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So will Steinmeier junge Menschen für Europa gewinnen

Mit deutlichen Worten mahnt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Berlin junge Menschen, sich für Europa zu engagieren. Geschehe das nicht, „dann wird Europa vor die Hunde gehen“, warnt er. Seine Offenheit kommt gut an.
von Lars Haferkamp · 24. Oktober 2016
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Europa steckt in der Krise: Griechenland, der Euro, die Flüchtlingslage und das Brexit-Referendum zeigen das deutlich. Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat diese Krise vor allem als Vertrauenskrise erkannt. Deshalb will er neues Vertrauen in Europa wecken. Mit einem „Bürgerdialog“ zur Frage „Welches Europa wollen wir?“ hat er sich am Montag direkt an rund 400 Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von 16 bis 26 Jahren gewandt. Sie folgten einer Einladung ins Auswärtige Amt, um sich vom Außenminister ihre Fragen zu Europa beantworten zu lassen. Und Steinmeier kam, um sich die Sorgen und Erwartungen der jungen Menschen anzuhören.

Steinmeier: Europa zu sehr „mit sich selbst beschäftigt“

In der ersten Frage zu Ceta wurde gleich an aktuelles heißes Eisen angefasst, nachdem das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Kanada am Veto der Wallonie zu scheitern droht. Steinmeier zeigte Verständnis für den Frust junger Menschen über Europa, das zu lange und zu sehr „mit sich selbst beschäftigt“ sei und so Attraktivität verliere.

Bei aller berechtigten Kritik an Europa warnte der Außenminister zugleich davor, vieles für selbstverständlich zu halten. Dazu gehöre die Frage von Krieg und Frieden. Streit in der EU sei „kein Argument gegen Europa“. Wichtig sei, dass Streit heute zivil und nicht mehr militärisch ausgetragen werde, das sei die große Errungenschaft der europäischen Einigung.

Ukraine-Konflikt ist Kriegsgefahr in Europa

Dass in Europa heute wieder die Frage von Krieg und Frieden aktuell ist und auch junge Menschen umtreibt, zeigten ihre Fragen zur Ukraine-Krise. Etwa die, ob die Sanktionen gegen Russland verschärft werden sollten. Der Außenminister warnte davor, den politischen Konflikt „immer von der Sanktionsseite aus zu bewerten“, man müsse auf den Konflikt schauen. Und da sei es gelungen den Konflikt einzudämmen und einen „Flächenbrand zu verhindern“. Es gelte, nicht ungeduldig zu werden, denn „der Fortschritt ist eine Schnecke“. Auf Nachfrage stellte Steinmeier klar, ohne Fortschritte bei der Umsetzung des Minsker Abkommens, „bleibt es bei den Sanktionen“.

Zur Frage, ob man künftig mehr Europa brauche im Sinne einer weiteren europäischen Integration, zeigte sich Steinmeier skeptisch. Das Brexit-Votum der Briten habe gezeigt, „wie tief die europäische Krise ist“. Es gebe zur Zeit „keine weitere Legitimation“, neue Kompetenzen und Hoheitsrechte auf die europäische Ebene zu verlagern. Die EU müsse jetzt „durch Leistungsfähigkeit überzeugen“, etwa bei den Themen Sicherheit, Migration und Handel. Die mangelnde Leistungsfähigkeit verschärfe die Skepsis der Bürger.

Für Außenminister reicht Empörung nicht

Auf den Syrien-Konflikt angesprochen betonte Steinmeier die Bedeutung der humanitären Hilfe für die Menschen vor Ort. Die aktuelle humanitäre Katastrophe könne nicht durch Sanktionen bewältigt werden, diese brauchten schlicht zu lange, um zu wirken. Steinmeier zeigte Verständnis für die Empörung gerade vieler junger Menschen über die Lage in Syrien. „Außenminister dürfen nicht bei Empörung stehen bleiben“, gab er zu Bedenken, sie müssten „über den eigenen Schatten springen“ und verhandeln. Gefragt nach der Zukunft von Syriens Staatschef Assad antwortete Steinmeier, im ersten Jahr des Konfliktes sei eine Lösung mit Assad noch vorstellbar gewesen. Nach fünf Jahren Krieg, 350.000 Toten und 12 Millionen Vertriebenen in Syrien aber werde die Zukunft des Landes „nicht mehr von Assad bestimmt werden können“.

Am Ende der Debatte wurde der Außenminister nach dem aktuellen Rechtsruck in Europa gefragt. Populismus und Nationalismus, so Steinmeier, würden kein einziges Problem in Europa lösen können. Doch entscheidend für das Schicksal Europas und der Demokratie sei das Engagement der Menschen. Wenn sie sich nicht für Europa engagierten, warnte Steinmeier, „dann wird Europa vor die Hunde gehen“. Er erinnerte an das Wort Willy Brandts, der das treffend formuliert habe, mit dem Satz: „Nichts kommt von selbst und nur wenig ist von Dauer.“ So sei es auch mit Europa.

Auswärtiges Amt plant weitere Debatten

Damit es mit Europa wieder aufwärts geht und wieder mehr Menschen Vertrauen in das europäische Projekt setzen, plant das Auswärtige Amt weitere Debatten. Die Veranstaltung am Montag war nur der Auftakt für insgesamt 30 Bürgerdialoge und Diskussionen. Am 17. November geht es in Köln weiter, am 18. November in Hamburg. Es werden dann, neben dem Außenminister, auch Staatsminister, Staatssekretäre und hochrangige Diplomaten des Auswärtigen Amtes in den Dialog über Europa eintreten. 

Autor*in
Lars Haferkamp
Lars Haferkamp

ist Chef vom Dienst und Textchef des vorwärts.

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