Ukraine-Krieg: Wie Putin auf Trumps Friedensplan reagiert
Trumps Diplomatie sorgt für Bewegung im Ukraine-Krieg – doch Moskau taktiert weiter. Dafür gibt es aus Putins Sicht gute Gründe, auch über die Ukraine hinaus.
IMAGO/ZUMA Press Wire
Demonstrant*innen protestieren in Washington gegen eine Annäherung der USA mit Russland.
Es gibt Bewegung bei den Bemühungen zur Beilegung des russisch-ukrainischen Krieges. Doch die Verhandlungen finden an unerwarteten Orten und in neuen Konstellationen statt. Statt eines direkten Kontakts zwischen Kiew und Moskau gibt es zunächst eine Einigung zwischen der Ukraine und den USA.
USA mit Machtdemonstration gegenüber der Ukraine
In Jeddah einigten sich beide Seiten auf die Parameter eines Waffenstillstandsangebots an Moskau und klärten zugleich ihre Spannungen über einen Rohstoffdeal. Als Reaktion nahm Washington die kurzzeitig ausgesetzte militärische Unterstützung für Kiew wieder auf – eine gezielte Machtdemonstration, die Kiews existenzielle Abhängigkeit von den USA verdeutlichte. Die europäischen Verbündeten konnten die entstandene Lücke kaum füllen.
Damit wird Donald Trump zum Mitautor einer russischen Erzählung, die der Ukraine Souveränität abspricht. Marco Rubio spricht sogar von einem Stellvertreterkrieg – Kiew als amerikanischer Proxy. Bereits zwischen 2014 und 2022 setzte der Kreml darauf, dass Washington, Paris und Berlin Kiew zu Zugeständnissen zwingen würden.
Wie Putin den Ball zurückspielt
Ist Russland nun am Ziel? Das weiß man in Moskau noch nicht. In der ersten offiziellen Reaktion gibt sich der Kreml betont nüchtern. Dmitri Peskow, der Pressesprecher des russischen Präsidenten, erklärte am Mittwochnachmittag sinngemäß, Russland werde die Modalitäten des Angebots sorgfältig prüfen. Der nationale Sicherheitsberater Michael Waltz telefonierte daraufhin mit dem russischen Präsidialassistenten Juri Uschakow – die beiden hatten bereits am 18. Februar in Riad einen persönlichen Kontakt hergestellt. Am Donnerstag landete das Flugzeug des amerikanischen Immobilienmagnaten und US-Sondergesandten Steve Witkoff in Moskau. Witkoff hatte bereits Mitte Februar als erster ranghoher Vertreter der Trump-Administration den in Russland inhaftierten US-Amerikaner Mark Vogel überraschend persönlich abgeholt und im Sinne einer ersten vertrauensbildenden Maßnahme ausgeflogen. Witkoff hat am Donnerstagabend mit Putin gesprochen, ein Telefongespräch zwischen Putin und Trump könnte kurzfristig folgen.
Putins erste Reaktion hat im Grunde Gesprächsoffenheit signalisiert, die „Idee“ einer 30-tägigen Waffenruhe bezeichnete Russlands Staatsoberhaupt in einer Pressekonferenz vor dem Gespräch mit Witkoff als zielführend. Allerdings stellte er gleich eine Reihe von Gegenfragen, die er „mit der amerikanischen Seite“ und eben Donald Trump direkt besprechen wolle: Das Entscheidende sei, wofür die kommenden 30 Tage genutzt würden – ob etwa die Ukraine in dieser Zeit ihre Mobilisierung fortsetzen werde. Falls dies nicht geschehe, stelle sich laut Putin die Frage, wer über die Einhaltung der Verabredung überwachen solle und ob die verbleibenden ukrainischen Soldaten bei Kursk sich einfach ergeben würden, man könne sie schließlich nicht „einfach so“ davonziehen lassen. Der Ball ist somit wieder zurückgespielt.
Trumps Spracge kommt in Moskau an
Das Tempo ist hoch, die amerikanischen Deklarationen über die angebrochene Friedenszeit – pompös. Und auch die Trump’sche Deal-Sprache kommt in Russland an: Endlich, so die Tonlage in Moskau, lasse der Westen seine wertegeladene Monstranz links liegen und komme zur Sache. Es gibt kaum ein anderes Land, dessen Elite die Verschmelzung von kapitalistischen und repressiven Machtinstrumenten so weit getrieben hat wie Russland. Das Wesen der russischen Oligarchie besteht schon lange nicht mehr nur in der Kooptation staatlicher Institutionen durch Großkapitalisten, es geht auch um die Verformung von innen- wie außenpolitischen Prozessen zu pragmatischen, oft zynischen Geschäftstransaktionen.
