im Moment stehen die Chancen hierfür aber eher schlecht. Die bisher zerstrittene Opposition hat nämlich am 22. Oktober 2023 die Vorwahl des Präsidentschaftskandidaten oder der Präsidentschaftskandidatin durchgeführt. 

Volksabstimmung am 3. Dezember 2023

Obwohl diese Wahl inner- und außerhalb des Landes ohne jede staatliche Unterstützung, also quasi privat, organisiert wurde und viele der Organisatorinnen und Organisatoren im Vorfeld von staatlichen Stellen massiv bedroht und eingeschüchtert worden waren, war sie zur Überraschung vieler Beobachter – und auch der Regierung – ein großer Erfolg. Nicht nur, weil mit überwältigender Mehrheit die liberale Präsidentschaftskandidatin Maria Corina Machado gewählt wurde, sondern auch, weil sich trotz der widrigen Bedingungen über 2,5 Millionen Menschen an der Wahl beteiligt haben – viele von ihnen aus ehemaligen Hochburgen der Regierung.

Darauf musste nun eine Antwort gefunden, die eigene chavistische Basis mobilisiert und die Wahlmaschinerie in Schwung gebracht werden. So verfiel man auf die Idee einer Volksabstimmung am 3. Dezember 2023 über die alten Ansprüche auf den Landesteil Esequibo von Guyana. Und wieder ist das Ergebnis aus Sicht der Regierung unerfreulich: Zwar hat sich, wie international berichtet, nach Angaben der nationalen Wahlkommission eine überwältigende Mehrheit der Wähler für die Annexion ausgesprochen. 

Aber die Beteiligung – so zahlreiche Augenzeugen, und entsprechende Fotos finden sich in den sozialen Medien – war gering, auch bei der chavistischen Basis. Beobachter gehen von höchstens einer Million Stimmen aus – eine sehr viel geringere Beteiligung als bei den Vorwahlen der Opposition.

Die Regierung hat sich bisher auf weitgehend symbolische Maßnahmen beschränkt.

Nach einer wochenlangen intensiven Öffentlichkeitskampagne für das Referendum seit dem 22. Oktober ist die Regierung jetzt in Zugzwang: Irgendwie muss sie den von ihr behaupteten Willen der Wählerinnen und Wähler umsetzen. Bisher hat sie sich weitgehend auf symbolische Maßnahmen beschränkt: Unter anderem hat Maduro einen Gesetzentwurf für die Etablierung eines neuen venezolanischen Bundesstaates Guyana Esequiba vorgelegt; eine Art Gouverneur wurde für das Gebiet wurde ernannt; auf den Landkarten in den Schulbüchern soll der neue Bundesstaat als Teil Venezuelas dargestellt werden; und die staatliche venezolanische Erdölgesellschaft PDVSA soll jetzt Lizenzen zur Ausbeutung der Erdöl- und Gasvorkommen in Esequibo erteilen.

Gegen US-Konzern Exxon Mobil

Maduro will damit verhindern, dass ein internationales Firmenkonsortium unter Führung des US-amerikanischen Konzerns Exxon Mobil die 2015 in Esequibo und den dazugehörigen Territorialgewässern entdeckten Erdöl- und Gasvorkommen ausbeutet. So soll eine weitere „US-amerikanische Aggression“ gegen Venezuela verhindert werden. Finanzielle Ressourcen, um diese Vorkommen selbst zu erschließen, hat Venezuela nicht. Diese reichen ja nicht einmal, um die auf dem eigenen Staatsgebiet liegenden Erdöl- und Gasvorkommen auszubeuten. Die venezolanische Erdölproduktion befindet sich seit Jahren in der Krise. Wegen der maroden Infrastruktur wird heute weniger als ein Drittel der früheren Mengen gefördert. 

Mehrere Gründe sprechen dagegen, dass Venezuela wirklich in Guyana einmarschiert: Zum einen stellt sich die Frage, warum das Land ausgerechnet jetzt die USA über rhetorisches Getöse hinaus weiter provozieren sollte. 2023 hatte die venezolanische Regierung endlich erreicht, dass die US-Administration direkt mit ihr verhandelte. Ein Ergebnis war, dass einige der Sanktionen gelockert wurden und dass somit dringend – auch für die Präsidentschaftswahlkampagne – benötigtes Geld in die Staatskasse kommt. Zum anderen ist die militärische Stärke Venezuelas zumindest zweifelhaft. Das zeigen die militärischen Auseinandersetzungen der Vergangenheit an der Landesgrenze zu Kolumbien. Darüber hinaus ist China (der wichtigste Verbündete der Regierung Maduro, wenn auch meist nur verbal unterstützend) selbst mit der China National Offshore Company mit 25 Prozent an dem von Exxon Mobil geführten Konsortium beteiligt, das die in Esequibo und den dazu gehörigen Territorialgewässern entdeckten Erdöl- und Gasvorkommen ausbeutet. Die Volksrepublik pflegt seit Jahren eine enge, auch militärische, Zusammenarbeit mit Guyana und will im Konflikt vermittelnd tätig werden. Und nicht zuletzt steht Weihnachten vor der Tür. Zumindest in der Hauptstadt ist alles ruhig – ganz im Gegenteil zur internationalen Aufgeregtheit.

In den vergangenen Jahren ist die Regierung Maduro bei aller revolutionärer Rhetorik eher pragmatisch rational vorgegangen.  

Ein autoritäres Regime, das um die Macht kämpft, ist zugegebenermaßen unberechenbar, aber in den vergangenen Jahren ist die Regierung Maduro bei aller revolutionärer Rhetorik eher pragmatisch rational vorgegangen. Schon früher hat sie aus taktischen Gründen mit großem propagandistischem Aufwand unsinnige Forderungen gestellt, die anschließend wieder in der Versenkung verschwanden.

Verschärfung der Lage möglich

Zu befürchten ist allerdings eine zunehmende Verfolgung der Opposition und eine Verschärfung der politischen Lage in Venezuela. So wurden am 6. Dezember 2023 Haftbefehle gegen enge Mitarbeitende von Maria Corina Machado ausgesprochen. Trotz aller Beteuerungen des Gegenteils sind die Tests dieses Jahres aus Sicht der Regierung nicht gut verlaufen: die Vorwahl der Opposition und die Volksabstimmung über die Annektion Esequibos. Angesichts dessen erscheint es durchaus fraglich, ob die Vereinbarungen mit der Opposition tatsächlich umgesetzt werden, ob also im nächsten Jahr wirklich Präsidentschaftswahlen mit einem Minimum an Fairness und Chancengleichheit für Oppositionskandidatinnen und -kandidaten stattfinden werden.

Dieser Beitrag erschien zunächst im ipg-journal

Autor*in
Katharina Wegner

ist Vertreterin der Friedrich-Ebert-Stiftung in Caracas, Venezuela.

Weitere interessante Rubriken entdecken

0 Kommentare
Noch keine Kommentare