Venezuela: Von der sozialistischen Utopie zum Alptraum
„Socialismo o muerte“ – Sozialismus oder der Tod, lautete einst die Parole des früheren venezolanischen Präsidenten Hugo Chávez. Der Ex-Präsident ist seit sechs Jahren tot, der von ihm propagierte „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ ist es inzwischen auch. Vor 20 Jahren trat Chávez sein Amt als Staatsoberhaupt Venezuelas an. Er wollte für mehr Gerechtigkeit sorgen, die Korruption bekämpfen und die Abhängigkeit des Landes von den Erdöleinnahmen verringern. Das Gegenteil war der Fall.
Subventionen durch Erdölgeschäft
Die Wahl von Chávez war die Reaktion auf ein destabilisiertes Zwei-Parteien-System. Bis Anfang der 90er-Jahre hatte das Wechselspiel zwischen der sozialdemokratisch ausgerichteten Acción Democrática (AD) und der konservativen COPEI dazu geführt, dass Venezuela als eines des wenigen Länder in Lateinamerika während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht von einer Militärdiktatur regiert wurde.
Chávez nutzte seine Popularität aus einem gescheiterten Militärputsch Anfang der 90er-Jahre, um als Präsident gewählt zu werden. Innerhalb weniger Jahre machte er Venezuela zur bolivarischen Republik, verstaatlichte Konzerne und besetzte wichtige Positionen mit Personen seines Vertrauens. Seine Sozialpolitik wie beispielsweise großzügige Subventionen von Treibstoff und Lebensmitteln, die zum Teil bis heute gelten, finanzierte er durch die Einnahmen aus dem Erdölgeschäft.
Maduro fehlt die Legitimation
Das funktionierte, solange der Erdölpreis bei mehr als 80 Dollar pro Barrel lag, in Spitzenzeiten sogar bei 150 Dollar. Doch in Folge der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise nahmen die wirtschaftlichen Probleme Venezuelas stark zu. Die Erlöse aus dem Erdölverkauf wurden geringer, das Geld für Subventionen knapper und der notwendige Spielraum für Investitionen zur Modernisierung der Raffinerien fehlte.
Nioclás Maduro, den Chávez kurz vor seinem Tod 2013 zu seinem Nachfolger auserkor, fehlt das Charisma seines Mentors ebenso wie die notwendige demokratische Legitimation. Schon seine Wahl im April 2013 mit 50,66 Prozent der Stimmen gegen Henrique Capriles war begleitet von zahlreichen Unregelmäßigkeiten und führte zu großen Protesten im Land.
Repressionen gegen die Opposition
Bei der Parlamentswahl im Jahr 2015 holte die Opposition zwei Drittel der Stimmen. Maduro regierte seitdem durch Notverordnungen und hielt sich dank der Unterstützung des Militärs im Amt. Gleichzeitig verschärfte sich die wirtschaftliche Lage im Land. Bis heute sind mehr als zwei Millionen Menschen aus Venezuela geflohen. Oppositionelle Politiker wie der frühere Präsidentschaftskandidat Capriles, der frühere Bürgermeister eines Stadtteils von Caracas, Leopoldo López, oder die populäre Maduro-Kritikerin María Corina Machado wurden juristisch verfolgt und an der Ausübung politischer Tätigkeiten gehindert.
Der 35-jährige Parlamentspräsident Juan Guaidó schaffte es, die zuletzt stark zerstrittene Opposition zu einen. Nach der als undemokratisch kritisierten Wiederwahl Maduros hat das Parlament Mitte Januar den Präsidenten für abgesetzt erklärt. In dieser Woche hat sich Guaidó selbst zum Präsidenten ernannt und sich auf einen entsprechenden Verfassungsartikel berufen. Neben der US-Regierung sicherte auch Deutschlands Außenminister Heiko Maas dem Politiker der Mitte-Rechts-Partei Voluntad Popular (Volkes Wille) seine Unterstützung zu.
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Ob das reicht, um nach 20 Jahren sozialistischer Regierung einen demokratischen Machtwechsel in Venezuela zu schaffen, ist unklar. Denn das würde nicht nur die Abwahl des Präsidenten, sondern auch ein Ende des Systems Chávez/Maduro bedeuten, das sich bis heute auf korrupte Strukturen im ganzen Land stützt. Die Regierungspartei PSUV hat immer noch mehrere Millionen Mitglieder. Zudem war Maduro bislang die Unterstützung des Militärs sicher. Doch auch die scheint zumindest auf mittlerer und unterer Ebene aufgrund der dramatischen Versorgungslage im Land zu bröckeln. Viele Möglichkeiten bleiben Maduro also nicht mehr, zumal Dialogversuche zwischen Regierung und Oppposition in den vergangenen Jahren jedes Mal gescheitert sind.
ist Redakteur des „vorwärts“. Er hat Politikwissenschaft studiert und twittert gelegentlich unter @JonasJjo