Das erlaubt eine hohe stilistische und rhetorische Anschlussfähigkeit an die Vision eines von Techno Bros dominierten, turboneoliberal verfassten Amerikas, das auf monetär und medial schnell vorweisbare Gewinne aus ist. Doch genau weil Washington plötzlich so frappierend anders agiert, stellt sich für den Kreml dieselbe Frage, die sich auch den Europäern aufdrängt: Hält Trump sein Wort? Oder ist alles nur eine Falle?
Warum eine Waffenruhe Russland schaden könnte
Die Skepsis ist sichtbar. Die Szene der Kriegsblogger und nationalistischen Politiker kocht, die Waffenruhe sei ein geopolitisches Täuschungsmanöver – um Kiew einen taktischen Vorteil zu verschaffen. Putin dürfe nicht denselben Fehler machen wie schon bei früheren Zugeständnissen in der Ukraine an den Westen oder in Syrien an Ankara. Es gelte, die Ukraine so weit wie möglich militärisch zu degradieren.
Tatsächlich ist die Dynamik auf dem Schlachtfeld für Moskau vorteilhaft – sie mit unklaren Aussichten auf Verhandlungen zu unterbrechen, könnte sich später als Fehler erweisen. Selbst eine einmonatige Waffenruhe könnte Russland strategisch schaden, während sie Kiew und seinen europäischen Verbündeten wertvolle Zeit für eine Neuaufstellung gibt.
Die russische Führung weiß nicht, ob sie vor einem einmaligen und nur für kurze Zeit offenem Fenster der Möglichkeiten steht, das sich bald schließen könnte, oder ob sie durch den Einstieg in substanzielle Verhandlungen ihre wichtigste Überlegenheit gegenüber der Ukraine – die Fähigkeit zur weiteren Zermürbung – aufgeben würde.
Um zu sortieren, welche verschränkten Ziele die Russische Föderation bei ihrer Aggression gleichzeitig verfolgt, hilft das folgende Dreistufenmodell.
Russland will die Souveränität der Ukraine weiter zerstören
Erstens geht es um die Ukraine. Seit jeher strebt Moskau eine nachhaltige Entsouveränisierung seines Nachbarlandes an – früher mit kosteneffizienteren Mitteln wie energiepolitischer Erpressung, Unterwanderung durch Korruption, Propaganda, Einmischung in die Innenpolitik, gesellschaftliche Spaltung; später – wegen ausbleibender Erfolge – durch paramilitärische Destabilisierung und schließlich die großformatige Invasion.
Ein gewaltsamer Regimewechsel kann dabei als wichtiger Schritt angesehen werden, ist aber kein Selbstzweck, wenn das Ziel auch anders – durch innenpolitische Prozesse in der Ukraine oder durch Druck von außen – erreicht werden kann. Was allerdings unbedingt Priorität hat, ist die Zerstörung und dauerhafte Schwächung der ukrainischen militärischen Fähigkeiten. Auch wenn Teile der russischen Führung davon ausgehen, dass Kiew zu einem Verhandlungsfrieden gezwungen werden könne, und auch die russische Wirtschaft und Gesellschaft spürbar dem Ende des Krieges entgegenfiebern, weiß man: Die Ukraine ist selbst nach den erfolgten Annexionen groß und stark genug, um aus eigener Kraft und mit künftiger Hilfe der Europäer schon in wenigen Jahren ein sehr schwerwiegendes Sicherheitsproblem für Russland zu werden. Geübte Grenzgänger, große Drohnenflotten, eine sehr hohe Anzahl an Waffen und Munition im Umlauf, Erfahrung mit Anschlägen und infrastruktureller Sabotage – all das wird auch eine Nachkriegsukraine weiter haben.
Putin will eine Neuordnung Europas
Zweitens geht es um Europa. Hier will der Kreml eine Neuverhandlung der kontinentalen Ordnungsregeln erreichen. Pufferzonen gegenüber der NATO sollen entstehen, das Prinzip der Bündnisfreiheit soll fallen, die EU soll sich nur auf die Wirtschaftsintegration konzentrieren dürfen und letztlich soll die sowjetische Einwilligung zum Endzustand des Kalten Krieges revidiert werden. Europa ist dabei eine Schlüsselregion in der russischen grand strategy, da Russland nur hier – aufgrund geopolitischer und geoökonomischer Faktoren – eine besondere Rolle beanspruchen kann.
Eine Neuordnung Europas in diesem Sinne ist aus Putins Sicht zwingend erforderlich, um die „Schmach“ des Gorbatschow’schen dealmaking zu korrigieren – ganz im Sinne des Wiener Kongresses und der Konferenz von Jalta. In dieser Tradition steht auch der Hinweis der russischen Seite an die Europäer*innen, sie sollten akzeptieren, dass die Unverletzlichkeit der Grenzen nur für einen kurzen Augenblick in der Geschichte galt, während sich in der langatmigen russischen Wahrnehmung die Grenzen Europas in jedem Jahrhundert mehrfach verschoben haben. Die Eroberung ukrainischer Gebiete wird damit im russischen Narrativ zu einer „normalen Etappe in der Veränderung der sowjetischen Grenzen seit den 90er Jahren – erst in schrumpfender Richtung, nun in expansiver“.
Russland will globale Großmacht werden
Drittens geht es um die globale Ebene. Wladimir Putin will den Aufstieg Russlands in die Gewichtsklasse der ordnenden Großmächte – das geht wiederum nur durch die entsprechende Anerkennung durch die Vereinigten Staaten. Eine neue multipolare Welt soll unter gleichberechtigter Mitwirkung Russlands verhandelt werden – nicht nur zwischen Washington und Beijing. Putin sieht Russland als eine exzeptionelle Kraft, die mal konservierend, mal revolutionär die Spielregeln der Weltpolitik beeinflusst hat. Angesichts der rapide alternden russischen Bevölkerung und einer sich selbst in China schnell dekarbonisierenden Weltwirtschaft ist er mit Blick auf das 21. Jahrhundert bemüht, zum Ende seines Wirkens und Lebens hin die noch vorhandenen Machtmittel der Russischen Föderation in eine nachhaltig bessere Position zu konvertieren. Russland will andere Regeln. Auf Kosten der Ukraine und auf Kosten Europas.
Und hier liegt die Krux der Trump’schen außenpolitischen Revolution. Der eigentliche Wendepunkt in den amerikanisch-russischen Beziehungen war nicht der Wahlsieg Trumps, sondern seine Festlegung, dass die USA „nur Vermittler“ in diesem Krieg seien. Die eigenen Verpflichtungen gegenüber Kiew sollen möglichst schnell gelockert werden, um beide Parteien an den Verhandlungstisch zu bringen – nicht aus altruistischen Motiven, sondern um die Belastungen der US-Beteiligung am Konflikt zu reduzieren und gleichzeitig bisherige „Investitionen“ in die Ukraine zu retten.
Putin sucht Zusammenarbeit mit Trump
Putin reagierte ausgesprochen positiv auf das Interesse Trumps an den ukrainischen seltenen Erden und bot ihm postwendend gemeinsame Förderprojekte in der Ukraine an – was aus Putins Sicht die amerikanische Akzeptanz der Grenzverschiebungen implizieren würde. Darüber hinaus stellte er sogar russisch-amerikanische Joint Ventures im sibirischen Krasnojarsk in Aussicht. Das wiederum sorgte für Irritationen in patriotischen Kreisen, schließlich ist die Erzählung eines überlebenswichtigen Abwehrkampfes gegen den westlichen Imperialismus ein zentraler Bestandteil der russischen Propaganda.
Aber Ideologie ist in Russland letztlich eine saisonale Mode – der Wechsel zur geopolitischen Business-Sprache fällt Putin nicht schwer. So brachte er in der heutigen Pressekonferenz selbst die Möglichkeit einer Wiederaufnahme der Gaslieferungen nach Europa ins Spiel – möglicherweise durch ein amerikanisch-russisches Konsortium.
Russland geht es um mehr als die Ukraine
Das Problem liegt woanders. Moskau will keine Vermittlung durch die USA – es will eine Verhandlung mit den USA. Das Flirten mit den Abrüstungsideen Trumps, das Drängen auf eine schnelle Normalisierung des Flug- und Zahlungsverkehrs – all das soll Washington dazu bringen, Russland erst informell und später in der Substanz den Status der einzigen europäischen Großmacht zuzugestehen.
Die Trump’sche Vermittlung erweckt bislang den Anschein, als handle es sich lediglich um einen lokalen, postsowjetischen Konflikt zwischen Ostslaw*innen – eine Art Jugoslawien 2.0. Und damit eine Situation, in der sich durch amerikanisches diplomatisches Geschick und wohldosierten Druck auf beide Seiten eine Einigung erzielen ließe.
Das ist nicht das, was Moskau will. Die Geschichte von russisch-ukrainischen Kampfpausen ist voller schneller Brüche. Ja, die Ukraine ist das Minimalziel. Aber es geht um mehr. Und genau deshalb wird Russland weiter taktieren – die Annahme der Waffenruhe an immer weitere Zugeständnisse knüpfen, die irgendwann auch zu weitreichenden europäischen oder globalen Forderungen führen könnten. Eine einseitige amerikanische Absage an die ukrainische NATO-Mitgliedschaft, die Forderung nach entmilitarisierten Pufferzonen entlang der NATO-Russland-Grenze oder eine amerikanisch-russische Friedenskonferenz für ganz Europa – all das könnte zur Bedingung werden. Und wenn sie nicht erfüllt werden, kann Russland militärisch weitermachen, bis die Ukraine gesellschaftlich und politisch von innen kollabiert. Die Kursker Oblast ist de facto zurückerobert und das Minimalziel „Entsouveränisierung“ wäre dann immer noch auf kostspieligen, aber erprobten Wegen erreichbar.
Moskau will eigene Gewinne formalisieren
Genau weil nicht klar ist, ob Trump für Putin nur eine punktuelle Hilfe oder doch ein strategischer Partner werden kann, will Moskau Garantien. Klingt kontraintuitiv, aber die russische Außenpolitik strebt keine generelle Demontage des Völkerrechts an – im Gegenteil, sie ist fixiert auf die Formalisierung der eigenen Gewinne. Mit BRICS arbeitet der Kreml bereits seit Jahren an einer Behelfskonstruktion institutioneller Art für eine Post-UN-Welt. Ob durch die dokumentierte Rücknahme des Bukarester NATO-Aufnahmeversprechens oder durch die vertragliche und institutionelle Einbindung außereuropäischer Akteure wie der Türkei, Saudi-Arabiens oder Indiens in die Sicherung der Nachkriegssituation – Russland will seinen Einfluss in festen Strukturen verankern.
Dabei treibt Moskau die Sorge um das enge Zeitfenster bis zu den US-midterms sichtbar um – noch bevor die geopolitischen Karten neu gemischt werden, will Moskau Fakten schaffen. Genau deshalb drängt Russland auf tatsächliche Verträge und formelle Absprachen. Nichts hätten Lawrow und Putin lieber als einen Riader Kongress zur „abschließenden Regelung in Bezug auf Europa“.
Dieses geopolitische „Völkerrecht der Großmächte“ würde eine Zweiklassenwelt zementieren – und ist mit der gegenwärtigen Verfassung von Europa nicht kompatibel. Ganz davon abgesehen, dass die Europäer*innen aus russischer Sicht zur zweiten Klasse gehören würden. Ein Krieg mitten in Europa wird bereits zwischen Hauptstädten außerhalb des Kernkontinents verhandelt, inklusive Ideen zur Entsendung außereuropäischer Friedenstruppen.
Was Russland in seine Kalkulation nicht hinreichend einbezieht, ist das Szenario, dass die Ukraine, Deutschland und Europa genau deswegen erkennen: In einer Situation, in der sowohl Russland als auch die USA an der Nachkriegsordnung rütteln – und ausgerechnet China als letzte Status-quo-Macht erscheint –, reicht bloßes Festhalten an der alten Welt nicht aus.
Ein geopolitikfähiges, souveränes Europa, das eigene Interessen kohärent formulieren und mit realen Instrumenten untermauern kann, wäre in der russischen und übrigens auch in der gegenwärtigen amerikanischen außenpolitischen Konzeption ein realer Akteur. Für wahrscheinlich hält Moskau so ein Szenario nicht. Aber im Kreml hat man sich schon häufiger geirrt.
Am 13. März erschienen im IPG-Journal.
Alexey Yusupov leitet das Russlandprogramm der Friedrich-Ebert-Stiftung. Zuvor war er Büroleiter der FES in Myanmar, Afghanistan und Kasachstan. Außerdem unterstützt er politische Akteure als Berater und Moderator.